Tierschutz:Klein, flauschig, tot

Hühnerküken-Sortierer

Hühnerküken werden nach dem Schlüpfen nach Geschlecht sortiert. Die jungen Männchen werden getötet. Das soll sich ändern.

(Foto: Philipp Schulze/dpa)

Millionen männliche Küken müssen sterben, weil sie für Mast und Zucht nicht geeignet sind. Forscher bieten einen Ausweg. Zu spät, sagt der NRW-Agrarminister.

Von Daniela Kuhr, Berlin

Könnte man in das Ei hineinsehen, würde man noch nichts erkennen. Es ist gerade erst vor drei Tagen gelegt worden. Doch mit Hilfe eines Lasers lässt sich ein winziges Loch in die Schale schneiden, dann wird das gestreute Licht an den Blutzellen analysiert und das Geschlecht des heranwachsenden Kükens bestimmt. Wie bitte? Das ging jetzt zu schnell? Das war für Laien umverständlich? Macht nichts. Hauptsache, die Methode funktioniert und beendet das Leid von Millionen flauschiger, kleiner Küken.

Dieses Leid ist eines der ganz dunklen Kapitel in der deutschen Landwirtschaft, wie sie bundesweit täglich betrieben wird: Da bei der Zucht und Haltung von Legehennen kein Bedarf an männlichen Nachkommen besteht und diese Tiere aber andererseits auch für die Mast nicht geeignet sind, weil sie zu wenig Fleisch ansetzen, werden männliche Küken unmittelbar, nachdem sie aus dem Ei geschlüpft sind, aussortiert und getötet. Entweder landen sie im Schredder oder sie werden mit Kohlendioxid vergast. Auf diese Weise verlieren in Deutschland jährlich 40 bis 50 Millionen Küken, auch Eintagsküken genannt, ihr Leben. Das gilt für konventionelle Betriebe genauso wie für die meisten Biobetriebe, da das Aussortieren und Kükentöten bereits in der Brüterei stattfindet und die Tiere erst danach an die Legehennenhalter ausgeliefert werden.

Um das Elend zu beenden hat das Bundeslandwirtschaftsministerium bereits 2008 begonnen, Forschungen zu unterstützen, bei denen Methoden zur frühzeitigen Geschlechtsbestimmung entwickelt werden. Ziel ist, nicht mehr abzuwarten, bis die Tiere geschlüpft sind, sondern bereits im Ei das jeweilige Geschlecht ermitteln zu können. Und zwar je früher desto besser, damit das Ei dann beispielsweise für Tierfutter verwendet werden kann und der Hühnerembryo noch nicht schmerzempfindlich ist. Am Montag fuhr Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) selbst zur Universität nach Leipzig, um sich über den Stand des Forschungsprojekts zu informieren. Nach dem Besuch stellte er zufrieden fest: "Wir sind jetzt so weit, sagen zu können: Ja, es funktioniert und es gibt Alternativen, das Töten von Küken zu beenden."

Etwas Geduld wird man aber noch aufbringen müssen. Denn das, was die Forscher dem Minister in dem Labor in Leipzig vorgeführt haben, ist noch weit davon entfernt, praxisreif zu sein. Und so kündigte der Minister denn auch nur an: "Bis Ende 2016 wollen wir einen Prototypen für ein Gerät haben, das das Geschlecht im nur drei Tage bebrüteten Ei bestimmt und die Eier entsprechend automatsch sortiert." Sei ein solches Gerät aber erst einmal auf dem Markt, gebe es "für Brütereien keine Rechtfertigung mehr, männliche Küken auszubrüten und zu töten". Sein Ziel sei, so Schmidt weiter, "dass das Kükenschreddern 2017 aufhört". Allerdings müsse die Wirtschaft mithelfen.

"Ein Verbot ohne Alternative würde die Kükentötung lediglich ins Ausland verlagern."

Wie es um die "Hilfsbereitschaft" der Wirtschaft bestellt ist, damit hat Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftminister Johannes Remmel (Grüne) seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Er gehört zu den Politikern, die im Zweifelsfall nicht lang fackeln, sondern einfach mal machen. Und so hatte Nordrhein-Westfalen bereits Ende 2013 das massenhafte Töten männlicher Küken kurzerhand untersagt. Ein Jahr, bis Anfang 2015 also, gab Remmel den zwölf Brütereien in seinem Bundesland Zeit, um sich darauf einzustellen. Doch die dachten gar nicht daran, den Minister bei seinem Versuch, sich als Tierschützer zu profilieren, zu unterstützen. Stattdessen klagten sie gegen das Verbot - und bekamen im Februar dieses Jahres vor dem Verwaltungsgericht Minden recht.

Das Problem sei, so die Verwaltungsrichter, dass das Verbot "einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit der Betreiber von Brütereien" darstelle. Dafür benötige man eine gesetzliche Rechtfertigung, die das gegenwärtige Tierschutzrecht jedoch nicht hergebe. Zumal die Brütereien derzeit keine "praxistauglichen Alternativen zur Tötung der männlichen Küken hätten". Remmel hat das Urteil angefochten, eine Entscheidung steht noch aus. In jedem Fall aber sieht er nun den Bundeslandwirtschaftsminister in der Pflicht: Schmidt müsse das Tötungsverbot umgehend gesetzlich verankern und das Tierschutzgesetz ändern. Er dürfe nicht mehr "auf Zeit" spielen und sich "hinter wohlklingenden Absichtsbekundungen und Forschungsvorhaben" verstecken. Was Remmel nicht verrät: Wie er damit umgehen will, dass die Brütereien derzeit gar keine Alternative haben. Darauf angesprochen sagt seine Sprecherin: Die Brütereien seien aufgefordert, sich dazu "Gedanken zu machen und Alternativen zu entwickeln".

Es gibt hier also zwei Minister, die unterschiedlicher kaum sein könnten, aber dasselbe Ziel verfolgen: nämlich das massenhafte Kükentöten schnellstmöglich zu beenden. Doch während der grüne Landwirtschaftsminister Remmel meint, man müsse es einfach verbieten und die Wirtschaft auf diese Weise unter Druck setzen, damit sie eine Lösung für das Problem findet, setzt der CSU-Landwirtschaftsminister Schmidt darauf, erst einmal eine Lösung zu finden - und dann das Kükentöten zu verbieten. Denn: "Ein Verbot ohne Alternative würde die Kükentötung lediglich ins Ausland verlagern", ist er überzeugt.

Die neue Methode der frühzeitigen Geschlechtsbestimmung wird allerdings die Produktion von Eiern insgesamt verteuern. Schmidt geht aber davon aus, dass sich das in Grenzen halten wird. Der Preis für ein Ei werde um maximal ein bis zwei Cent steigen, sagte er der Bild-Zeitung. Derweil fordert die Geflügelwirtschaft Finanzhilfen von Bund und Ländern, um den Brütereien den Ausstieg aus der Kükentötung zu erleichtern. Gerade kleinere Betriebe könnten sich sonst die Anschaffung der neuen Geräte zur frühzeitigen Geschlechtsbestimmung nicht leisten, fürchtet Friedrich-Otto Ripke, Präsident der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft.

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