ThyssenKrupps Pleite in Brasilien:Mein Name ist Cromme, ich weiß von nichts!

Um ein Stahlwerk in Brasilien zu errichten, stürzt sich der Krisenkonzern ThyssenKrupp in eine Milliardenpleite: Zwei Milliarden Euro sollte das Vorhaben kosten, geworden sind es fünf. Aufsichtsratsvorsitzender Cromme lässt verbreiten, er wisse von nichts. Fachleute sehen das ganz anders.

Karl-Heinz Büschemann

So hat sich Heinrich Hiesinger, 51, seinen neuen Job nicht vorgestellt. Dem Manager, der seit zehn Monaten als Chef im 13. Stock des neuen Verwaltungsbaus von Thyssen-Krupp in Essen sitzt, war wohlbekannt, dass in dem Essener Traditionsunternehmen einiges aufzuräumen wäre. Der zurückhaltend wirkende Bauernsohn mit dem leichten schwäbischen Tonfall wollte den Job trotzdem. Bei Siemens, wo er zuvor einen großen Geschäftsbereich leitete, hätte er kaum eine Chance gehabt, jemals Chef zu werden. Aber nach zehn Monaten in Essen merkt man ihm an, dass er auf so schwere Probleme nicht vorbereitet war.

German Economy Showing Signs Of Recovery

Der Bau eines Stahlwerks in Brasilien brachte ThyssenKrupp in Schwierigkeiten - die Kosten liefn aus dem Ruder.

(Foto: Getty Images)

Thyssen-Krupp ist ein Krisenkonzern. Der Börsenwert des 200 Jahre alten Stahl- und Maschinenbau-Unternehmens ist seit 2007 um mehr als die Hälfte gefallen. Das Unternehmen machte im vergangenen Geschäftsjahr bei 42 Milliarden Euro Umsatz einen Verlust von 1,8 Milliarden Euro. Allein im Stahlbereich mussten drei Milliarden Euro abgeschrieben werden. Die Gewinne aus gutlaufenden Bereichen konnten das nicht ausgleichen. In dem Konzern mit 180 000 Mitarbeitern brennt es lichterloh.

Ein Zeichen für den Ausnahmezustand ist die ruppige Art, wie jetzt der langjährige Konzernchef Ekkehard Schulz, 70, aus dem Aufsichtsrat befördert wurde. Tagelang streute der Konzern Informationen über Fehlleistungen des Managers, der bislang als tragende Säule des Managements galt und noch Anfang des Jahres in den Aufsichtsrat gelobt worden war.

Schulz, der seit 1999 an der Spitze von Thyssen-Krupp stand, habe die Strategie des Konzerns "untergraben", werden Thyssen-Manager im Handelsblatt zitiert. Er habe die wahren Kosten für den Bau eines Stahlwerks in Brasilien "zunächst verschleiert". In der FAZ erklärte der mächtige alte Mann des Konzerns, Berthold Beitz, 98, warum er Schulz, der immerhin 40 Jahre im Unternehmen war, plötzlich den Stuhl vor die Tür gestellt habe. Seltsam für einen Mann, der sich fast nie öffentlich äußert. Konsterniert trat der Manager zurück. Er war erledigt. "Die haben Schulz zum Abschuss freigegeben", schimpft ein Kenner der Szene.

Schulz ist nicht ohne Schuld an der Misere von Thyssen-Krupp, obwohl der Mann mit dem breiten Kreuz und der sonoren Bassstimme in der deutschen Stahlindustrie als einer der fähigsten Manager gilt. Das Stahlwerk, das unter seiner Führung in Brasilien gebaut wurde, kostete nicht zwei Milliarden Euro, wie versprochen, sondern mehr als fünf Milliarden Euro. Die Katastrophenbaustelle führt zu Horrorverlusten, die die Zukunft des Konzerns gefährden. Dass sein Ausscheiden öffentlich zelebriert und nicht im Hinterzimmer diskret erledigt wird, liegt an der Geschichte des Konzerns und am Machtwillen des Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme.

Gerhard Cromme - der Ehrgeizige

Der hochgewachsene 68-Jährige ist mit umwerfendem Charme ausgestattet, aber auch mit gläserner Härte, die oft den Freund nicht schont. Der Ehrgeizige versteht sich als Stratege, der im Jahr 1999 als Krupp-Chef in einem Überraschungscoup den viel größeren Konkurrenten Thyssen übernahm. Seitdem herrschte im neuen Konzern ein ständiger Kampf der beiden Lager. Cromme und Thyssen-Manager Schulz teilten sich die Führung nur zwei Jahre, seitdem überwachte Cromme die Handlungen des anderen, den er nie mochte, aus dem Aufsichtsrat.

Schulz war nur geduldet.

Gegen Cromme und Beitz war nichts zu machen. Die beiden treffen sich jede Woche in Beitz' Büro im Park der Villa Hügel und entscheiden, was bei Thyssen-Krupp geschieht. Sollte Beitz aus dem Amt scheiden, wäre Cromme in der Stiftung sein Nachfolger. Er wäre ein wichtiger Weichensteller und Kulturförderer an der Ruhr. Für Cromme der Traumjob, auf den er seit 25 Jahren hinarbeitet.

Schon deshalb ist für Cromme wichtig, sich von den peinlichen Pannen in Brasilien fernzuhalten, die er als Aufsichtsratschef aber mitzuverantworten hat. Cromme lässt ausrichten, er habe mit den Vorgängen in Südamerika nichts zu tun. Schulz habe im Aufsichtsrat Versprechungen gemacht, "und wir haben ihm geglaubt", sagt ein Cromme-Vertrauter. Die Entscheidung, in Brasilien zu investieren, sei richtig gewesen, nur die Umsetzung sei schiefgegangen. "Damit hat Herr Cromme nichts zu tun."

Cromme und seine weiße Weste

Das sehen Fachleute anders. "Um solche Großprojekte muss sich der Aufsichtsrat kümmern", sagt ein prominenter Aufsichtsrat. "Das hat er nicht getan." Es sei nicht vorstellbar, dass Cromme von den Problemen nichts gewusst habe. Solche Milliardenprojekte würden vom Vorstand mit den entscheidenden Vertretern des Aufsichtsrates schon ausführlich diskutiert, bevor sie zum Thema von Sitzungen werden. "Das wird doch alles vorher besprochen." Eine ähnliche Sicht hat der Münchner BWL-Professor Manuel Theisen. Bei dem Projekt in Rio handele es sich um eine "zentrale Fehlinvestition" und einen Fall von "mangelnder Kontrolle". Der Aufsichtsratschef könne nicht behaupten, von der wahren Sachlage nichts gewusst zu haben. "Er hätte früher die Bremse ziehen müssen."

Cromme kann sich kaum aus der Affäre ziehen, weil er einst aktiv an dem Kodex für gute Unternehmensführung mitgewirkt hat, der klare Regeln für Aufsichtsräte und Vorstände festhält. Schon in der Präambel des Regelwerks steht ein Satz, der Cromme heute kaum noch gefallen wird. Der Aufsichtsrat sei in Entscheidungen, "die von grundlegender Bedeutung für das Unternehmen sind, unmittelbar eingebunden".

Trotzdem gelingt es Cromme bisher, die eigene Weste sauber zu halten. Wie damals bei Siemens.

Obwohl Cromme zur Zeit der Korruptionsaffären Aufsichtsrat in dem Münchner Konzern war und sogar zeitweise den wichtigen Prüfungsausschuss leitete, kam er mit der Behauptung durch, von den kriminellen Vorgängen im Konzern nichts gewusst zu haben. Cromme schaffte es, Konzernchef Klaus Kleinfeld ebenso wie Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer zu feuern. Er selbst blieb und wurde immer mächtiger.

Einst waren Pierer und Cromme auf ihr enges Verhältnis stolz, heute liegt die Freundschaft in Trümmern. Und Cromme lässt sich als Siemens-Retter feiern.

Vielen Manager-Kollegen geht Crommes Selbstgerechtigkeit auf die Nerven. Die Vorgänge bei Thyssen-Krupp werden den Kritikern neues Futter geben. Cromme hat bei Thyssen-Krupp einige Fehler gemacht. Als Aufsichtsratschef hat er zu lange gezögert, Schulz zu ersetzen. Nachfolger Hiesinger fand er erst, als Schulz schon 69 Jahre alt war. Zudem hat Cromme selbst dafür gesorgt, dass der heute verteufelte Schulz im Januar in den Aufsichtsrat wechseln konnte.

Hiesinger unter Beobachtung

Und so sitzt nun Unternehmenschef Hiesinger in der Falle. Er soll einen Konzern nach vorne bringen, obwohl er weder Geld noch Handlungsspielraum hat. Er muss sogar Substanz hergeben. Ein Viertel des Umsatzes soll zu Geld gemacht werden. Rund 35 000 Mitarbeiter sind von dieser Rettungsaktion betroffen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ist am Freitag der Verkauf der Hamburger Traditionswerft Blohm+Voss beschlossen worden.

Hiesinger kann auch nicht damit rechnen, dass ihm seine Eigentümer eine Kapitalerhöhung erlauben, um neues Kapital für Zukunftsinvestitionen hereinzuholen. Damit würde die Stiftung, gegen die bis heute keine Management-Entscheidung möglich ist, ihren Einfluss verlieren. Beitz und eines Tages Cromme wären im Machtgeflecht des Konzerns nur noch Randfiguren - undenkbar. "Das ist ein limitierender Faktor", sagt ein führender Konzernmanager in Essen.

Zudem steht Hiesinger unter besonderer Beobachtung. Er hat über sich Stiftungschef Beitz sowie Aufsichtsratschef Cromme, der sich als heimlicher Herrscher des Unternehmens versteht. Zudem hat Cromme seinen engsten Vertrauten, den langjährigen Kommunikationschef Jürgen Claassen, in den Vorstand gehoben. So kann Cromme sicher sein, dass ihm kein Wort entgeht, das am Vorstandstisch gesprochen wird. (Seite 29)

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: