Thyssenkrupp:Was übrig bleibt

Spektakuläre Rücktritte, öffentlicher Streit und uneinige Aktionäre: Thyssenkrupp rutscht in seine bisher tiefste Krise.

Von Caspar Busse und Benedikt Müller, Düsseldorf/München

An der Börse haben sie offenbar auf diesen Abgang gewartet: Die Thyssenkrupp-Aktie legte am Dienstag zwischenzeitlich um zehn Prozent zu, nachdem der langjährige Aufsichtsratschef Ulrich Lehner, 72, seinen Rücktritt angekündigt hatte. Ende dieses Monats will er den Posten abgeben und aus dem Aufsichtsrat ausscheiden, hatte er am Montagabend mitgeteilt, das Vertrauen der großen Aktionäre sei nicht mehr gegeben. Jetzt spekuliert mancher Investor auf eine Zerschlagung des Konzerns und neuen Schub für die lahmende Aktie.

Es ist eine tiefe Führungskrise: Sowohl der Vorsitzende des Aufsichtsrats als auch der des Vorstands, Heinrich Hiesinger, haben in kurzer Zeit ihren Rücktritt erklärt. Unklare Zukunftsstrategie. Zerstrittene Aktionäre. Öffentliche Schuldzuweisungen. Verunsicherte Beschäftigte. Ein sehr enttäuschender Aktienkurs. Und schlechte Zahlen.

Heinrich Hiesinger und Ulrich Lehner einte eine gemeinsame Vision

Thyssenkrupp, dieser mehr als 200 Jahre alte Konzern aus dem Ruhrgebiet, steckt in großen Schwierigkeiten. Es geht um die Existenz - um ein Unternehmen mit fast 160 000 Arbeitsplätzen und einen Umsatz von 41,5 Milliarden Euro. Aber auch um die Zukunft von deutschen Traditionsunternehmen generell. Denn der Fall des Dax-Konzerns aus Essen steht exemplarisch für viele. Sollten sich hier sogenannte aktivistische Investoren wie Elliott und Cevian durchsetzen und es zu einer schnellen Zerschlagung kommen, könnte das auch Auswirkungen für andere haben.

"Thyssenkrupp steht nun am Scheideweg", sagt Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment, die ebenfalls beteiligt sind. "Das muss jetzt der allerletzte Weckruf dafür sein, dass sich alle Beteiligten disziplinieren", fordert Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen. Sogar Ministerpräsident Armin Laschet, CDU, hatte sich in der vergangenen Woche besorgt geäußert.

Heinrich Hiesinger und Ulrich Lehner, den Vorstands- und den Aufsichtsratschef, der eine stammt von einem Bauernhof in Württemberg, der andere aus einer Düsseldorfer Kaufmannsfamilie - dieses ungleich Duo einte bislang eine gemeinsame Vision. Sie wollten den alten Stahlhersteller Thyssenkrupp zu einem Technologiekonzern umbauen, haben das krisenanfällige Stahlgeschäft ausgegliedert. Der Rest sollte dann aus mehreren Sparten bestehen: dem Geschäft mit Aufzügen und Rolltreppen, den Autozuliefer-Aktivitäten sowie dem Bau von Großanlagen und U-Booten. Über all dem, so der Gedanke, sollte die zentrale Verwaltung in Essen stehen, die in einem futuristischem 14-Stockwerke-Bau residiert. Thyssenkrupp als "starke Dachmarke", wie Lehner es immer sagte. Thyssenkrupp als diversifizierter Technologiekonzern, wie es Hiesinger ausdrückte.

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Konzernzentrale der ThyssenKrupp im Essener Westviertel.

(Foto: Patrick Stollarz/AFP)

Doch damit sind Lehner und Hiesinger gescheitert. Die beiden hatten keinen Rückhalt mehr für ihre Strategie und verkündeten in kurzem Abstand ihren Abschied. Lehner hatte noch in der vergangenen Woche ungewöhnlich offen manchen Investoren "Psychoterror" vorgeworfen, es würden "Unwahrheiten" in der Öffentlichkeit platziert "bis hin zum Belästigen von Nachbarn und Familienmitgliedern". Das hat bei vielen für Verwunderung gesorgt. Jetzt mahnte er zum Abschied nochmals, "dass eine Zerschlagung des Unternehmens und der damit verbundene Verlust von vielen Arbeitsplätzen keine Option darstellt."

Aber wie geht es jetzt weiter? Wer füllt das gefährliche Machtvakuum in Essen?

Für die Zukunft des Traditionskonzerns sind nun mehr Strategien möglich als vor dem Rücktritt Hiesingers und Lehners. Beispielsweise könnte sich Thyssenkrupp künftig als eine deutlich schlankere Dachgesellschaft aufstellen, die unterschiedliche Beteiligungen an ihren Industriesparten hält. Die einzelnen Geschäfte könnten dann mehr Eigenständigkeit erhalten, bis hin zu möglichen Börsengängen einzelner Sparten. Möglich ist aber auch eine brutale Aufteilung des Unternehmens.

Nach dem Abgang von Lehner und Hiesinger sucht der Traditionskonzern nun einen dreifachen Befreiungsschlag: Der Aufsichtsrat will "kurzfristig" einen neuen Chefkontrolleur ernennen. Danach will das Gremium eine neue Strategie entwickeln, die sowohl kritische Investoren wie Cevian oder Elliott als auch die mächtigen Arbeitnehmervertreter mittragen können - wenn das überhaupt möglich ist. Und dann braucht Thyssenkrupp noch einen neuen Vorstandschef; der bisherige Finanzchef Guido Kerkhoff, ein langjähriger Vertrauter von Hiesinger, hat das Amt zunächst übergangsweise übernommen.

Unklar ist, wer Lehners Nachfolger werden könnte. Als Kandidaten werden der ehemalige Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel und der frühere Deutsche-Telekom-Chef René Obermann gehandelt, die ebenfalls dem Gremium angehören. "Der neue Aufsichtsratschef muss eine Konsenslösung sein. Alles andere würde nur zu neuem Streit führen", sagte Union-Fondsmanager Speich.

Ursula Gather, die Vorsitzende des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, hat jedenfalls kein Interesse an dem Job. Die Rektorin der Technischen Universität Dortmund teilte dies am Dienstag selbst mit. Sie ist erst seit Januar im Aufsichtsrat und vertritt die Stiftung, die 21 Prozent der Aktien hält. Sie werde aber "in konstruktiver Zusammenarbeit mit den Vertretern im Aufsichtsrat an der Neubesetzung mitwirken". Dort gibt es aber keine einheitliche Linie. Als der Aufsichtsrat zuletzt über die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens mit Tata Steel abstimmte, gingen drei Mitglieder der Kapitalseite in die Opposition.

Dazu gehört auch der schwedische Investor Cevian, der 18 Prozent der Thyssenkrupp-Aktien hält. Partner Jens Tischendorf sitzt im Aufsichtsrat und hatte zuletzt seine Kritik verschärft. Kritisiert wird seit Monaten, dass die Industriesparten des Essener Konzerns zu wenig Gewinn erwirtschaften, im Vergleich zu den jeweiligen Wettbewerbern. "Um in Zukunft dauerhaft erfolgreich zu sein, müssen die Geschäftssparten von Thyssenkrupp fokussiert, unternehmerisch und effizient aufgestellt werden", sagt Cevian-Gründer Lars Förberg, "flexibel und frei von unverhältnismäßig hohen Kosten und Bürokratie." Nur so können sie nachhaltig erfolgreich sein. Cevian sei ein "langfristig ausgerichteter Großinvestor" von Thyssenkrupp und gehe auf alle Beteiligten zu.

Radikaler agiert Paul Singer, der Elliott Management, den größten Hedgefonds der Welt, kontrolliert. Er ist erst Mitte Mai eingestiegen, spekuliert offenbar auf eine Zerschlagung und hatte schon früh die Ablösung Hiesingers gefordert. Elliott war damit beispielsweise beim amerikanischen Aluminiumhersteller Alcoa erfolgreich, aber auch bei anderen Unternehmen.

Die Vertreter der Arbeitnehmer wiederum sorgen sich um die Zukunft der Arbeitsplätze. Die IG Metall fordert, dass alle Akteure nun sachlich über die Zukunft von Thyssenkrupp diskutieren sollten. "Wir müssen jetzt im Aufsichtsrat Lösungen finden, die ökonomisch Sinn machen und den Beschäftigten langfristig Sicherheit bieten", sagt der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Markus Grolms, der für die Arbeitnehmerseite dem Gremium angehört. "Wir sollten jetzt mit aller Vernunft die verschiedenen Interessen ausbalancieren." Konzernbetriebsratschef Wilhelm Segerath fügt an: "Es ist nun die Aufgabe der Hauptaktionäre, insbesondere der Krupp-Stiftung, das Unternehmen gemeinsam weiterzuentwickeln."

Ausgerechnet die Sparten, auf denen die Hoffnung ruht, haben schlecht abgeschnitten

In den vergangenen Monaten hat der Thyssenkrupp-Vorstand vor allem eine Lösung für die Stahlwerke gesucht - und nach langen Verhandlungen auch gefunden: Der Konzern wird seine Traditionssparte in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Konkurrenten Tata auslagern. Doch während Hiesinger und sein langjähriger Finanzchef Guido Kerkhoff die Details der Stahlfusion aushandelten, haben ausgerechnet die Industriesparten schlechtere Zahlen geliefert, die doch die Zukunft des Traditionskonzerns sein sollen. So brachte etwa das Geschäft mit Autoteilen in der ersten Hälfte dieses Geschäftsjahres weniger Gewinn ein als im Vorjahreszeitraum. Im Anlagen- und Schiffbau gehen weniger Aufträge ein, die Sparte rutschte im ersten Halbjahr in die Verlustzone.

Kurzfristig kommt es nun auf Interims-Vorstandschef Kerkhoff an. Der Betriebswirt machte einst bei Bertelsmann Karriere, stieg dann bei der Telekom in den Vorstand auf. Seit 2011 ist Kerkhoff bei Thyssenkrupp. Er wolle jetzt mit großer Ruhe die Lage stabilisieren, berichten Vertraute. Viel Zeit wird er nicht haben.

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