Thyssenkrupp:Kruppscher Stahl verschwindet nach 206 Jahren

Stahlwerk von ThyssenKrupp in Duisburg

Stahlwerk in Duisburg: Geld will Thyssenkrupp künftig mit Aufzügen, Autoteilen und Anlagen verdienen.

(Foto: Oliver Berg/dpa)
  • Thyssenkrupp spaltet seine Stahlwerke ab, und zwar in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Tata Steel.
  • Beide Konzerne wollen so auf dem überschwemmten Stahlmarkt bestehen, etwa indem sie gemeinsam günstiger Rohstoffe einkaufen.
  • Kaum ist die Fusion besiegelt, fordert der zweitgrößte Thyssenkrupp-Aktionär weitere Umbrüche - in Form von weiteren Abspaltungen.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Was hat der Stahl der Welt nicht alles beschert: Ohne das Gemisch aus Eisen und Kohle wäre die Eisenbahn nicht entstanden, gäbe es weder Hängebrücken noch Hochhäuser aus Stahlbeton. Und ja, ohne Stahl wären der Menschheit auch Panzerpaletten und Munition erspart geblieben. All das gehört dazu, wenn man den Aufstieg eines der bekanntesten Konzerne Deutschlands betrachtet: Thyssenkrupp. War es doch Friedrich Krupp, der vor gut 200 Jahren in Essen die erste Gussstahlfabrik hierzulande gegründet hat, den Ursprung einer Dynastie.

Nun trennt sich der Konzern von diesen Wurzeln. Thyssenkrupp lagert seine Stahlwerke in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Konkurrenten Tata Steel aus. Den entsprechenden Vertrag haben die Konzerne am Wochenende unterschrieben, nach langem Hin und Her. Gemeinsam wollen sie den zweitgrößten Stahlhersteller Europas schmieden, mit 48 000 Beschäftigten in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden. "Wir schaffen etwas Großes", sagte Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger vor Analysten. Die europäische Stahlindustrie steht vor der größten Fusion, seitdem sich Arcelor und Mittal vor gut zehn Jahren zusammenschlossen.

Was verrät es über die Lage der Branche, wenn der berühmte Kruppsche Stahl nicht mehr allein bestehen will im Wettbewerb? Was wird nun aus der Industrie-Ikone?

Mit ihrer Fusion reagieren die Konzerne auf ein erdrückendes Überangebot. Alle Stahlwerke der Welt könnten jährlich 2,3 Milliarden Tonnen Stahl produzieren, doch nachgefragt werden nur 1,6 Milliarden. Seit der Jahrtausendwende entstanden neue Werke vor allem in China, wo Löhne und Standards niedriger sind als im Westen. Nun sind viele Hütten schlecht ausgelastet. US-Präsident Donald Trump versucht, die amerikanische Stahlindustrie mit hohen Zöllen vom Weltmarkt abzuschirmen. Doch landet in Europa deshalb noch mehr Importstahl an. Kaum ein Staat will darauf verzichten, den so kriegsentscheidenden Werkstoff Stahl herzustellen.

Die deutsche Stahlindustrie schrumpft allerdings schon seit Jahrzehnten. Beschäftigte die Branche in den Sechzigerjahren noch 420 000 Stahlarbeiter, sind es heute bloß 85 000 Menschen. Die Hersteller haben neue Techniken entwickelt, Kosten gesenkt und immer wieder fusioniert: Thyssen und Krupp schlossen sich im Jahr 1997 zusammen. Zwei Jahre später fusionierten British Steel und die niederländische Koninklijke Hoogovens zur heutigen Tata Steel Europe. Wenn die Kartellbehörden zustimmen, wird aus den einst vier Herstellern bald ein einziger.

Bis zu 4000 Stellen sollen wegfallen, die Hälfte davon in Deutschland

In ihrem Gemeinschaftsunternehmen wollen Thyssenkrupp und Tata doppelte Ausgaben sparen, etwa für Vertrieb und Verwaltung. So sollen bis zu 4000 Stellen wegfallen, die Hälfte davon in Deutschland. Zudem setzen die Konzerne auf Größenvorteile, wenn sie gemeinsam Rohstoffe einkaufen. Diesen Zusammenschluss auszuhandeln, hat den Thyssenkrupp-Vorstand viel mehr Zeit und Nerven gekostet, als ursprünglich erwartet.

Kaum wurden die Fusionspläne vor gut zwei Jahren bekannt, stimmte Großbritannien überraschend für den Brexit, und der indische Tata-Konzern entließ plötzlich seinen Chef. Es dauerte bis Herbst 2017, ehe Thyssenkrupp und Tata eine Grundsatzvereinbarung schlossen. Daraufhin protestierten im Ruhrgebiet Tausende Stahlwerker gegen die Pläne. Bis Thyssenkrupp zusicherte, dass man bis ins Jahr 2026 keinen Arbeiter betriebsbedingt kündigen und keinen Standort schließen werde. Letztlich stimmten die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat geschlossen für die Fusion. "Ich bin froh, dass wir Klarheit haben", sagt Stahl-Betriebsratschef Tekin Nasikkol, "und die Beschäftigten nach einer ewig langen Zeit der Unsicherheit nun wissen, wohin die Reise geht."

Thyssenkrupp-Großaktionär fordert weitere Abspaltungen

Zudem haben Thyssenkrupp und Tata versprochen, dass sie zusammen mindestens acht Jahre lang die Mehrheit an dem Gemeinschaftsunternehmen halten werden. Nichtsdestotrotz dürfen die Konzerne Teile der Stahltochter an die Börse bringen. In dem Fall stehen Thyssenkrupp nun 55 Prozent der Einnahmen zu. Diesen Vorteil haben die Essener kurz vor Schluss ausgehandelt, weil ihre Stahlwerke den Gewinn zuletzt steigerten, während es bei Tata bergab ging. Beide Konzerne haben aber gleich viele Stimmrechte in ihrem Gemeinschaftsunternehmen, sodass Thyssenkrupp das krisenanfällige Stahlgeschäft künftig nicht mehr in der Konzernbilanz ausweisen muss.

Fortan wird der Konzern Geld damit verdienen, Stahl zu handeln und weiterzuverarbeiten: in Aufzüge und Rolltreppen, in Autoteile, Großanlagen und U-Boote. Diese Industriesparten gehören seit der Nachkriegszeit, als Thyssen und Krupp einstweilen ihre Hüttenwerke abgeben mussten, zum Konzern. Sie werfen stabilere Gewinne ab als das Stahlgeschäft. Zudem hat Thyssenkrupp nach der Abspaltung vier Milliarden Euro weniger Schulden.

Doch kaum hat der Konzern die Stahlfusion besiegelt, fordert sein zweitgrößter Aktionär Cevian weitere Umbrüche. Die schwedische Investmentfirma hält mehr als 15 Prozent der Thyssenkrupp-Aktien. Die Industriesparten des Konzerns müssten nun dringend profitabler werden, kritisierte Cevian-Gründer Lars Förberg am Sonntag. "Thyssenkrupp ist mit der Strategie des Konglomerats und seiner Matrix-Organisation gescheitert."

Der Großaktionär fordert, dass der Traditionskonzern weitere Abspaltungen prüfen solle. Maßgabe müsse die industrielle Logik sein, sagt Förberg, "und nicht Tabus, geschichtliche Entwicklung, Emotionen oder persönliche Ambitionen." Cevian schätzt, dass eine Thyssenkrupp-Aktie an der Börse 50 Euro wert sein könnte, wenn der Konzern die richtigen Entscheidungen treffen würde. Derzeit kosten die Papiere 21 Euro. "Die Geschäftsbereiche der Gruppe werden nur dann überleben und erfolgreich sein, wenn sie schlank und effizient aufgestellt sind", sagt Förberg, "und sich ohne die überzogenen Kosten und Bürokratie der Zentrale entfalten können."

Vorstandschef Hiesinger, 58, will schon Mitte Juli auf die Kritik reagieren und eine geschärfte Strategie für Thyssenkrupp vorlegen. Darin will der frühere Siemens-Manager auch klarere Finanzziele für die nächsten Jahre vorgeben, kündigte er gegenüber Analysten an. Kritische Investoren wie Cevian werden ihn daran messen.

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