Thyssen-Krupp-Konzern:Die Kraft des Stahls droht zu schwinden

ThyssenKrupp-Stahlwerk bei Rio de Janeiro

Thyssen-Krupp-Stahlwerk bei Rio de Janeiro: Der geplante Verkauf des Werks droht zu scheitern.

(Foto: dpa)

Verluste strapazieren die Konzernbilanz: Nur wenige Tage nach dem Tod von Berthold Beitz arbeitet Thyssen-Krupp daran, sich frisches Geld zu beschaffen. Schneller als erwartet will der Konzern neue Aktien verkaufen. Eine entscheidende Rolle spielt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

Von Kirsten Bialdiga und Ulrich Schäfer, Düsseldorf

Heinrich Hiesinger ist als Chef des angeschlagenen Ruhrkonzerns Thyssen-Krupp einiges gewohnt. Doch die Nachricht an diesem Tag im Mai übertrifft das auch für ihn schon normale Maß an Negativmeldungen bei Weitem. Im neuen brasilianischen Werk stehe plötzlich einer der beiden Hochöfen still, berichtet ihm ein Stahlvorstand per Telefon. Die Ursache sei noch unbekannt.

An jenem Tag muss sich Hiesinger einige Stunden gedulden, bis er weiß, was in Brasilien tatsächlich passiert ist. Wegen eines undichten Kühlaggregats zertrümmerte ein tonnenschwerer Brocken erkalteten Eisens die Blasformen, die normalerweise zur Zuführung von Luft gebraucht werden. Einströmendes Wasser ließ den Hochofen erkalten - viel schlimmer kann es bei der Stahlproduktion nicht kommen. Allein der Produktionsausfall kostet eine mittlere zweistellige Millionensumme.

Die Information platzt mitten in die ohnehin schwierigen Verhandlungen zum Verkauf der verlustreichen Hütte. Hiesinger versucht zurzeit, das fehlgeplante Werk in Brasilien und die ebenfalls neue Weiterverarbeitung im US-Bundesstaat Alabama so schnell wie möglich loszuwerden. Denn beide bedrohen die Existenz des Essener Konzerns mit seinen 150.000 Beschäftigten. Quartal für Quartal häuft die Tochter Steel Americas, die bereits 12 Milliarden Euro verschlungen hat, Verluste in dreistelliger Millionenhöhe an und strapaziert die Konzernbilanz aufs Äußerste. Schon jetzt steht Thyssen-Krupp kurz davor, infolge der hohen Verschuldung die Kreditbedingungen der Banken zu verletzen.

Vorbereitungen für Kapitalerhöhung laufen auf Hochtouren

Der Ruhrkonzern braucht deshalb recht bald frisches Kapital - und er könnte sich dies schneller beschaffen als bislang erwartet. Spätestens im September, möglicherweise aber schon im August, könnte das Unternehmen zwischen 800 Millionen und einer Milliarde Euro bei institutionellen Anlegern einsammeln, heißt es in Kreisen des Unternehmens und der Politik an der Ruhr. Manche halten es sogar für möglich, dass Thyssen-Krupp bereits nächste Woche zur Kapitalerhöhung ansetzen könnte, falls die Börse aufwärts weist.

Nur wenige Tage nach dem Tod von Berthold Beitz, dem 99-jährigen Patriarchen aus der Villa Hügel, der über Jahrzehnte hinweg die Geschicke des Unternehmens und der Krupp-Stiftung bestimmt hat, laufen die internen Vorbereitungen für die Kapitalerhöhung auf Hochtouren. Zurzeit würden verschiedene Modelle durchgespielt und ganz diskret Gespräche mit einem kleinen Kreis potenzieller größerer Investoren geführt, berichten Insider.

Zu jenen Investoren, mit denen geredet wird, soll auch die RAG-Stiftung zählen, die - geführt vom ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Werner Müller - seit einigen Wochen als Retter von Thyssen-Krupp im Gespräch ist. Sie könnte der Krupp-Stiftung dabei helfen, dass diese ihren dominierenden Einfluss bei Thyssen-Krupp auch nach der möglichen Kapitalerhöhung behält. Der Krupp-Stiftung gehören derzeit 25,3 Prozent der Aktien des Stahlkonzerns, ihr fehlt aber das Geld, um bei einer Kapitalerhöhung mitzuziehen; ihr Anteil am Konzern würde dadurch sinken.

Die RAG-Stiftung, die eigentlich für die Altlasten aus der Bergbau-Historie aufkommen soll, steht deshalb als Helfer parat. Ob und in welcher Form sie sich an einer Kapitalerhöhung beteiligt, ist aber noch unklar. Denkbar seien verschiedene Modelle. Ein Modell: Die RAG-Stiftung gewährt der Krupp-Stiftung ein besichertes Darlehen. Ein anderes: Die RAG-Stiftung steigt direkt bei Thyssen-Krupp ein und poolt ihre Aktien mit der Krupp-Stiftung.

Die RAG-Stiftung will dazu aber derzeit nichts sagen. Auch ein Sprecher von Thyssen-Krupp lehnte jeglichen Kommentar zu den Informationen ab.

Hannelore Kraft will Zerschlagung verhindern

Gelänge die Hilfsaktion der RAG-Stiftung nicht, wäre dies fatal. Denn dann verliert die Krupp-Stiftung ihre Sperrminorität bei Thyssen-Krupp. Das traditionsreiche Unternehmen, das im Jahr 1999 aus der Fusion von Thyssen und Krupp-Hoesch hervorgegangen ist, könnte dann zum Übernahmekandidaten werden. Dann könnte ein fremder Investor einsteigen und den Konzern womöglich zerschlagen. Denn Geschäfte wie Aufzüge, Anlagenbau oder Werften sind einzeln wertvoller, als es der aktuelle Börsenwert des Konzerns von fast neun Milliarden Euro widerspiegelt. "Dass dieser große Konzern Thyssen-Krupp umgeben von Gewitterwolken vor sich hin dümpelt, macht alle unruhig", heißt es in Aufsichtsratskreisen.

Ein solches Szenario wolle Hannelore Kraft um jeden Preis vermeiden, heißt es in informierten Kreisen. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin hat genug Probleme mit Opel in Bochum, wo schon Tausende Jobs auf dem Spiel stehen. Nach dem Tod des Krupp-Stiftungsvorsitzenden Beitz in der vergangenen Woche spielt Kraft die Schlüsselrolle, wenn es um die Zukunft von Thyssen-Krupp geht. Die Krupp-Stiftung untersteht der Landesaufsicht, Kraft ist Mitglied im Kuratorium. Die sozialdemokratische Politikerin hat zugleich auch einen Sitz im Kuratorium der RAG-Stiftung.

Während die Vorbereitungen für die Kapitalerhöhung voranschreiten, müht sich Hiesinger weiter, endlich die Stahlwerke in Übersee loszuschlagen. Eigentlich sollte dies bis Ende September geschehen. Aber es ist zweifelhaft, ob das gelingt. Seit Wochen laufen die Verkaufsgespräche mit dem brasilianischen Konkurrenten CSN, dem Joint-Venture-Partner Vale und der brasilianischen Entwicklungsbank. Doch jeder Fehler liefert den Brasilianern Argumente, um den Kaufpreis für die Hütten zu drücken - und um Thyssen-Krupp auch andere Zugeständnisse abzuringen.

Die Gespräche mit den Kaufinteressenten stocken

Und dann kam im Mai ausgerechnet der Ausfall des Hochofens. Es wurde klar, wie instabil das Stahlwerk nach wie vor ist. Beinahe acht Wochen dauerte es, um die gröbsten Schäden zu beheben. Mittlerweile ist der Hochofen zwar wieder in Betrieb, aber weitere Überraschungen seien noch nicht auszuschließen, heißt es. "Hier zeigt sich die gesamte Dramatik der Grundkonzeption. Die Prozesse sind so eng miteinander verzahnt, dass es keine Puffer gibt", sagt ein hochrangiger Manager. Und ein anderer ergänzt: "Die Komplexität ist enorm hoch und kann nur von einem absoluten Spitzenteam bewältigt werden."

Den Kaufinteressenten kam die Panne gelegen, um weiteren Druck auf Hiesinger auszuüben. Die Gespräche stocken. Knackpunkt sei neben dem Preis die Frage, wer nach dem Verkauf wie lange für die Folgekosten aufkommen soll, etwa für zukünftige Pannen und Betriebsrisiken. "In entscheidenden Fragen ist man noch weit auseinander", heißt es. Bis zu Hiesingers Wunschtermin Ende September könnte es demnach knapp werden. Für das Werk in Alabama hingegen gibt es weitere Interessenten - Arcelor-Mittal und Nippon Steel sollen zusammen mehr geboten haben als CSN. Erhielten sie den Zuschlag, wäre CSN an Brasilien wohl nicht mehr interessiert.

Hiesinger jedenfalls hat aus seinen Erfahrungen bei Thyssen-Krupp Schlüsse gezogen. Das Risiko negativer Überraschungen will er künftig so gering wie möglich halten. So bereitete der frühere Siemens-Vorstand den Thyssen-Krupp-Aufsichtsrat auch auf das denkbar schlechteste Endergebnis vor: dass für die brasilianische Hütte am Ende gar kein Verkaufspreis zu erzielen ist. "In der Vergangenheit", sagte ein Vertrauter Hiesingers, "war es ein großer Fehler, dem Aufsichtsrat nicht frühzeitig die unterschiedlichsten Szenarien zu präsentieren."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: