Thyssen-Krupp:Der letzte Hofstaat in Deutschland

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Berthold Beitz (vorne) lauscht im vergangenen Jahr in der Villa Hügel in Essen einer Rede: Der 99-Jährige ist Generalbevollmächtigter von Thyssen-Krupp. (Foto: dpa)

Noch thront oben der Kaiser, Berthold Beitz. Doch seine Zeit als Generalbevollmächtigter von Thyssen-Krupp läuft unweigerlich ab: Beitz muss sich Korruption und Misswirtschaft anrechnen lassen. Der Konzern sollte sich dringend von diesem Patriarchen befreien, wenn er überleben will.

Ein Kommentar von Caspar Busse

Thyssen-Krupp ist so etwas wie das letzte Relikt der Deutschland AG, einem Milieu, in dem Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen eng verflochten waren, in dem die wirkliche Macht bei einigen wenigen konzentriert war, in dem Management und Arbeitnehmervertreter oft auf ein und derselben Seite standen. Es war ein Milieu, das nicht mehr als unbedingt nötig um Transparenz bemüht war, das alles störte bloß. Das ist weitgehend Geschichte, in Essen aber bei Thyssen-Krupp lebt diese Welt weiter - bis heute. Ein besonders schlechtes Beispiel.

Viele Firmen haben in den vergangenen Jahren erkannt, dass es Zeit für einen Kulturwandel ist. Sie haben sich reformiert, neue Strukturen, neue Managementideen, neue Regeln für eine gute Unternehmensführung ("Corporate Governance") eingeführt. Nicht so Thyssen-Krupp: Gerhard Cromme war zwar Chef der Corporate-Governance-Kommission, er setzte derlei Regeln aber im eigenen Laden nicht beherzt um. Hier gab es bis zuletzt Vasallentum und Seilschaften, wie der vor zwei Jahren gekommene Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger kritisiert. Das Unternehmen bestehe aus vielen kleinen Königreichen, sagt er. Und oben thront der Generalbevollmächtigte respektive Kaiser, Berthold Beitz - noch. Die Zeit der Krupp-Stiftung, die mit 25 Prozent der Anteile alles blockieren kann, und die von Beitz läuft unweigerlich ab.

Willkommen bei Thyssen-Krupp, dem letzten Hofstaat in Deutschland. Hier geht es noch zu wie früher: Berthold Beitz, der auf Lebenszeit ernannte, mittlerweile 99-jährige Testamentvollstrecker des letzten Krupp-Alleininhabers Alfried von Bohlen und Halbach, senkte plötzlich den Daumen über Cromme. Eiskalt servierte er den langjährigen Vorsitzenden des Aufsichtsrats und Weggefährten ab - ohne ein Wort der öffentlichen Erklärung. Erst einige Wochen zuvor hatte er ihm noch die Treue erklärt: "Cromme bleibt", das waren die Worte von Beitz.

Die jüngsten Vorgänge in Essen zeigen: Dieser Konzern muss sich dringend reformieren, wenn er überhaupt eine Chance auf ein Überleben haben will. Er muss sich ganz schnell aus der ewigen Umklammerung des Großaktionärs, der Krupp-Stiftung, und dessen Patriarchen Beitz befreien. Thyssen-Krupp muss ein "normales" Unternehmen werden, der Rücktritt von Cromme ist richtig, aber das kann nur der Anfang sein.

Thyssen-Krupp wird noch immer wie eine bessere Familienfirma geführt

Thyssen und Krupp sind nicht irgendwelche Namen, sie stehen wie nur wenige für deutsche Wirtschaftsgeschichte - im Guten wie im Schlechten. Es begann vor mehr als 200 Jahren in Essen mit der Gründung einer Gussstahlfabrik durch Friedrich Krupp. Es folgten die stürmische Industrialisierung Deutschlands, die Blüte beider Unternehmen im Kaiserreich und danach die Verstrickung mit dem Naziregime, schließlich der Wiederaufstieg in den Wirtschaftswunderjahren, die weltweite Expansion der Geschäfte und die große Krise, die 1999 zum Zusammenschluss der beiden Firmen führte. Noch immer ist Thyssen-Krupp mit mehr als 150.000 Mitarbeitern der größte Stahlkonzern und eines der wichtigsten Industrieunternehmen in Deutschland, eine riesige Nummer gerade im Ruhrgebiet. Aber die Firma ist in einer existenzbedrohenden Krise, sie macht Milliardenverluste, sie kämpft mit mehreren Korruptionsaffären - und wird noch immer wie eine bessere Familienfirma geführt.

Natürlich hat sich Beitz in seinem langen Krupp-Leben viele Verdienste erworben: Er hat die Firma durch manche Krise geführt. Er hat mit der Krupp-Stiftung viel Gutes getan, Kultur, Sport und Wissenschaft gefördert. Doch seine Bilanz beim fusionierten Konzern Thyssen-Krupp ist nicht golden. Der Wandel im Unternehmen ist seit langem blockiert, es blühten offenbar Korruption und Misswirtschaft, schlimme Fehlentscheidungen haben das Unternehmen an den Abgrund geführt. Wirksame Kontrolle fand offenbar nicht statt.

Das alles muss sich auch Beitz anrechnen lassen; man kann nicht der finale Strippenzieher im Hintergrund sein, mit den Katastrophen aber nichts zu tun haben wollen. Ohnehin sind die Interessen von Stiftung und von Thyssen-Krupp nicht dieselben. Beitz beharrte immer auf einer möglichst hohen Dividende, denn davon wurden die Wohltaten der Stiftung finanziert. Thyssen-Krupp dagegen hätte das Geld gut brauchen können Zudem blockiert die Stiftung seit langem eine Kapitalerhöhung, weil sonst ihr eigener Anteil reduziert würde.

Thyssen-Krupp aber braucht dringend Geld, neue Aktionäre, frischen Wind. Berthold Beitz wird sich zurückziehen müssen. Er muss den Weg frei machen, damit die Deutschland AG ein für alle mal Vergangenheit ist.

© SZ vom 12.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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