Textilproduktion:Für mehr als eine Blechhütte reicht es nicht

Arbeiterinnen in der Textilbranche in den südasiatischen Ländern müssen nach wie vor zu Hungerlöhnen schuften.

Von Markus Mayr, Berlin

Die Schreckensbilder aus der Textilfabrik im Rana Plaza- längst verblasst. Die wenigsten Menschen erinnern sich noch an die immense Zahl der Todesopfer. Vier Jahre ist es her, dass das Hochhaus in Sabhar, Bangladesch, eingestürzt ist. Mehr als 1100 Arbeiterinnen und Arbeiter starben bei der Katastrophe. Einiges hat sich seither getan in den Fabriken im Süden Asiens, wo Heerscharen vor allem junger Frauen jene Kleidung nähen, die westliche Modelabels für ihre westlichen Kunden in die Filialen hängen. Mehr als 200 dieser Auftraggeber, darunter alle namhaften europäischen Marken, haben sich nach dem Unglück dazu verpflichtet, für Gebäudesicherheit und Brandschutz bei ihren Zulieferern zu garantieren. An den miserablen Arbeitsbedingungen der Näherinnen selbst aber hat sich wenig geändert.

Regionale Gewerkschaften wollen das ändern. Rückendeckung gibt ihnen dabei die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Keine Unterstützung oder sogar Gegendwind erhalten sie dagegen angeblich von europäischen Modelabels, darunter die Kette Hennes & Mauritz (H&M). So zumindest lautet der Vorwurf, den Gewerkschafter von Verdi, aus Indien und Bangladesch am Freitag in Berlin vorgebracht haben. Noch immer würden Angestellte bei Zulieferern in Indien, Bangladesch aber auch Sri Lanka bedroht, wenn sie "Gewerkschaften gründen oder sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen", sagte Stefanie Nutzenberger, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand. H&M und die anderen Modeunternehmen sieht sie in der Pflicht, "auf ihre Zulieferer Druck auszuüben", die Repressionen, wie zum Beispiel willkürliche Entlassungen, zu beenden und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Und die sind nach den Erzählungen der indischen Gewerkschaftsvorsitzenden Prathibha Ramanath zufolge erbärmlich.

Der Lohn reiche gerade einmal für eine Blechhütte, sagte Ramanath, Grundfläche zehn Quadratmeter, ohne Küche, ohne Toilette. Mehr gäben die 108 Euro kaum her, die die Textilarbeiterinnen in Indien per Gesetz monatlich mindestens verdienen müssen. Bei zwölf bis 15 Stunden Plackerei täglich. In Bangladesch sei es nicht anders, dort betrage der Mindestlohn in der Textilbranche 59 Euro im Monat. "Elendslöhne" seien das, sagte Ramanath. Und um die zu steigern und das Arbeitsleben lebenswerter zu machen, davon ist Ramanaths Amtskollege aus Bangladesch überzeugt, müssen funktionierende gewerkschaftliche Strukturen her. Nur so könne dieser Elendszustand überwunden werden, sagte Amirul Haque Amin. Er erwarte von den westlichen Modeunternehmen, dass sie ihren "wohlklingenden Versprechungen" endlich Taten folgen lassen und "dafür sorgen, dass die Zulieferer unsere Rechte achten".

Anfang vergangener Woche erreichte H&M Deutschland ein offener Brief, gezeichnet von Verdi und den Gewerkschaften aus Bangladesch und Indien. Darin äußerten die Verfasser den beschriebenen Vorwurf und fordern das Unternehmen auf, Verantwortung zu übernehmen. "Die Modemarken sind die entscheidenden Akteure in der Zuliefererkette", erklärte Amin. Mit der Art, wie sie ihre Bestellungen bei den Fabrikanten in seiner Heimat platzierten, könnten sie direkten Einfluss auf den Arbeitsalltag dort nehmen. Ein Beispiel: Wenn das Modelabel seine Vorgaben für die Produktion in Bangladesch herunterschraubt, also zum Beispiel weniger Hosen pro Tag genäht haben will, nimmt es automatisch den Leistungsdruck aus den Fabrikhallen, die Arbeitszeit könne somit sinken.

H&M weist die Vorwürfe auf Anfrage zurück und lässt mitteilen, dass sich das Unternehmen "absolut bewusst" sei, "dass wir mit unseren Einkaufspraktiken die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben mitbeeinflussen". Deshalb überprüfe man zum Beispiel die Produktionskapazitäten, um sicherzustellen, dass faire Löhne gezahlt werden könnten. Zudem engagiere sich das Unternehmen "seit vielen Jahren für Arbeitnehmerrechte in Bangladesch", mit vielen Leuten im Produktionsbüro am Ort und auch in internationalen Initiativen.

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