Textilindustrie in Bangladesch:Mitleidlose Abzocker

Factory fire kills at least nine in Bangladesh

Vor ein paar Tagen brannte es in einer Textilfabrik am Rand von Dhaka. Angehörige sind verzweifelt.

(Foto: dpa)

Auch ein halbes Jahr nach der verheerenden Brandkatastrophe hat sich in der Textilindustrie in Bangladesch kaum etwas verändert. Internationalen Firmen schieben die Verantwortung weiter ab. Nun müssen die Verbraucher reagieren.

Ein Kommentar von Karin Steinberger

Die Katastrophe ist noch nicht mal sechs Monate her, aber das ständig auf Hochtouren rotierende, mit vielen Katastrophen und Belanglosigkeiten überfütterte Weltgedächtnis hat sie schon fast wieder verdrängt. Ach ja, die Näherinnen aus Bangladesch. Soll man die Hosen jetzt kaufen oder nicht?

Mehr als 1120 Menschen starben am 24. April 2013 im Rana Plaza. Sie wurden aus dem Schutt gezerrt, in eine lange Reihe gelegt, mit weißen Tüchern bedeckt, zu ihren staubigen Füßen trauerten die Angehörigen, die damals wohl schon ahnten, dass sie auch diesmal den Preis zahlen werden für die Gier der anderen. Glück hatten diejenigen, die aus den Betontrümmern rausgeschnitten wurden, ohne Arme, ohne Beine, aber lebendig.

Es war die bislang größte Industriekatastrophe in der Geschichte von Bangladesch. Das Entsetzen war damals so groß, dass die meisten der im Land produzierenden Textilunternehmen erstaunlich schnell zusagten, das Abkommen für Gebäudesicherheit und Brandschutz zu unterschreiben. Ein Abkommen, das sie jahrelang nicht interessiert hatte. Nur PVH (Calvin Klein, Tommy Hilfiger) und Tchibo hatten schon vor dem Einsturz unterzeichnet. Die anderen spielten auf Zeit - bis ihnen die Arme der Toten aus den Trümmern der Fabriken entgegenragten.

Plötzlich war es sehr schlecht fürs Geschäft, nicht zu unterschreiben. Also bekannten sich auch Firmen wie Kik, Primark, Otto, Aldi, Lidl, Zara, Benetton und H&M zu dem Abkommen. Es war der Druck der Öffentlichkeit, die Wut der eigenen Kunden, die Angst vor Gewinnverlusten, die Macht der Käufer. Nicht etwa Einsicht oder Mitgefühl.

Fast sechs Monate sind seitdem vergangen, die unabhängigen Sicherheitsinspektionen laufen schleppend an, es war schon ein Kraftakt, eine Liste von 1600 Fabriken zu erstellen. Nur das Geschäft geht munter weiter. Das ist wichtig für Bangladesch, das vergangenes Jahr zum drittgrößten Lieferland für den deutschen Einzelhandel aufgestiegen ist. Vier Millionen Menschen arbeiten in der Textilbranche, davon 80 Prozent Frauen, die keine andere Möglichkeit haben, Geld zu verdienen.

Es geht also nicht darum, in andere Billigländer mit ebenso schlechten Bedingungen auszuweichen, oder keine Kleidung mehr zu kaufen, die in Bangladesch hergestellt wird. Das Geschäft soll weitergehen, aber zu menschlichen, fairen, nicht lebensbedrohlichen Bedingungen. Und in Fabriken, die sich nicht jederzeit in Todesfallen verwandeln können.

Arbeiterinnen schuften 19 Stunden am Tag

Als man sich Mitte September in Genf zusammensetzte, um die Entschädigungssummen zu verhandeln, kamen gerade mal neun von 28 geladenen Firmen. Nach zwei Tagen beschloss man, erst mal nichts zu beschließen. Seitdem geht es hin und her, in Genf und Dhaka, per Videoschalten oder bei Telefonkonferenzen. Es wird geschachert, wie viel ein Menschenleben wert ist - und wie viel ein Mensch, der keine Arme und keine Beine mehr hat.

Adler Modemärkte sagt, man habe gespendet: aber niemand weiß an wen. Benetton sagt, man wolle unter anderem künstliche Gliedmaßen und Psychologen zur Verfügung stellen: aber niemand weiß wann. Die meisten Firmen beobachten die Sache aus der Ferne - und warten. Die Arbeiter, die damals das Glück hatten zu überleben, liegen jetzt als verkrüppelte Restmenschen in den ärmlichen Hütten ihrer Familien: unbrauchbare, zusätzliche Esser. Manche wurden mit einer Nähmaschine und zehn Euro abgespeist.

Der Markt ist verlogen, mitleidlos und gierig. Die Bezahlung der Arbeiterinnen in Bangladesch ist noch immer der Witz. Die großen Abzocker sind die internationalen Firmen, die bei jedem Unfall wie kleine Kinder auf andere deuten. Als sich vor Kurzem ein BBC-Reporter in eine Fabrik einschlich, in der Jeans und Latzhosen für Lidl genäht wurden, als er sah, dass die Arbeiterinnen dort 19 Stunden am Stück arbeiten mussten und dass sie eingesperrt wurden, in eine Fabrik, in der es vor ein paar Wochen erst gebrannt hatte, kam aus der Lidl-Zentrale der schöne Satz, es sei wichtig, die Arbeitsbedingungen in Bangladesch zu verbessern. Ist das Zynismus? Oder Menschenverachtung?

Vor ein paar Tagen brannte es wieder in einer Textilfabrik am Rand von Dhaka, sieben Leichen wurden bislang gefunden, fünfzig Arbeiter wurden verletzt. Offensichtlich zu wenige, um die Welt aufzuschrecken. Am Ende liegt es wieder allein am Kunden, zu sagen: Macht etwas, oder ich kaufe woanders.

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