Teure Alltagsprodukte:Alles de luxe

Popcorn

Popcorn und Bier zu Preisen, die utopisch erscheinen. Es geht längst nicht mehr um den Nutzwert - der Preis selbst macht die Ware attraktiv.

(Foto: PR)

Popcorn und Klopapier gibt es nicht teuer? Falsch! Der Luxus-Wahnsinn hat inzwischen auch die banalsten Alltagsprodukte erfasst. Hauptsache, man gehört nicht zu den Normal-Essern und der Nachbar ist neidisch. Ein Überblick.

Von Malte Conradi

Die Soziologen, sie müssen alle miteinander irren. Luxus, sagen sie gemeinhin, das sei alles, was über das Notwendige hinausgehe. Kann ja nicht sein, denn dann würde doch der Großteil der Europäer das Gefühl haben, ständig in Luxus zu schwelgen. Oder zählen Fernreisen, Kaffee-Vollautomaten oder Öfen mit Pizzastein jetzt zum Notwendigen? Sobald die Grundbedürfnisse gestillt sind, verliert die alte Luxus-Definition an Bedeutung.

Daher ein Alternativ-Vorschlag: Luxus ist das, was man sich gerade nicht leisten kann, das, wovon man träumt. Vor 60 Jahren war das vielleicht die Waschmaschine oder der Fernseher, heute muss es schon eine Grotte mit Wasserfall im Keller-Spa sein. Natürlich mit Massage-Funktion. Wobei es mit der vermutlich ist wie mit der Waschmaschine: Wenn man sie einmal hat, wird sie schnell ziemlich öde und fängt an zu müffeln.

Also noch ein Definitions-Vorschlag: Luxus ist, was von unten atemberaubend aussieht und langweilt, sobald man es besitzt. Wer hätte denn nicht bald festgestellt, dass man den Champagner aus der Bordbar des neuen Geländewagens gar nicht trinken kann, weil er so durchgeschüttelt wird bei der Fahrt von Boutique zu Boutique.

Es geht nicht um Dinge - sondern um ihr Preisschild

Warum die meisten Menschen trotzdem ständig irgendeiner Vorstellung vom luxuriösen Leben nachhecheln? Weil - das wissen Soziologen schon lange - es gar nicht um die Dinge geht. Sondern um ihr Preisschild. Das grenzt ab - vom Kollegen, vom Nachbarn, von den Neureichen, von wem auch immer.

Dass inzwischen der Preis und nicht mehr das Produkt das echte Statussymbol ist, sieht man schon daran, dass Unternehmen ab einer bestimmten Ebene tatsächlich darum wetteifern, am teuersten zu sein. So behaupten zahlreiche Luxushotels rund um den Globus, in ihrer Bar gebe es den teuersten Cocktail der Welt. Dass sie einen beliebigen vierstelligen Preis am Ende vor allem damit rechtfertigen, dass am Boden des Glases ein Diamant liegt, ist dann auch egal. Hauptsache immer teurer.

Und deshalb ist natürlich auch das ganze Gerede von der Demokratisierung des Luxus Quatsch. Wenn alle Champagner trinken können, weil es den bei Aldi billig gibt, trinken die wirklich Reichen eben wieder deutschen Jahrgangssekt. Oder irgendetwas ganz anderes.

Schnell muss eine Steigerung her

Dass sie dieses Wettrennen nie gewinnen können, mag frustrierend sein für die Normalverdiener und Durchschnittsreichen. Aber auch mit denen ganz oben müsste man mal Mitleid haben. Schließlich sind sie die Getriebenen, denen ständig der Pöbel im Nacken sitzt. Der kann sich jetzt nämlich auch Ledersitze leisten. Und der Nachbar hat schon wieder ein neues Weingut. Da muss schnell eine Steigerung her.

Und so geht die Jagd nach dem irrsten Statussymbol immer weiter, bringt immer abstrusere Neuerungen hervor und erschüttert schließlich sogar die Glaubenssätze der Ökonomie: Dem Lehrbuch zufolge stehen ganz unten in der Produkt-Hierarchie die sogenannten Güter des alltäglichen Bedarfs. Das sind Dinge, die der Konsument ohne weiteres Nachdenken kauft, und die der Produzent massenhaft und billig anbietet. Also Wasser, Brot, Zahnpasta, Toilettenpapier, Benzin und so weiter.

Aber irgendwann muss es denen, die scheinbar im Luxus leben, so langweilig geworden sein in ihren Flugzeugen, Villen und Schwimmteichen, dass sie die Verfeinerung auch hier suchten. Manche Dinge gibt es einfach nicht in teuer? Wenigstens vor dem Bierregal ist man in Sicherheit vor dem Luxus-Wahn? Damit ist es leider vorbei.

Unappetitlich, obszön und lächerlich? Völlig Egal

Klar, superteuren Tee oder Kaffee gab es wohl schon immer, besonders, als diese Getränke in Europa noch eine Rarität waren. Geradezu als Hohn könnte man aber empfinden, dass es seit einiger Zeit offenbar als besonders lässig gilt, sich des Essens der Unterschicht zu bemächtigen und es in ein Luxusprodukt zu verwandeln. Eine Pizza oder ein Burger für Hunderte Dollar? Kein Problem. Dann sind sie eben belegt mit Hummer, Trüffeln, Kaviar. Unappetitlich, obszön und lächerlich? Völlig egal, solange die Abgrenzung zum Normal-Esser am Nachbartisch gelingt.

Dieser Effekt funktioniert sogar im heimischen Badezimmer, wo in aller Regel ja wirklich niemand beeindruckter Zeuge der luxuriösen Eskapaden des Bewohners wird. Die Aura der besonderen Produkte überträgt sich auf den Menschen, der sich mit ihnen umgibt, meinen Luxusforscher. Warum sonst sollte man ein Tube Zahnpasta für 100 Dollar kaufen? Doch wohl nicht, weil man glaubt, sie putze besonders gut.

Immerhin gesamtwirtschaftlich gesehen hat diese durchdrehende Überbietungslogik angeblich etwas Gutes. Bis 2025 soll das Geschäft mit dem Luxus jedes Jahr um etwa neun Prozent zulegen, sagen die Unternehmensberater von Bain & Company voraus. Etwa 1,5 Billionen Euro werden schon jetzt jährlich in der Branche umgesetzt. "Luxus muss sein. Wenn die Reichen nicht viel verschwenden, verhungern die Armen", schrieb der französische Philosoph Charles de Montesquieu schon im 18. Jahrhundert.

Oder anders gesagt: Wenn es schon Superreiche gibt, dann sollen sie das Geld wenigstens auch ausgeben. Und sei es für goldenes Toilettenpapier.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: