Tesla:Das Vertrauen in das autonome Fahren ist durch den Tesla-Unfall dahin

Tesla Introduces Self-Driving Features With Software Upgrade

Autos fahren bereits autonom. Doch noch immer braucht es Kontrolle durch den Menschen.

(Foto: Bloomberg)
  • Nach dem ersten Todesfall durch ein selbstfahrendes Auto sind die Hersteller verunsichert.
  • Die Technologie ist zwar weit vorangeschritten, doch noch immer kann etwas schiefgehen, wenn der Mensch das Fahrzeug nicht kontrolliert.
  • Die Hersteller setzen mit aller Kraft auf die Technologie. Dabei ist unklar, ob die Menschen ihr wirklich vertrauen werden.

Von Claus Hulverscheidt, New York und Thomas Fromm

Als sich die Sache nicht länger im kleinen Kreis halten ließ, flüchtete sich Elon Musk in die Welt der Statistik. 130 Millionen Meilen, 210 Millionen Kilometer also, sei alles gut gegangen, hieß es in einem Blogeintrag des kalifornische Elektroautoherstellers Tesla, den Firmengründer Musk in der Nacht zu Freitag über den Kurzmitteilungsdienst Twitter verbreitete. Dabei komme es auf den Straßen der USA rein rechnerisch alle 94 Millionen Meilen zu einem tödlichen Unfall, weltweit betrachtet sogar alle 60 Millionen. Relativ gesehen, so die Botschaft von Tesla, sei die Fahrt mit einem ihrer halbautomatischen Pkw also immer noch sehr sicher.

Relativ gesehen. Praktisch gesehen könnte man auch ganz nüchtern sagen: Erstmals ist bei einer Tour mit einem computergesteuerten Auto ein Mensch ums Leben gekommen. Und unmittelbar schuld daran war offenbar kein Wesen aus Fleisch und Blut, das den Überblick verloren hätte - ein Fußgänger etwa oder der Lenker des anderen Fahrzeugs. Schuld war wohl der Tesla-Computer, der eine Situation falsch einordnete und seinen Besitzer damit in den Tod schickte. Die US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA ermittelt bereits, womöglich wird Tesla Zehntausende Autos zurückrufen müssen.

Der folgenschwere Unfall ist für das gesamte Projekt des autonomen Fahrens, eine der wichtigsten industriepolitischen Innovationen des 21. Jahrhunderts, ein herber Rückschlag. Natürlich war immer klar, dass eines Tages ein Auto, das ganz oder - wie in diesem Fall - teilweise vom Computer gelenkt wird, den Tod eines Menschen verursachen würde. Doch die Erzählung der Branche war stets eine andere gewesen: Autonomes Fahren, so hieß es, mache die Welt sicherer, weil die Technologie den größten Risikofaktor im Straßenverkehr aus dem Spiel nehme: den Menschen.

Solche Unfälle passieren häufiger

Tatsächlich war es bisher meist so gewesen. Bei den harmlosen Unfällen, in die etwa die vollautomatischen Testwagen des Tesla-Konkurrenten Google schon verwickelt waren, hatte stets menschliches Fehlverhalten den Ausschlag gegeben. Mal nahm ein einbiegendes Fahrzeug dem eiförmigen Google-Auto die Vorfahrt. Mal vertraute ein Google-Testfahrer dem eigenen Computer nicht und stieg so robust in die Eisen, dass ihm der nachfolgende Wagen hinten rein rauschte.

So richtig die Botschaft vom beschränkten Menschen und dem weitaus klügeren Computer in der Theorie sein mag, so sehr zeigt der Tesla-Unfall nun, dass die Praxis vielschichtiger ist. Und was die Sache für Musk und sein Unternehmen noch schlimmer macht: Die Umstände, die am 7. Mai das tödliche Geschehen auf einer vierspurigen Bundesstraße in Florida auslösten, waren mitnichten so "extrem ungewöhnlich", wie Tesla sie jetzt darzustellen versucht. Es war vielmehr ein zwar trauriger, aber doch ein Unfall, der ziemlich oft passiert.

Laut Polizei war ein Sattelschlepper nahe der Ortschaft Williston gerade dabei, nach links in eine Nebenstraße abzubiegen, als der entgegenkommende Tesla ungebremst in ihn hinein krachte. Das Auto geriet unter den Auflieger, die Windschutzscheibe barst, das Dach wurde eingedrückt. Dann schoss der Wagen auf der anderen Seite des Lkw wieder heraus, kam von der Fahrbahn ab, durchbrach zwei Zäune und drehte sich, bevor er mit der Front in Richtung Straße zum Stehen kam.

Hat der Fahrer seine Pflicht als Aufpasser verletzt?

Vielleicht wird sich nie ganz klären lassen, warum weder die vielen Sensoren und Kameras am Auto, noch dessen Besitzer Joshua David Brown den riesigen Laster sahen, der sich ihnen in den Weg stellte. Tesla vermutet, dass Auto wie Fahrer die weiße Plane des Aufliegers im hellen Sonnenlicht mit dem Himmel verwechselt haben könnten. Möglicherweise wurden sie auch von der Sonne geblendet. Wäre der Pkw stattdessen auf die Front oder das Heck des Lkw zugefahren, schreibt Tesla jetzt im Firmenblog, "dann hätte das moderne Sicherheitssystem einen schweren Unfall mit ziemlicher Sicherheit verhindert - wie es das in der Vergangenheit schon in vielen Fällen getan hat."

So verständlich der Erklärungsversuch ist: Im Grunde macht er die Sache noch schlimmer, denn er bedeutet ja, dass man sich mit einem ganz oder teilweise selbstfahrenden Auto einem anderen Fahrzeug besser nicht von der Seite nähern sollte. Die Aussagen des Unternehmens bieten zudem keine Antwort auf die Frage, warum Brown nicht eingriff: Er hätte schließlich selbst dann bremsen können, wenn er geblendet worden wäre. Dass er die Plane tatsächlich mit dem Himmel verwechselte, ist jedenfalls kaum vorstellbar.

Seit selbststeuernde Autos im echten Betrieb oder zu Testzwecken auf den Straßen der Welt unterwegs sind, hat es immer wieder Fälle gegeben, in denen die Fahrer sich mit anderen Dingen befassten, statt den Computer und die Richtigkeit seiner Entscheidungen zu überwachen. Manche duckten sich, um Menschen im Auto daneben zu erschrecken. Andere lasen ein Buch oder starrten auf ihre Handys. Von Joshua Brown, der nur 40 Jahre alt wurde, heißt es inoffiziell, er habe im Moment des Unfalls einen Harry-Potter-Film geschaut. Ob das stimmt, ist unklar. Zumindest hätte er diesem Fall seine Pflichten als Aufpasser des Autopiloten grob verletzt.

Die Mehrheit kann sich gar nicht vorstellen, die Kontrolle abzugeben

Tesla zufolge ist das System, das Autos mit Hilfe von Kameras und Sensoren automatisch die Spur wechseln, die Geschwindigkeit verändern und bremsen lässt, noch im Versuchsstadium. Wer es einschalte, werde automatisch ermahnt: Hände ans Lenkrad! Das System sei "nicht perfekt und erfordert vom Fahrer, wachsam zu sein", heißt es in dem Blogeintrag.

Vielleicht vertraute Brown, der sein Modell S liebevoll "Tessi" nannte, dem Autopiloten mehr, als er es hätte tun sollen. Immer wieder hatte er im Internet Videos veröffentlicht, die zeigen, wie die Steuerung brenzlige Situationen ohne sein Eingreifen meisterte. Tesla-Chef Musk war für die kostenlose Werbung so dankbar, dass er den Link zu einem der Filme selbst weiter verbreitete. Nun blieb dem Firmengründer nicht mehr, als der Familie des Verstorbenen via Twitter sein "Beileid für den tragischen Verlust" auszusprechen.

"Der Unfall ist sehr traurig", sagte am Freitag auch BMW-Chef Harald Krüger. Er zeige aber auch, dass die Technik bislang noch nicht ausgereift sei. Krüger betonte, dass bei BMW Sicherheit immer an erster Stelle stehe. Dass der Autobauer aus München ausgerechnet an dem Tag, an dem der tödliche Unfall in Florida bekannt wurde, in seinem Forschungszentrum in Garching bei München zu einer Veranstaltung zum autonomen Fahren geladen hatte, war unter PR-Gesichtspunkten sicher nicht ideal. Der Konzern will gemeinsam mit dem Chiphersteller Intel und dem israelischen Kameratechnik-Spezialisten Mobileye bereits in fünf Jahren ein selbstfahrendes Serienmodell auf den Markt bringen. Der Autopilot soll "nicht nur auf Autobahnen, sondern auch in städtischen Umgebungen" funktionieren. Krüger sagte, die Partnerschaft sei nach dem Kauf des Kartendienstes Here zusammen mit Audi und Daimler der nächste große Schritt, um vollkommen autonomes Fahren zu verwirklichen. Intel-Chef Brian Krzanich erklärte, um Unfälle zu vermeiden, brauchten die Autos starke und verlässliche elektronische Gehirne. Um die Technik alltagstauglich zu machen, werde man aber noch fünf Jahre brauchen. "Nach unserer Einschätzung lässt der heutige Stand der Technologie noch keine Serienfahrzeuge zu, die im Straßenverkehr automatisch und ohne Unterstützung des Fahrers sicher fahren können", so Krüger. BMW, Intel und Mobileye wollen nun gemeinsam einen Standard schaffen, der dann anderen Autobauern angeboten werden kann.

Denn auch für die übrigen deutschen Hersteller sieht die Zukunft ähnlich aus, wie Krüger sie sich vorstellt: elektrisch und autonom. VW-Chef Matthias Müller etwa will Milliarden investieren, um mit strombetriebenen, selbststeuernden Autos aus der Dieselkrise zu fahren. Die neue E-Klasse von Daimler kann schon heute allein überholen und sich selbstständig an Verkehrszeichen entlang orientieren. Doch neben technischen sind auch viele juristische Fragen noch immer unbeantwortet - etwa die, wer im Falle eines Unfalls, wie er jetzt in den USA passiert ist, haften soll. Der Fahrer, der gar nicht fuhr? Der Hersteller? Die Software-Firma, die zugeliefert hat?

Trotz solcher Probleme will Daimler schon bald Lkw verkaufen, die selbständig in langen Kolonnen über die Autobahnen rollen. Statt zu lenken, können die Fahrer dann am Tablet ihre Fracht- und Grenzpapiere ausfüllen. Auch im Elektro-BMW der nächsten Generation soll der Fahrer nicht nur die Hände vom Lenkrad nehmen, sondern sich ganz anderen Dingen widmen können. Harry Potter zum Beispiel. Joshua Brown, der solche Zukunftsversprechen offenbar schon für die Gegenwart hielt, musste für das Missverständnis einen hohen Preis zahlen. Den höchsten.

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