Tengelmann:Schaulaufen in Berlin

German Economy Minister Gabriel arrives to the Chancellery in Berlin

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel muss die Entscheidung treffen, ob Edeka und Tengelmann ein Unternehmen werden dürfen.

(Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Wer darf die Supermärkte von der Unternehmensgruppe übernehmen? An diesem Montag kommt es zur entscheidenden Anhörung.

Von Michael Kläsgen

So viele Emotionen! Klar, es geht um den Supermarkt nebenan und um 16 000 Arbeitsplätze. Aber auch so viel Komplexität! Das kommt im Wirtschaftsleben häufiger vor, aber diesmal ist es extrem. Mehr als 10 000 DIN-A4-Seiten füllt der Fall. Bei der Anhörung in Sachen Tengelmann an diesem Montag geht es also um viel, aber längst nicht um alles. Die "öffentliche, mündliche Verhandlung im Ministererlaubnisverfahren Edeka/Kaiser's Tengelmann", wie die Anhörung offiziell heißt, ist der letzte Akt in einem Drama, das sich seit mehr als einem Jahr hinzieht. Aber sie ist auch eine Formsache.

Gabriel ist einer, der sich in das Thema persönlich einarbeitet

Sie ist im Verfahren gesetzlich vorgeschrieben. Viele Mitarbeiter von Kaiser's glauben, hoffen oder fürchten (Emotionen!) , dass der Minister kurz danach entscheiden wird, jedenfalls noch im November. Eine Frist sieht das Gesetz jedoch nicht vor. Es könnte genauso gut sein, dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) seine Entscheidung bis Ende des Jahres bekannt geben will. Justus Haucap, Professor am Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE), hält diese Variante für plausibel. Je nachdem, wie es mit den Flüchtlingen oder Griechenland weitergeht oder wenn noch ein anderes Thema aufkommt, könnte es auch noch später werden, also nächstes Jahr.

Ist die Entscheidung dann verkündet, steht der Rechtsweg offen. Die unterlegenen Parteien können die Entscheidung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf anfechten. "Es ist alles offen", sagt der Wettbewerbsökonom Haucap, der bis 2012 der Monopolkommission vorsaß. Dieses unabhängige Gremium berät die Bundesregierung und lehnt die Übernahme der 451 Kaiser's-Tengelmann-Filialen durch Edeka ab. Der Grund: Es stünden in manchen Regionen zu viele Edekas und Kaiser's zu nah beieinander. Die Wahrscheinlichkeit, dass langfristig Filialen geschlossen werden, sei daher hoch. Das Votum ist zwar für die Regierung nicht bindend. Die Historie der bisher 21 Ministererlaubnis-Verfahren zeigt aber, dass sie es meist tat. Haucap meint aber trotzdem: "Jedes Verfahren ist ein Einzelfall."

Gabriel, das glauben viele Beteiligte, ist einer, der sich in das Thema persönlich einarbeitet, ehe er entscheidet. Der Anhörung wird er "beiwohnen", wie eine Sprecherin sagt, wenn nichts Wichtigeres dazwischenkommt. Da hat er sich einiges vorgenommen. Insgesamt 15 Parteien sind geladen, zwei Befürworter (Edeka und Tengelmann) und 13 Gegner (unter anderen die Konkurrenten Rewe, Norma, Coop sowie der Bauernverband). Sie alle haben das Recht, ihre Standpunkte nochmals darzulegen. Fast alle haben angekündigt, in hochkarätiger Besetzung aufzutreten.

Wie lang sich die Verhandlung hinziehen wird, hängt maßgeblich von Ministerialdirigent Christian Dobler ab, der das Verfahren leitet. Bei ihm stapeln sich die Akten, aber kaum einer glaubt, dass er die Entscheidung formuliert und Gabriel nur noch durchwinkt. Dazu ist die Angelegenheit zu wichtig. Von den bisher 21 Verfahren ist es eines von Gewicht und keinesfalls eine Routineangelegenheit. Das letzte Verfahren fand vor mehr als sieben Jahren statt. Damals ging es um das Uniklinikum Greifswald und das Kreiskrankenhaus Wolgast. Der aufsehenerregendste Fall war 2002 die genehmigte Fusion der Energiekonzerne Eon und Ruhrgas. Die Bedeutung von Edeka/Kaiser's liegt dazwischen. Die Sache hat nicht oberste Priorität, aber das Potenzial, imageschädigend für den Vizekanzler zu werden, wenn er einen Fehler macht.

Deswegen wird allseits kräftig gemutmaßt, warum das so lange dauert, wobei das gar nicht stimmt. Ob es daran liegt, dass der Minister so viel zu tun hat? Oder daran, dass das Ministerium mit dem Vorgang kaum Erfahrung hat? Mancher Wirtschaftsanwalt leitet daraus ab, dass der Minister die Erlaubnis erteilen und deswegen alles niet- und nagelfest machen will. Vielleicht feilt Dobler noch an den Auflagen?

Schließlich gibt es auch gute Gründe für ein Ja und dafür, dass Edeka alle Filialen kauft (Komplexität!). Vor allem, wenn der Minister Edeka strenge Auflagen zum Arbeitsplatzerhalt macht. Oder wenn er Regionen ausklammert, in denen Edeka und Kaiser's zu nah aufeinanderhocken. Denn was wäre bei einem Verkauf an andere Bieter? Und wie ernsthaft sind deren Gebote? Sind sie nur ein loses Interesse, vielleicht ausschließlich an den lukrativsten Kaiser's-Filialen? Welche Überlebenschance haben Betriebsräte? Muss Tengelmann am Ende fürchten, einen hohen Preis zu zahlen, weil das Familienunternehmen auf den unattraktiven Standorten sitzen bleibt?

Der Wettbewerbsexperte Haucap sagt, die Tatsache, dass Gabriel SPD-Chef ist, müsse nicht zwangsläufig bedeuten, dass er gegen die Fusion stimmt. Das könnte es ihm sogar leichter machen, Ja zu sagen und dem Kartellamt und der Kommission zu widersprechen. "Er ist weniger befangen", sagt Haucap. Man wird sehen. Früher oder später.

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