Telekom-Prozess und seine Folgen:Sammelklagen floppen in Deutschland

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Eine gemeinsame Chance gegen die Großen versprachen sich Bürger 2004 von KapMuG, dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz. Seitdem können geprellte Anleger in einer Art Sammelklage gegen Konzerne vorgehen. Gebracht hat das neue Instrument jedoch so gut wie nichts, wie der Telekom-Prozess seit Jahren eindrucksvoll beweist.

Daniela Kuhr, Berlin

An diesem Mittwoch hätte es mal wieder so weit sein sollen. In dem gigantischen Telekom-Prozess, in dem 17.000 Anleger den Bonner Konzern verklagen, wollte das Oberlandesgericht Frankfurt eine Entscheidung verkünden. Doch der Termin wurde verschoben: auf den 16. Mai. Und somit brauchen die Kläger also wieder Geduld. Was soll's, auf ein paar Wochen mehr oder weniger kommt es nicht mehr an. Schließlich dauert der Mammutprozess, in dem die Anleger Schadenersatz wegen des Kursverfalls der T-Aktie verlangen, schon sage und schreibe fast zehn Jahre.

Körbe voller Klagen gegen die Telekom: Enttäuschte Kleinaktionäre müssen sich auch nach zehn Jahren weiter gedulden. (Foto: dpa)

Ein anderer Termin aber, der ebenfalls im Zusammenhang mit dem Telekom-Prozess steht, wird am Mittwoch dennoch stattfinden: In Berlin tagt der Rechtsausschuss des Bundestags. Auf der Agenda steht zwar nicht das Gerichtsverfahren an sich, wohl aber das Gesetz, das 2004 eigens aus Anlass des Mammutprozesses geschaffen wurde: das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, kurz KapMuG. Und so viel steht jetzt bereits fest: Die Debatte wird kontrovers.

Als die rot-grüne Regierung das KapMuG vor acht Jahren beschloss, reagierte sie damit auf eine Klagewelle, die ihresgleichen sucht. In den Monaten zuvor hatten enttäuschte T-Aktionäre wäschekörbeweise Klagen beim Landgericht Frankfurt eingereicht. Das Gericht war völlig überfordert, schnell war klar: Anders als das amerikanische Recht mit seinen Sammelklagen, ist das deutsche Recht auf solche Massenprozesse überhaupt nicht eingerichtet. Der Gesetzgeber musste handeln - und zwar sofort.

Mit dem KapMuG schuf er erstmals die Möglichkeit eines Musterprozesses, in dem ein Anleger stellvertretend für viele andere eine strittige Frage klären lassen kann - beispielsweise die Frage, ob eine bestimmte Angabe im Verkaufsprospekt der Aktie falsch ist. Stellt das Gericht fest, dass sie tatsächlich nicht stimmt, können sich auch die anderen Anleger in ihren Prozessen darauf berufen. Ob sie aber auch alle weiteren Voraussetzungen für Schadenersatz mitbringen, muss nach wie vor in jedem Einzelfall gerichtlich festgestellt werden.

Die Möglichkeit eines Musterprozesses sollte die Justiz entlasten und die Verfahren beschleunigen. Schaut man allerdings auf den Telekom-Prozess, stellt sich schon die Frage, ob diese Ziele auch nur ansatzweise erreicht wurden. Die jetzige schwarz-gelbe Bundesregierung zweifelt ebenfalls und will das KapMuG deshalb nachbessern. Grundsätzlich begrüßen das die Experten, die am Mittwoch im Rechtsausschuss gehört werden, doch gehen ihnen die Änderungen nicht weit genug.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) etwa kritisiert, dass der vorgelegte Regierungsentwurf immer noch keine "einfache Teilnahme am Musterverfahren" ermöglicht. Nach wie vor profitiere nur derjenige, der selbst Klage einreiche. Das aber könne sich nicht jeder leisten. Der Verband fordert daher, dass "mit dem Stellen des ersten Musterverfahrensantrags die Verjährung für alle gleichgelagerten Fälle gehemmt" wird, "unabhängig davon, dass der Verbraucher selbst eine eigene Klage erhoben hat", schreibt VZBV-Finanzexperte Manfred Westphal in seiner Stellungnahme. Geschädigte Anleger wären dann nicht länger gezwungen, allein schon wegen der drohenden Verjährung Klage einzureichen.

Diesen Punkt sieht auch der Tübinger Anwalt Andreas Tilp kritisch, der im Telekom-Prozess den Musterkläger vertritt. Seine Erfahrung mit dem KapMuG hat ihn zu der Überzeugung gebracht, dass es am besten wäre, das Gesetz wieder abzuschaffen. Weder sei es gelungen, eine Masse von Einzelklagen zu verhindern, noch, die Rechtsposition der betroffenen Kläger zu verbessern. Was Tilp besonders ärgert: In Brüssel gibt es Bestrebungen, den kollektiven Rechtsschutz, also das gemeinsame Klagen geschädigter Verbraucher, EU-weit zu erleichtern.

Die Bundesregierung lehnt das jedoch ab, unter anderem indem sie darauf verweist, dass Deutschland im Bereich des Kapitalmarktrechts mit dem Musterverfahren ja bereits ein "effektives" und "schnelle rechtskräftige Entscheidungen ermöglichendes Instrument" habe. Darüber kann Tilp nur lachen: Angesichts der Erfahrungen mit dem KapMuG und der Tatsache, dass gerade mal zwei Musterverfahren bislang entschieden wurden, "sind derartige Behauptungen unseres Erachtens verfehlt".

Der Lüneburger Wirtschaftsrechts-Professor Axel Halfmeier kritisiert zudem, dass das Musterverfahren auch weiterhin nur Kapitalanlegern offenstehen soll. "Warum in Deutschland zehntausend enttäuschte Aktionäre ein gemeinsames Musterverfahren durchführen dürfen, nicht aber zehntausend unrechtmäßig behandelte Versicherungsnehmer, ist objektiv nicht nachvollziehbar."

© SZ vom 24.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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