Telekom-Prozess:"Lügen haben kurze Beine"

Das Telekom-Verfahren könnte zum größten Wirtschaftsprozess der Republik werden. 17.000 Kläger fordern Schadensersatz - Carmen Harrer ist eine davon. Sie will das Verfahren durchziehen und sagt: "Natürlich geht es mir um das Geld."

Nina Jauker

Im Frankfurter Prozess wird eine Sammelklage gegen die Deutsche Telekom verhandelt. Die T-Aktie stürzte im Jahr 2002 unter den Ausgabewert ab und erholte sich nicht mehr. Die Aktionäre werfen der Telekom vor, im Börsenprospekt bewusst falsche Angaben zu der teuren Übernahme des US-Mobilfunkanbieters Voicestream und bei der Bewertung der unternehmenseigenen Immobilien gemacht zu haben.

Telekom-Prozess: Carmen Harrer.

Carmen Harrer.

(Foto: Foto: oh)

Carmen Harrer (43) gehört zu den 17.000 Klägern, die gegen das Unternehmen um Schadensersatz prozessieren. Die vierfache Mutter ist Geschäftsführerin eines Dachdeckerbetriebs in Neckartailfingen. Harrer kaufte im Jahr 2000 gemeinsam mit ihrem Ehemann Telekomaktien aus der dritten Tranche.

sueddeutsche.de: Frau Harrer, wie sind Sie damals auf die Idee gekommen, Telekom-Aktien zu kaufen?

Carmen Harrer: Ich habe schon 1996 Aktien aus der ersten Tranche erworben, gemeinsam mit meinem Vater, weil uns das Risiko für einen allein zu groß erschien. Wir hatten vorher noch nie Aktien gekauft. Es hat ihn einfach gereizt, das auszuprobieren - obwohl er ein sehr vorsichtiger Mann war, der sein Leben lang keine Risiken eingegangen ist. Aber es gab ja damals diese starke Werbung für die T-Aktie. Ich erinnere mich noch an die Fernsehspots und die Anzeigen. Und die Aktien aus der ersten Tranche waren noch nicht so teuer, die haben 28,5 DM (14,5 Euro, A.d.R.) gekostet.

sueddeutsche.de: Es war Ihnen also bewusst, dass mit Aktien ein Risiko verbunden ist?

Harrer: Natürlich. Dass diese Papiere später 100 Euro wert sein würden, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Ich hatte die Hoffnung, dass sie vielleicht auf 25 Euro steigen - das erschien mir viel. Dass sie allerdings unter 14 Euro fallen... Ich hatte immer gedacht: So schlecht kann es der Telekom nie gehen.

sueddeutsche.de: Mit den Aktien aus der ersten Tranche hatten Sie ja ein Erfolgserlebnis. Haben Sie verkauft oder gehalten?

Harrer: Wir haben beide gehalten. Meine Mutter hat die restlichen 50 Stück aus dem Besitz meines verstorbenen Vaters immer noch. Darüber beschwert sie sich zwar hin und wieder, aber da kann man leider nichts ändern.

sueddeutsche.de: Beim zweiten Kauf haben Sie gemeinsam mit Ihrem Mann für 7777 D-Mark Aktien aus der dritten Tranche erworben. War die Zahl Absicht?

Harrer: Nein, das war Zufall.

sueddeutsche.de: Das war aber kein Testkauf mehr?

Harrer: Nein, da wollten wir nachziehen, weil die ersten Aktien so stark gestiegen waren. Ich hatte für meine Kinder jeden Monat Aussteuerversicherung angespart. Und zu dieser Zeit war das älteste Kind schon ziemlich weit, deshalb hatte ich etwas Geld übrig. Ich sprach mit meinem Mann, wie wir das Geld unterbringen sollten. Da wir ohnehin schon T-Aktien besaßen, haben wir uns entschieden, das Depot weiter aufzufüllen. Wir wollten dann auch keine anderen Papiere kaufen.

sueddeutsche.de: Wurde Ihnen die T-Aktie empfohlen?

Harrer: Ich habe 1999 während einer Ausbildung zur Betriebswirtin des Handwerks einige jüngere Kollegen kennengelernt. Darunter waren auch einige helle Köpfchen, wie man so sagt. Die haben zu dieser Zeit begonnen, mit Aktien herumzuexperimentieren und darüber haben wir uns oft unterhalten. Das war einfach das Aktienfieber zu dieser Zeit. Trotzdem hatte die Telekom-Aktie einen guten Ruf. Die konnte man kaufen, hieß es, da passiert nichts. Es gab andere Aktien, die anders eingeschätzt wurden - aber die Telekom galt als zuverlässig.

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"Lügen haben kurze Beine"

sueddeutsche.de: Warum erschien Ihnen die Telekom-Aktie so stabil?

Telekom-Prozess: 17.000 Kläger fordern Schadensersatz von der Telekom.

17.000 Kläger fordern Schadensersatz von der Telekom.

(Foto: Foto: ddp)

Harrer: Das hing wahrscheinlich damit zusammen, dass die Deutsche Telekom zuvor ein staatliches Unternehmen war. Trotz der Privatisierung ist man davon ausgegangen, dass alles weiterhin seriös geregelt ist. Ich habe damals öfters in den Börsenprospekt geschaut. Dabei hat mich vor allem dieser enorme Immobilienbesitz verblüfft - durch den Dachdeckerbetrieb hatten wir ja häufiger mit der Frage zu tun, wie viel eine Immobilie noch wert ist. Bis es bei der Telekom soweit ist, haben die ja noch Einiges zu verkaufen, haben wir gedacht. Ich gehe heute wirklich davon aus, dass der Immobilienbesitz falsch bewertet worden ist. So ein Gebäude verliert schnell an Wert, weil zum Beispiel bei älteren Häusern nicht all die neuen energetischen Vorschriften eingehalten werden können.

sueddeutsche.de: Warum klagen Sie?

Harrer: Weil ich mich für dumm verkauft fühle. Und weil ich für mein Geld hart arbeiten musste, wie alle anderen auch. Ich habe vier Kinder großgezogen und mir diesen Betrag damals ansparen müssen. Deshalb ärgert es mich, wie die Telekom mit meinem Geld umgegangen ist.

sueddeutsche.de: Wo liegt aus Ihrer Sicht der Fehler der Telekom gegenüber den Anlegern?

Harrer: Die Telekom hat sich schöner dargestellt als sie war. Lügen haben kurze Beine - irgendwann holen sie jeden ein.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von dem Versuch der Telekom, die Anleger als Zocker darzustellen - entgegen der damaligen Werbestrategie mit der "Volksaktie"?

Harrer: Da bekommt man eine Wut. Das war nicht so. Aber das weiß jeder, der damals Zeitung gelesen hat und Fernsehen schaute. Das weiß auch jeder Richter. Beim Kauf hat einen ja niemand gewarnt, dass das ein spekulatives Papier sei.

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"Lügen haben kurze Beine"

sueddeutsche.de: Geht es Ihnen um Genugtuung oder um Schadensersatz?

Harrer: Auf der einen Seite: Natürlich geht es mir um das Geld. Auf der anderen Seite liege ich mit der Telekom seit ein paar Jahren ständig im Clinch - das fängt mit der Telefonanlage an, die wir im Betrieb haben. Die Telekom leidet unter den Strukturen, die sich dort seit der Privatisierung entwickelt haben. Es wird Personal entlassen, um Gewinne zu machen, die sich dann nicht so einstellen, wie sie sich einstellen sollten. Und wenn ich dann höre, dass Vorstandsmitglieder wie Herr Sommer mit Unsummen abgefunden werden - da fragt man sich schon, wo die Realität bleibt.

sueddeutsche.de: Ist es ein Schock, wenn man realisiert, dass so viel Geld verloren ist?

Harrer: Im ersten Moment hab ich mich natürlich geärgert, dass ich nicht verkauft habe, als die Aktie 105 Euro wert war. Und nachdem ich den Differenzbetrag ausgerechnet hatte, hab ich mich noch mehr geärgert. (Lacht) Dann hoffte ich, dass sich der Kurs vielleicht erholen würde - tat er aber nicht. Als die Aktie Anfang Januar 2008 bei 15 Euro stand, habe ich überlegt, zu verkaufen - mit den Papieren aus der ersten Tranche hätte ich ja einen Euro Gewinn gemacht. Zwei Tage später war der Kurs aber wieder im Keller.

sueddeutsche.de: Beim nächsten Anstieg verkaufen Sie?

Harrer: Ach, ich sitze das jetzt aus. Und wenn's zu meinen Lebzeiten nichts mehr wird, kriegen meine Kinder das Depot. Die freuen sich bestimmt.

sueddeutsche.de: Der Prozess könnte sich über Jahre hinziehen. Auf welche Dauer haben Sie sich eingestellt?

Harrer: Ich bin jetzt 43 und denke, dass ich das Prozessende noch erlebe. Andere Kläger hatten die Aktien als Altersvorsorge angelegt. Für einige dieser Leute könnte das Urteil zu spät kommen.

sueddeutsche.de: Kommen bei einem so langen Prozess nicht hohe Anwaltskosten auf Sie zu?

Harrer: Durch die Sammelklage ist es bezahlbar. Und solange ich mir die Anwaltskosten noch leisten kann, kommt Aussteigen für mich nicht in Frage.

sueddeutsche.de: Was würden Sie mit dem Geld anfangen, wenn Schadensersatz gezahlt würde?

Harrer: Schadensersatz - das wäre für mich der Differenzbetrag zwischen den damaligen Kosten und dem jetzigen Wert. Aber weil ich für den Betrieb gelegentlich auch Prozesse führe, weiß ich, dass die Richter häufig Vergleichsurteile fällen - da trifft man sich irgendwo in der Mitte. Wenn die Aktien mal 66 Euro gekostet haben und heute 14 Euro wert sind - da läge die Mitte bei 30 oder 40 Euro.

sueddeutsche.de: Sie schätzen die Erfolgschancen ziemlich pragmatisch ein.

Harrer: Ja. Es geht den meisten Klägern wohl eher darum, nicht nur der Telekom, sondern auch anderen deutlich zu machen: Freunde, so geht es nicht.

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