Teilprivatisierung der Bahn:Unter Zugzwang

Güterrangierbahnhof Machen

Ein Rangierbahnhof in Niedersachsen. Dem Güterverkehr brechen die Umsätze weg.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Die Bahn braucht dringend Geld. Deswegen hat Konzernchef Grube schon konkrete Pläne, zwei Milliarden-Töchter an die Börse zu bringen. Wäre da nicht der Widerstand in der Regierung.

Von Markus Balser, Berlin

Um was es für Bahn-Chef Rüdiger Grube in diesen Tagen geht, wird an seinem Terminkalender klar: Immer wieder bricht Grube zur Pendeldiplomatie zwischen dem gläsernen Bahn-Tower am Potsdamer Platz und dem nahen Regierungsviertel auf. Einen wichtigen Abgeordneten nach dem anderen soll Grube in den vergangenen Wochen getroffen haben. Das Ziel: in der Politik den erhofften Börsengang der Bahn-Tochterunternehmen Arriva und Schenker durchsetzen. Was seinem Vorgänger Hartmut Mehdorn nicht gelang, will Grube nun durch die Hintertür erreichen. Ein Tabubruch: Die Teilprivatisierung des großen Konglomerats mit zuletzt mehr als 40 Milliarden Euro Umsatz und fast 300 000 Beschäftigten. Erstmals will sich der Staatskonzern in den kommenden Jahren für privates Kapital von Investoren öffnen, indem er Teile der wertvollen Töchter an die Börse bringt.

Die Pläne der Bahn sind schon sehr konkret: Im zweiten Quartal 2017 soll zuerst die Auslandstochter Arriva in London an die Börse gehen, ein Jahr später dann die Spedition Schenker in Frankfurt. Die Bahn will zwischen 25 und 45 Prozent der Unternehmen platzieren. Der erhoffte Erlös soll insgesamt zwischen vier und fünf Milliarden Euro liegen. "Es geht um die zwei hübschesten Töchter, die wir in der Familie haben", sagt Finanzvorstand Richard Lutz.

Warum bemüht sich die Bahn überhaupt um eine Trennung? Grubes Konzern braucht dringend Geld. Die Situation sei besorgniserregend, verlautet aus der Bundesregierung. Die Geschäfte laufen schleppend. Die Fernzüge werden nur noch mit Billigtickets voll. Dem Güterverkehr brechen die Umsätze weg. Die Schulden wachsen. Die Bahn erwartet die Spitze des Schuldenanstiegs bis 2020. Steuert der Konzern nicht gegen, steige die Verschuldung dann laut internen Planzahlen auf 22,4 Milliarden Euro an. Je nach Berechnungsstandard könnte die Zahl Insidern zufolge aber sogar noch höher ausfallen.

Die Folgen träfen die Bahn hart. Ratings an den Finanzmärkten fielen schlechter aus. Kredite würden teurer, der Zugang zu frischem Geld generell schwieriger. Grube will die Verschuldung mit dem Geld aus den Börsengängen deshalb unbedingt unter 20 Milliarden Euro halten. Doch dem Konzernboss läuft die Zeit davon.

Eigentlich wollte er schon im Dezember, dann im März eine Entscheidung von Politik und Aufsichtsrat über die Börsenpläne. Ein Jahr Vorlauf ist nicht gerade viel für die nötige Werbetour für künftige Aktionäre. Zumindest soll nach Grubes Willen noch im April eine Sondersitzung des Bahn-Aufsichtsrats einberufen werden, um im Grundsatz den Börsengang zu beschließen. Details könnten dann im Herbst bei einem weiteren Treffen folgen. Doch eine Einigung darüber ist derzeit noch lange nicht in Sicht. Die Bahn-Diplomatie im Regierungsviertel erreicht deshalb in diesen Tagen ihre entscheidende Phase. Noch einmal will Grube für die Hauptversammlung der Bahn am Mittwoch Haushaltspolitiker der Koalition auf Linie bringen. Er sei sich seiner Sache ziemlich sicher, heißt es im Regierungslager.

Die Debatte ist für den Chef brisant: Es geht auch darum, ob er seinen Posten behält

Möglicherweise zu früh. Denn die Pläne sind in Teilen der Koalition noch umstritten. Während Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Börsengang befürwortet, lehnen ihn führende Sozialdemokraten ab. Bei einigen, auch in der Regierung, herrsche Skepsis, sagt ein Insider. "Für uns sind noch zu viele Fragen offen. So können wir den Plänen schlicht nicht zustimmen. Der Vorschlag von Herrn Grube ist noch nicht entscheidungsreif", heißt es aus SPD-Kreisen. "Es muss erst einmal für alle Beteiligten klar werden, wo das Problem in der aktuellen Situation liegt." Hinter den Kulissen wird auch Grundsätzliches diskutiert. Etwa die Frage, wie Privatinvestoren den Konzern in Zukunft verändern könnten. Kritiker fürchten, dass Anteilseigner mit großen Aktienpaketen bei den Töchtern zu großen Einfluss bekämen. Arbeitnehmervertreter fürchten dann etwa mehr Härte beim Stellenabbau. Befürworter hoffen gar auf eine neue Kultur im Konzern, weil sich die Konzernspitze mehr kritischen Fragen stellen muss. Eine Alternative ist derzeit allerdings nicht in Sicht. Sie könnte etwa in einer Finanzhilfe aus dem Bundeshaushalt bestehen. Unrealistisch, heißt es aus Regierungskreisen.

Die Debatte über die Strategie offenbart auch Misstrauen in die Bahnführung. Viele Politiker vermissen von Grube ein schlüssiges Zukunftskonzept. Der Konzern müsse wachgerüttelt werden, heißt es da. Die Probleme sind angesichts mangelnder Pünktlichkeit, hoher Verluste im Gütertransport und reihenweise verlorener Regionalverkehrsaufträge kaum noch zu übersehen. Gerade empörten sich viele über die überraschende Sperrung der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Hannover und Kassel Ende April und darüber, wie die Bahn dies kommunizierte. Bundespolitiker hatten der Führung Missmanagement vorgeworfen. Von der Vision, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen, spricht kaum noch jemand.

Die Debatte hat Brisanz, denn für Grube steht in den kommenden Wochen die Entscheidung an, ob seine Amtszeit verlängert wird. Ende 2017 läuft sein Vertrag aus. Dass er weitermacht, werde trotz aller Probleme wahrscheinlicher, heißt es in Kreisen des Bahn-Aufsichtsrats. Die Begründung klingt eher nüchtern: In der aktuellen komplizierten politischen Lage wolle die Regierung beim Staatskonzern schlichtweg keine weitere Personaldebatte.

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