Technologieszene:Strandortvorteil

Wer braucht schon Silicon Valley, wenn er Silicon Beach haben kann? Firmengründer und Technologiefirmen ziehen an den Strand. Die Manager treffen sich zum Surfen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt Lieder, die den Menschen davon erzählen, wie das funktionieren könnte mit dem Glücklichsein. John Lennon etwa behauptete, dass dazu die Liebe völlig ausreicht; Frank Sinatra sang darüber, dass die besten Dinge nichts kosten, Mick Jagger davon, dass man nicht immer das bekommt, was man will - aber immerhin das, was man braucht. Die Beach Boys haben vor mehr als 50 Jahren auch so ein Lied veröffentlicht, es heißt "Surfin' U.S.A." und handelt davon, dass ein Mensch nicht viel mehr braucht als Sonne und Strand, Badehose und Board.

So gesehen hat es Robert Lambert ganz gut getroffen: Short, Shirt, Sonnenbrille. Der Laptop ruht auf den Oberschenkeln, sein Büro ist eine Terrasse, an der Wand lehnen Surfboards. Wenn Lambert aufsteht und 25 Schritte geht, dann berühren seine Füße den Sand, die Augen sehen nur Sonne, Strand und Surfer im Pazifischen Ozean. Ach ja: Das Thermometer zeigt exakt 25,0 Grad an.

Lambert ist der Gründer von Silicon Beach LA, mit 165 000 Mitgliedern das führende Netzwerk der Technologieindustrie in Los Angeles. Es gibt eine Untergruppe mit dem Namen Silicon Beach Surfers, der etwa Facebook-Manager Jim Underwood, Jeremy Erlich von der Universal Music Group und Morris May, Gründer der Virtual-Reality-Firma Specular Theory, angehören; das Clubhaus befindet sich in Manhattan Beach. Die Beach Boys erwähnen diesen Ort in ihrem Surfersong.

"Draußen im Ozean gibt es kein Handy und keinen Laptop, man ist ungestört."

Die Liste der Arbeitgeber der etwa 430 Mitglieder klingt wie ein Who-is-who der Technik- und Unterhaltungsbranche. "Wir suchen nach Leuten, die in ihrer Karriere schon ein bisschen was erreicht haben", sagt Lambert: "Draußen im Ozean gibt es kein Handy und keinen Laptop, man ist ungestört - die besten Gespräche meines Lebens fanden im Wasser statt." Früher mögen sich Manager auf dem Tennisplatz oder beim Golfen getroffen haben, heute passiert das, zumindest in LA, im Ozean: "Von diesen jungen Leuten spielt keiner Golf oder Tennis, aber alle Surfen. Dadurch entsteht eine Verbindung, die es sonst womöglich nicht gegeben hätte."

Die Aufnahmekriterien sind streng, zwei Drittel der Bewerber werden abgelehnt. Es sollen erfahrene Surfer sein, die in der Technik- und Unterhaltungsbranche bestens vernetzt sind - Luxe-Valet-Manager Hans Yang etwa oder Gretta Kruesi von Beach Cruiser. "Es ist eine exklusive Gruppe, wir prüfen jeden Bewerber einen Monat lang", sagt Lambert: "Manchmal geht es auch schneller wie bei dem Typen, der beim ersten Gespräch im Clubhaus die Fotos der anderen Mitglieder an der Wand betrachtete und wissen wollte, ob diese hübsche Frau denn noch Single sei. Da war das Gespräch schnell vorbei." Sie wollen keine Kontaktbörse für surfende Schürzenjäger sein, aber klüngeln ist durchaus erlaubt: "Wir wollen mit Silicon Beach LA in den kommenden 15 Jahren die Anlaufstelle für Firmengründer in Los Angeles werden."

Die Technikszene in LA boomt, etwa 2000 Start-ups gibt es derzeit, einige davon weltbekannt. Wer abends durch Venice Beach oder Santa Monica spaziert, der kann Minecraft-Erfinder Markus Persson begegnen, der nach allgemeinem Dafürhalten derzeit die krassesten Partys der Stadt feiert. Oder True-Car-Chef Scott Painter. Oder Tinder-Geschäftsführer Sean Rad. Oder Snapchat-Gründer Evan Spiegel. Willkommen in Silicon Beach.

"Wir können das Wachstum der Technologieszene in Los Angeles über unsere Daten belegen", sagt Lambert, 30, der sein Netzwerk vor dreieinhalb Jahren gegründet hat: "Wir erkennen, woher die Investoren kommen, wo sich die Gründerzentren befinden, welche Start-ups überleben und welche nicht - und wir stellen fest: In Los Angeles werden gerade die Grundlagen für eine rosige Zukunft in dieser Branche gelegt."

Technologieszene: Die ganz große Welle: Robert Lambert hat das wichtigste Netzwerk der Technologieindustrie in Los Angeles geschaffen.

Die ganz große Welle: Robert Lambert hat das wichtigste Netzwerk der Technologieindustrie in Los Angeles geschaffen.

(Foto: oh)

Manche Unternehmen werden mit Milliarden von Dollar bewertet wie etwa Hulu, Tinder oder Snapchat, andere wurden bereits für viel Geld verkauft wie der Virtual-Reality-Brillen-Hersteller Oculus an Facebook (zwei Milliarden Dollar), die Suchmaschine Overture Services an Yahoo (1,3 Milliarden) oder der Youtube-Produzent Maker Studios an Disney (950 Millionen). "Alibaba wird seinen Ableger in LA ansiedeln", sagt Lambert: "Google eröffnet eine riesige Dependence."

Auf der firmeneigenen Seite wirbt Google mit einem Gebäude, das "gerade einmal zwei Blocks vom Strand entfernt ist", mit einem Surfer im Logo und mit dem Satz: "Wer braucht schon Silicon Valley, wenn er Silicon Beach haben kann?" Diese Frage transportiert gewaltige Sprengkraft. Snapchat-Gründer Spiegel hatte ja wenigstens den Anstand, den Verbleib in Venice Beach eine "knifflige Entscheidung" zu nennen und Jessica Alba begründete den Firmensitz ihres Start-ups The Honest Company immerhin damit, dass sie als Schauspielerin ohnehin in Los Angeles wohnen würde.

Im vergangenen Jahr wurden in Los Angeles einer Studie der National Venture Capital Association zufolge Investmentdeals im Wert von 2,05 Milliarden Dollar geschlossen. Das reicht zum ersten Mal für Platz fünf in der Liste hinter Boston und New York. Ganz vorne, da liegen noch immer mit großem Abstand zwei Silicon-Valley-Städte. In San Francisco wurden Investmentdeals im Wert von 15,74 Milliarden Dollar geschlossen, im 80 Kilometer südlich gelegenen San José immerhin für 6,88 Milliarden.

Das große Geld steckt also noch immer vor allem im Norden Kaliforniens, wie die Finanzierungsrunden der Silicon-Valley-Start-ups Uber, Cloudera und AirBnB zeigen. Nur: Pilgern junge Menschen mit einer brillanten Idee wirklich in die Gegend um San Francisco, weil sich dort das gelobte Land der Technologie befindet? Oder kommen sie nur, um sich dicke Schecks abzuholen? Ist aus der Gegend der frei fliegenden Gedanken eine der frei fliegenden Dollarscheine geworden?

Was passiert da gerade in der Gegend um Los Angeles? "Es ist eine Lifestyle-Entscheidung", sagt True-Car-Gründer Painter, der seine Firma in Santa Monica angesiedelt hat: "Es hieß immer, dass Programmierer eher dunkle, kühle und einsame Orte bevorzugen würden, dabei lieben sie Meerblick wie jeder andere auch. Es gibt bei uns ein Büro direkt am Strand, um das die Angestellten regelrecht kämpfen." Vor ein paar Jahren noch wäre der Umzug nach Los Angeles für einen Programmierer dem beruflichen Selbstmord gleichgekommen oder wenigstens einem sehr unglücklichen Leben. Nun kann Painter neben den üblichen Vergünstigungen wie kostenlosem Essen, wöchentlichen Massagen und üppigen Aktienpaketen auch mit einem Meerblick-Büro und Partys mit Hollywoodstars um die Talente buhlen. Und ganz nebenbei ist die Miete für so ein Büro am Strand noch immer günstiger als für eines in San Francisco.

Technologieszene: Die Silicon Beach Surfers sind sein Ableger: Die Gründertruppe akzeptiert nur Profis.

Die Silicon Beach Surfers sind sein Ableger: Die Gründertruppe akzeptiert nur Profis.

(Foto: oh)

Twenty-20-Gründer Todd Emaus erzählt unlängst, dass er gerne mit dem Surfboard zur Arbeit pendeln würde, schließlich lägen sowohl seine Wohnung als auch das Büro direkt am Strand und seien nur drei Kilometer voneinander entfernt: "Aber wie bekomme ich nur meinen Laptop heil dorthin?", fragt er: "Na ja, dann nehme ich halt das Fahrrad, es gibt ja einen Weg am Strand."

"Arbeit macht nur acht Stunden des Tages aus", sagt Lambert, der Gründer der Silicon Beach Surfers: "Die Frage ist, was du mit dem Rest deiner Zeit anstellst." Der Besuch bei den technikaffinen Surfern verdeutlicht, was Los Angeles zu einem besonderen Ort macht. Jeremy Erlich, bei der Universal Music Group verantwortlich für die Konzernentwicklung, ist drei Mal pro Woche im Wasser zu finden. "Es ist eine Gruppe Gleichgesinnter, bei der das Surfen im Vordergrund steht", sagt Erlich, 34: "Wenn sich darüber hinaus eine berufliche Zusammenarbeit ergibt, dann ist das ein positiver Nebeneffekt. Aber es muss nicht sein."

Mit dem Surfboard zur Arbeit pendeln - das wär's doch

Es ist diese Lockerheit, die LA unterscheidet vom bisweilen manischen Networking im Norden Kaliforniens. Ja, sie arbeiten auch extrem hart im Süden Kaliforniens, aber danach wollen sie das Leben genießen: auf Partys mit Stars oder beim Surfen am Strand. Es ist die Erkenntnis, nicht immer alles zu bekommen, was man haben will, aber mit ein bisschen Anstrengung genau das, was man braucht. Und wen eine Badehose, ein Board und ein Büro am Strand glücklich machen, der kommt eben nach LA.

Was noch auffällt: Niemand verliert ein böses Wort über Silicon Valley, es herrscht vielmehr eine Leben-und-Leben-lassen-Atmosphäre. "Silicon Valley ist einzigartig, das lässt sich nicht so einfach reproduzieren", sagt Lambert. Für die Technikszene von Los Angeles sei es nicht ratsam, sich als Konkurrent zu gerieren, sondern eher als Alternative. "Du kannst heutzutage dein Unternehmen gründen, wo immer du möchtest", sagt Lambert. "Und wenn du Geld brauchst: Viele Investoren arbeiten in Silicon Valley, sie leben jedoch in Los Angeles." Der Flug würde gerade einmal 45 Minuten dauern: "Investoren können den Scheck einfach mitbringen."

Es gibt übrigens nicht viele Lieder, die von Silicon Valley handeln. Es gibt eine Fernsehserie auf dem Sender HBO, die Silicon Valley heißt und die Technikszene persifliert. Sie wird mit einem Lied des Rappers Young Lord beworben, es heißt "What Money Do" und enthält diese Textzeile: "I make money, make money - I am so attracted to cash." Er macht also so viel Geld, dass er regelrecht verliebt ist.

Was der Rapper nicht verrät: Wie einen dieses viele Geld dann glücklich macht im Leben.

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