Technologie:Zögerlich in die Zukunft

Technologie: Fassade des Innovationszentrums Sensor City in Liverpool: Die Einrichtung hilft Unternehmen dabei, Produkte mit modernen Sensoren zu entwickeln.

Fassade des Innovationszentrums Sensor City in Liverpool: Die Einrichtung hilft Unternehmen dabei, Produkte mit modernen Sensoren zu entwickeln.

(Foto: J. Hopkins/PR)

Großbritannien ist das Mutterland der industriellen Revolution - doch auf die nächsten Technologiesprünge sind viele Firmen schlecht vorbereitet. Verschiedene Initiativen sollen das ändern.

Von Björn Finke, Liverpool/Birmingham

Die Glasfassade des Klotzes ist mit goldenen Paneelen verziert, deren Muster an Leiterplatten von Chips erinnert. Drinnen, hinter dem großzügigen Foyer, sind Labore und Werkstätten untergebracht. In einem Labor stehen 3-D-Drucker auf Tischen, ein anderer Drucker kann mit Laser Schaltkreise auf diverse Materialen brennen. Sensor City heißt dieses Innovationszentrum im Herzen Liverpools. Von der Dachterrasse aus sind die zwei Universitäten in der Nachbarschaft zu sehen, die das Zentrum unterstützen. Es wurde erst im November eröffnet und soll kleinen und großen Unternehmen dabei helfen, Produkte mit modernen Sensoren zu entwickeln.

Kleine, clevere Messgeräte sind eine wichtige Zutat für die vierte industrielle Revolution. Dieses Schlagwort oder die andere beliebte Phrase Industrie 4.0 sind Pflichtbestandteil bei Reden von Wirtschaftspolitikern und Industriemanagern. Es geht - ähnlich schwammig - um die Digitalisierung und Vernetzung der Fabriken und der Güter. Produkte werden am Computer entwickelt und in Simulationen getestet, ihre Herstellung wird am Rechner geplant. Im Werk können die halb fertigen Produkte dank Chips und Sendern mit den Maschinen kommunizieren. Die Autotür teilt dann dem Lackierroboter mit, welche Farbe der Kunde wünscht. Sensoren in den Produkten erheben und verschicken ständig Unmengen an Daten; Software wertet sie aus und erkennt, wann eine Turbinenschaufel oder Leuchtdiode wegen Verschleiß ausgetauscht werden muss.

Das macht die Fertigung schneller und flexibler sowie die Produkte besser. Großbritannien hat im 19. Jahrhundert die erste industrielle Revolution angeführt. Bei der vierten, der digitalen, hinkt das Königreich allerdings Rivalen wie Deutschland hinterher. Studien zeigen, dass die Unternehmen weniger gut vorbereitet auf diese Umbrüche sind als Konkurrenten im Ausland. Die Insel ist zwar Heimat von Top-Universitäten wie Cambridge oder Oxford, aber in vielen Fabriken, vor allem bei Mittelständlern, sind Maschinen und Abläufe nicht auf dem neuesten Stand der Technik. So nutzen britische Werke vergleichsweise wenige Roboter; und die Produktivität der Beschäftigten - die Werte, die sie pro Arbeitsstunde schaffen - steigt seit Jahren kaum noch. Was ziemlich abstrakt klingt, führt dazu, dass auch die Löhne frustrierend langsam zulegen. Das ist dann doch recht greifbar.

"Ich hatte mit einem Tsunami von Anfragen gerechnet."

Einrichtungen wie Sensor City sollen Betrieben den Weg in die schöne, neue Digitalwelt weisen. Neben Laboren und Werkstätten befinden sich in dem Gebäude Büros, die Gründer und etablierte Unternehmen mieten können. In einem kleinen, zugestellten Zimmer sitzt Terry Nelson am Schreibtisch. Auf Regalen liegt das Produkt seiner Firma Aqua Running: ein Anzug, der Auftrieb bietet und Aquajogging, das Laufen im Wasser, einfacher und sicherer macht. Unter anderem verwenden Fußballklubs wie Real Madrid die Teile für die Reha von verletzten Spielern. Nun hat der Engländer mit Unterstützung des Teams von Sensor City Anzüge mit Sensoren entwickelt.

Die messen zum Beispiel die Bewegungen des Patienten, sodass Ärzte am Computer die Fortschritte überprüfen können. "Das Wasser darf die Sensoren nicht stören", sagt der Gründer. "Dafür war ganz neue Technik nötig." Sein Unternehmen wurde auch von LCR 4.0 beraten. LCR steht für die City Region Liverpool, und die Initiative LCR 4.0 hat das Ziel, Gründern und Mittelständlern dort die Vorzüge von Industrie 4.0 nahezubringen und ihnen Fachleute, etwa von Sensor City, zur Seite zu stellen. Hinter dem Projekt stehen unter anderem die örtliche Wirtschaftsförderungsgesellschaft und die Universitäten. Die Hälfte des Budgets stammt aus einem Hilfstopf der EU.

"Wir erklären den Managern, wie ihnen die Digitalisierung nutzen kann, und halten ihnen dann bei der Umstellung die Hand", sagt Wirtschaftsförderer Simon Reid. Sogar Mittelständler, die durchaus moderne Konzerne wie Jaguar Land Rover beliefern, hätten in ihren Fabriken oft noch großen Nachholbedarf. Seit dem Start vor anderthalb Jahren hat die Initiative 130 Unternehmen beraten - "mit einem bis hin zu hundert Angestellten", sagt Reid. Er ist trotzdem ein wenig enttäuscht: "Vielleicht bin ich naiv, aber ich hatte mit einem Tsunami von Anfragen gerechnet", sagt er. Tatsächlich muss er jedoch mühsam für das Angebot werben. Manche Chefs sähen Industrie 4.0 nur als ein "leeres Schlagwort" an, klagt er.

Viele Mittelständler dächten zu kurzfristig, sagt Reid. Sie scheuten Investments in Sensoren und Sender, Roboter und moderne Software, die zunächst Geld kosten, aber langfristig die Produktivität erhöhen. Dabei würden eine günstigere und flexiblere Fertigung und bessere Produkte dabei helfen, mögliche Nachteile durch den Brexit wettzumachen, sagt der 49-Jährige.

"Es geht darum, den Kunden die Zukunft zu zeigen."

In und um Liverpool, der Hafenstadt an der Irischen See, gibt es neben Sensor City und LCR 4.0 noch andere Einrichtungen, die Unternehmen bei diesem Wandel unterstützen. Das Virtual Engineering Centre an einer der Liverpooler Hochschulen hilft dabei, Produkte am Computer zu designen und zu testen. In der Materials Innovation Factory, ebenfalls an einer Universität, erforschen Laborroboter selbständig neue Moleküle. Im Hartree Centre, einem von der Regierung finanzierten Rechenzentrum, stehen Supercomputer bereit, Riesenmengen Daten blitzschnell auszuwerten. 30 Kilometer nördlich der Stadt kommt zudem ein wichtiges Internetkabel aus Amerika an Land. Das ermöglicht bessere Datenverbindungen.

Daher hoffen Wirtschaftsförderer Reid und die Lokalpolitiker, dass die Region Liverpool zum Vorreiter für Industrie 4.0 im Königreich wird. Doch auch in anderen britischen Städten wird in die Zukunft der Fertigung investiert. Etwa in Birmingham, einer Industriestadt 150 Kilometer südöstlich von Liverpool. Dort stecken aber nicht Hochschulen und Fördereinrichtungen hinter der Entwicklung, sondern ein kalifornischer Softwarekonzern: Autodesk, eine börsennotierte Firma mit weltweit 9000 Beschäftigten, ist für Designprogramme bekannt, die Architekten und Ingenieure nutzen. In Birmingham eröffnete Vorstandschef Andrew Anagnost allerdings nun eine Fabrik.

In der Halle kreischen und zischen Fräsmaschinen und Roboter. In einem anderen Bereich tastet ein Roboter mit Sensoren ein Werkstück ab; eine Datenbrille zeigt das Teil dem Betrachter virtuell und dreidimensional. In einem ruhigen Nebenraum sind 3-D-Drucker aufgereiht. Insgesamt investierten die Amerikaner mehrere Millionen Dollar in den Standort, es ist eines von fünf solcher Technologiezentren der Firma weltweit.

Das Software-Unternehmen entwickelt in dem Werk zusammen mit Kunden - unter anderem mit BMW - neue Produktionsmethoden. "Es geht uns nicht um die Gebühren, die wir dafür kassieren, sondern darum, den Kunden die Zukunft zu zeigen und unsere Ideen zu testen", sagt Konzernchef Anagnost. Die Anlagen lieferten Maschinenbauer, aber die Planungs- und Steuerprogramme stammen von Autodesk. Anagnost glaubt, dass Fabriken in Zukunft viel kleiner seien als heute. Flexibel einsetzbare Roboter würden an einem Tag Teile für Handys bauen, am nächsten dann Teile für Autos, alles per Knopfdruck.

Das klingt wirklich nach einer Revolution. In den kommenden Jahren entscheidet sich, ob das Mutterland der ersten industriellen Revolution auch hier vorne mitspielt.

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