Taschenmesser von Victorinox:Schweizer Begleiter

Schweizer Taschenmesser von Victorinox

Etwa 120.000 Taschenmesser verlassen Tag für Tag die Firma Victorinox in der Schweiz.

(Foto: REUTERS)

Es war schon im All und es ist unverkennbar wie Coca-Cola und Apple: das berühmte Schweizer Messer. In der vierten Generation stellt die Firma Victorinox den roten Klassiker her. Warum der Korkenzieher der Exot unter den Utensilien ist und wie die Anschläge vom 11. September fast das Aus bedeutet hätten - ein Besuch in Ibach.

Von Wolfgang Koydl, Ibach

Er ist eines der unverzichtbarsten Bestandteile des Produktes, und er hat den Herstellern am Anfang wohl die meisten Kopfschmerzen bereitet: der Korkenzieher am legendären Schweizer Offizierstaschenmesser. Denn anders als all die Klingen, Scheren, Dosenöffner oder Lupen fügen sich seine Wülste nicht passgenau in die Konstruktion. Außerdem muss er geschmiedet werden, was passenderweise in Frankreich geschieht, der Heimat großer, fest verkorkter Weine.

Dies macht den Korkenzieher zum einzigen Exoten in einem ansonsten hundertprozentig schweizerischen Produkt, dessen Wiedererkennungswert weltweit wahrscheinlich vergleichbar ist mit Industrie-Ikonen wie Coca-Cola, Nike oder Apple. Knallrot mit einem leuchtend weißen Kreuz, verkörpert das Klappmesser mit den unzähligen Funktionen die Eidgenossenschaft - von der kleinsten Öse bis hin zu großen, hehren Werten: "Das Taschenmesser ist ein Symbol von Schweizer Qualität und Zuverlässigkeit", sagt Carl Elsener, der in vierter Generation den Familienbetrieb Victorinox führt.

Etwa 120.000 Messer verlassen Tag für Tag den Betrieb in der Kleinstadt Ibach im Kanton Schwyz. Aufs Jahr gerechnet macht das 26 Millionen Stück, und man findet sie nicht nur auf jedem Kontinent, sondern einst sogar im Weltall. Ein Schweizer Taschenmesser gehörte zur Grundausstattung jeder Space-Shuttle-Mission.

Gesättigt ist der Markt noch lange nicht, schließlich kann man unter 350 verschiedenen Modellen wählen - vom schlichten Standardmesser bis zum Swisschamp mit 33 Funktionen, Kombizange und Holzmeißel inklusive. Wie auch für andere Unternehmen ist für Victorinox China ein enormer Wachstumsmarkt: "Stellen Sie sich vor, wir könnten jedem Chinesen ein Messer verkaufen", meint Elsener mit träumerischem Lächeln. "Außerdem gehen zum Glück auch immer Messer verloren und müssen ersetzt werden."

1891 sicherte sich Urgroßvater Karl einen wichtigen Großauftrag

Vor 129 Jahren eröffnete Elseners Urgroßvater Karl in Ibach in der Zentralschweiz eine Messerschmiede. Sieben Jahre später, 1891, sicherte er sich einen zuverlässigen Großauftrag: Er belieferte die Schweizer Armee mit dem von ihm entwickelten Soldatenmesser. Daraus entwickelte sich das weltberühmte Swiss Army Knife, das die unzähligen Haushalts- und Berufsmesser in den Schatten stellte, die Victorinox außerdem traditionell produziert.

Die Erfolgsgeschichte hätte um ein Haar ein jähes, katastrophales Ende genommen. "Die Terroranschläge vom 11. September in New York und Washington waren die härtesten Schläge in der Unternehmensgeschichte", sagt der 55-jährige Firmenchef heute. Da die feuerroten Messer häufig in Duty-Free-Geschäften auf Flughäfen und von Fluggesellschaften verkauft wurden, brach nach dem Verbot von spitzen Gegenständen an Bord von Flugzeugen praktisch über Nacht der Umsatz ein. "Mehr als 40 Prozent Einbußen waren es", erinnert sich Elsener. "Die Flughäfen haben uns die Produkte massenweise zurück geschickt." Noch heute ist Elsener vor allem stolz darauf, dass die Firma diese Katastrophe überstand, ohne einem einzigen Angestellten kündigen zu müssen. "Die Arbeitsplätze haben schon immer für uns im Mittelpunkt gestanden", bekräftigt er. "Wir sehen uns wirklich wie eine große Familie, in guten wie in schlechten Zeiten."

Zu den erfindungsreichen Methoden, mit denen Arbeitsplätze gerettet wurden, zählte der Verleih von Victorinox-Arbeitern an andere Unternehmen in der Umgebung. Gleichzeitig wurden die anderen Teile der Produktpalette gestärkt. Die traditionellen Haushaltsmesser sowie die Uhren und das Reisegepäck, mit deren Herstellung das Unternehmen 1989 respektive 1999 begonnen hatte, weil man, wie Elsener erklärt, die Marke sichtbar machen wollte: "Denn ein Taschenmesser sieht man nicht, es verschwindet in der Tasche." Kurz vor den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte man auch noch Freizeitkleidung ins Angebot aufgenommen. Nach der Übernahme des Konkurrenten Wenger 2005, der auch Schweizer Messer herstellt, kam später eine Parfumlinie dazu.

"Spare in der Zeit, dann hast du in der Not"

Geholfen haben einige Tugenden, die heute altmodisch klingen: "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not", zitiert Elsener eine der Weisheiten. "Wir haben immer Reserven gebildet, das hat uns damals gerettet." Auch heute steht "organisches Wachstum" im Vordergrund: "Wir wollen nicht hochgehen wie eine Rakete", sagt Elsener. "Was schnell aufsteigt, kann schnell abstürzen." Die Krise, sagt der Firmenpatron, habe den Zusammenhalt zwischen Angestellten und Management gefestigt.

Noch wesentlicher ist die einzigartige Unternehmensstruktur von Victorinox. Die Familie hat alle Eigentumsansprüche auf die Firma aufgegeben. Die Aktien sind zu 90 Prozent im Besitz einer Unternehmensstiftung, die restlichen zehn Prozent des Kapitals sind in einer karitativen Stiftung angelegt. Gewinne werden bis auf den letzten Rappen wieder in die Firma investiert.

Unter diesen Umständen überrascht es nicht weiter, dass man bei Victorinox über radikale Vorstöße zur Begrenzung von Managergehältern nur mitfühlend lächeln kann. So ist Elseners Gehalt nur etwa sechsmal so hoch wie der Lohn des am geringsten bezahlten Mitarbeiters. "Das ist keine Mode, das war schon immer so bei uns", versichert er. "Die Firmenführung soll sich nicht so wichtig nehmen." Und sie soll natürlich stets als "treuen Begleiter" ein Taschenmesser dabeihaben, damit man bei Bedarf eine Flasche Wein entkorken kann.

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