Tarifkonflikt:Flashmob aus Frankfurt

Das Streikverbot für Piloten könnte Arbeitskämpfe in Deutschland verändern. Ihrer Gewerkschaft droht noch mehr Unheil.

Von Alexander Hagelüken

Die Frankfurter Arbeitsrichter galten bisher eher als streikfreundlich. Umso überraschender war für Gewerkschafter wie Unternehmer am Mittwoch ihr Urteil. Das Verbot des Pilotenausstands ist ein Einschnitt. Wer sich mit Juristen unterhält, hört öfter: Die Frankfurter Entscheidung könnte verändern, wie in Deutschland Arbeitskämpfe ablaufen - eine Frage, die Millionen Beschäftigte genauso betrifft wie Manager von Unternehmen.

Für die Frankfurter Arbeitsrichter war zentral, dass die Gewerkschaft Cockpit die Niederlegung der Arbeit ab Dienstag zwar offiziell im Streikbeschluss mit Versorgungsregeln der Piloten begründete, aber damit in Wahrheit auch die Billigsparte Eurowings zum Ziel gehabt habe - gegen die zu streiken sich als rechtswidrig einstufen lässt, weil es in die unternehmerische Freiheit der Lufthansa eingreift, eine Tochter zu gründen. Gestreikt werden darf in Deutschland jedenfalls grundsätzlich nur für ein Ziel, das sich in einem Tarifvertrag vereinbaren lässt wie der Lohn, aber nicht gegen die Strategie des Unternehmens.

Mehrere Arbeitsrechtler stufen es aber als neu ein, dass sich das Frankfurter Gericht überhaupt genau mit den wahren Gründen für den Ausstand beschäftigte. Denn in den vergangenen Jahren habe die Justiz im Zweifel kaum Streiks verboten. Während 2004 ein Ausstand gestoppt wurde, weil er sich nach Ansicht der Richter gegen die Verlagerung einer Backwarenfabrik ins billigere Ostdeutschland richtete, fielen die Wertungen nach einem Grundsatzurteil 2006 streikfreundlicher aus.

Das ist, wenig überraschend, auch die Sicht der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände BDA. "Das Bundesarbeitsgericht hat vor fast zehn Jahren entschieden, dass es bei der Beurteilung, ob ein Streik rechtmäßig ist, primär auf den offiziellen Streikbeschluss und nicht auf sonstige Erwägungen ankommt", sagt BDA-Experte Roland Wolf. "Das entspricht nicht der Lebenswirklichkeit und ist viel zu eng gefasst." Seit 2006 aber sahen Richter anders als jetzt in Frankfurt meist den offiziellen Streikbeschluss als Richtschnur, sagen Arbeitsrechtler. Und erklären damit, dass Gewerkschaften teils leichter für andere Ziele streiken konnten als offiziell angegeben. Als Beispiel wird ein regionaler Erzieherstreik aufgeführt, in dem eine Gewerkschaft offiziell für gesündere Arbeitsbedingungen in den Ausstand ging - aber dabei höhere Löhne durchsetzte, für die sie wegen der Friedenspflicht offiziell noch gar nicht streiken durfte. Und beim aktuellen Arbeitskampf bei der Deutschen Post ging es offiziell um Löhne, doch die Gewerkschaft Verdi wandte sich auch gegen Billigtöchter - ein ähnliches Thema wie bei der Lufthansa. Auch sonst nahmen die Möglichkeiten der Gewerkschaften eher zu: So erlaubten Richter Verdi, im Streit um höhere Löhne im Einzelhandel Supermärkte per Flashmob lahmzulegen.

Die Gerichte wollen die Grenzen des Arbeitskampfrechts ernster nehmen

Die Frage ist nun, ob das Frankfurter Landesarbeitsgericht eine neue, härtere Linie einleitet. "Es ist deutlich, dass die Gerichte die Grenzen des Arbeitskampfrechts ernster nehmen wollen", glaubt der Bonner Lehrstuhlinhaber Gregor Thüsing. Die andere Möglichkeit wäre, dass Cockpit nur deshalb verlor, weil die Pilotengewerkschaft besonders durchsichtig agierte und es zu offensichtlich war, dass sie primär die Billigsparte attackieren wollte.

Wie es mit den Arbeitskämpfen in Deutschland weitergeht, hängt auch davon ab, ob Cockpit noch nachträglich gewinnt - etwa durch eine Verfassungsbeschwerde. Dass die Gewerkschaft klagt, gilt allerdings derzeit als unwahrscheinlich. Was auch damit zusammenhängt, dass Cockpit insgesamt unter Druck kommt.

Der Lufthansa werden Chancen eingeräumt, für den verbotenen Streik Schadensersatz zu erklagen und die Gewerkschaft damit finanziell zu treffen. Und als ganz neue Bedrohung muss die Pilotenvereinigung das Tarifeinheitsgesetz wahrnehmen. Sobald sich eine Gewerkschaft entschließt, ebenfalls die Piloten zu vertreten, und in der betreffenden Lufthansa-Sparte mehr Mitarbeiter vorzuweisen hat als Cockpit, kann laut Gesetz ihr Tarifvertrag vorgehen - und Cockpit wäre aus dem Spiel. So ein Szenario galt bisher als unwahrscheinlich. Doch inzwischen kommt Bewegung in die Sache: Bei der Unabhängigen Flugbegleiter-Organisation (UFO), die bei Lufthansa deutlich mehr Mitglieder vertritt als Cockpit. Voraussetzung wäre, dass UFO anders als bisher wirklich einen Tarifvertrag für die Piloten anstrebt. Wie aus mehreren Quellen zu hören ist, soll es Kontakte mit Lufthansa geben. Cockpit geht bereits in Stellung: "Es ist beschämend, dass Lufthansa sich eine willfährige Gewerkschaft suchen will, statt mit der einzigen durch die Piloten legitimierten Gewerkschaft zu verhandeln", schimpft ein Sprecher.

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