SZ-Serie: Niedrigzins:Geld in guter Gesellschaft

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"Bei uns wissen die Menschen eben, dass ihre 1000 Euro auch in Zukunft 1000 Euro bleiben", sagt Hans Leo. Der Tegernseer hat zusammen mit Bekannten eine Genossenschaft gegründet. (Foto: Stephan Rumpf)

Genossenschaften verzeichnen bereits seit einigen Jahren einen stetigen Mitgliederzuwachs - sie profitieren mehrfach vom Niedrigzins.

Von Lea Hampel, München

Mehr als 1700, das hätte Hans Leo am Anfang nicht gedacht. Als der Tegernseer und seine Bekannten sich vor mehr als sechs Jahren trafen, um eine Genossenschaft zu gründen, hatten sie gehofft, irgendwann mehrere Hundert Mitglieder für Idee zu begeistern - dieses Ziel haben sie längst überschritten, und ein Grund ist vermutlich der Niedrigzins. Denn seit das Geld auf der Bank kaum noch Zinsen bringt, sind immer mehr Menschen bereit, ihr Geld in Dinge zu stecken, die auf den ersten Blick wenig mit Kapitalanlagen zu tun haben. Zum Beispiel in Käse, Milch und Joghurt. Oder Genossenschaften.

Das Modell der Genossenschaft erlebt eine Renaissance, für die der Niedrigzins eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Dabei betrifft er Genossenschaften auf den ersten Blick kaum, zumindest nicht negativ. Das gemeinschaftliche Kapital steckt meist in den Unternehmungen selbst - wenn es auf den Banken keine Zinsen mehr dafür gibt, kann das vielen Genossenschaftlern gleichgültig sein. Hans Leo, der Vorstandsvorsitzende der Naturkäserei, beobachtet sogar positive Folgen. Zum einen haben Genossenschaften gleiche Vorteile wie andere Unternehmen oder private Investoren: Durch die niedrigen Zinsen sind derzeit Projekte umsetzbar, die bis vor einigen Jahren kaum finanzierbar gewesen wären. Zum anderen gewinnen sie Interessenten dazu, die früher vielleicht ihr Geld schlicht auf dem Sparbuch belassen hätten.

Genossenschaften sind ein vergleichsweise altes Modell. In Deutschland gibt es sie seit über 150 Jahren, die Idee ist damals wie heute die gleiche: Viele Menschen legen Geld zusammen, um gemeinsam etwas zu finanzieren, das der Einzelne nicht stemmen kann. Bekannt sind vor allem Raiffeisenbanken, aber die Bandbreite reicht vom Supermarkt in der kleinen Gemeinde, wo keine große Kette hin möchte, über die solidarische Landwirtschaft bis hin zur Baugenossenschaft. Das Ziel einer Genossenschaft geht in der Regel über die Dienstleistung oder die Herstellung einzelner Produkte oder Projekte hinaus; nicht selten geht es um das Gemeinwohl.

So war es auch am Tegernsee. Irgendwann hatten die Bauern in dem Tal südlich von München genug von den ewigen Kämpfen um ausreichend Geld für ihre Milch. Sie wolltennicht länger zuschauen, wie ihre geliebte kleinbäuerliche Struktur langsam kaputt geht, weil Konzerne sie in den Preiskampf trieben. Geht es nicht ohne die Großen im Markt?, fragten sie sich. Es geht. Das wissen sie heute, sechs Jahre später. Heute liefern sie ihre Milch nicht mehr an große Produzenten, sondern an die "Naturkäserei Tegernseer Land". Sie liefern damit an ihre eigene Familie, ihre Nachbarn und Freunde. Die alle sind gleichzeitig ihre Kunden, Chefs und vor allem: Genossen. Die werden jedes Jahr mehr - und sind Münchner, Tegernseer, aber auch Kanadier und Schweizer.

Die Gründe für das gestiegene Interesse an Genossenschaften sind vielfältig. Einer der wichtigsten lautet: Verunsicherung. Viele haben das Gefühl, dass ihr Geld in einer Genossenschaft besser aufgehoben ist als auf der BankSo abwegig ist der Gedanke nicht. Denn während Leo in den vergangenen Jahren die Verluste der Anfangsphase abgebaut hat, hofft er, dieses Jahr erstmals eine Dividende auszuzahlen, idealerweise zwei bis drei Prozent, mehr als die meisten Banken. Über den finanziellen Gewinn, der nicht garantiert ist, weil die Gemeinschaft darüber abstimmen muss, profitieren vor allem landwirtschaftliche Genossenschaften von der Krisenangst - wenn schon kein Geld, dann besteht die Hoffnung auf Naturalien. Die Genossen der Tegernseer Käserei beispielsweise bekommen zehn Prozent Rabatt für die Produkte: "Die Menschen denken dann: Wenigstens habe ich im Notfall was zu essen", sagt auch Veikko Heintz, der solidarische Landwirtschaften bei der Gründung berät.

Vor allem aber bewirkt der Niedrigzins bei vielen Trotz: Wenn es schon keine Zinsen gibt, wollen sie zumindest in Dinge investieren, die ihnen wichtig sind: "Der Grundgedanke, wenigstens etwas Sinnvolles mit seinem Geld zu machen, wächst", beobachtet Benedikt Altrogge, der für die GLS Bank Genossenschaften berät. Auch Käsereichef Leo glaubt, dass "ein bissl ein Umdenken" stattfindet, gerade weil Geld nichts mehr abwirft.

Diesen Menschen gehe es zudem darum, die Wirkung ihres Geldes zu sehen. "Bei uns kann man eben bei der Arbeit zuschauen und auch mal Kritik anbringen", sagt Leo. "Es ist natürlich charmant", sagt Stephanie Wild vom Netzwerk Solidarische Landwirtschaft. "Einen Apfelbaum in der solidarischen Landwirtschaft sieht man wachsen. Das Geld auf dem Konto sieht zehn Jahre später genau so aus." Die Ausbreitung der Genossenschaften kann deshalb als kleiner Widerstand gegen das Prinzip der Kapitalmehrung gesehen werden. Der Zins, sagt Wild, bestünde für viele dann darin, dass Mehrwert für die Gesellschaft und die Ökologie entsteht.

Doch so attraktiv Genossenschaftsanteile scheinen mögen - Experten sagen: Mitglied einer Genossenschaft zu werden, macht auch in Niedrigzinszeiten nur Sinn, wenn man hinter dem Anliegen steht. Da es keine Pflicht zur Dividende gibt und die Gemeinschaft abstimmt, kann es sein, dass man jahrelang kein Geld herausbekommt. "Bei uns gab es anfangs relativ viele, die ein kurzfristiges Investment machen wollten", erinnert sich Leo. Die sind mittlerweile nicht mehr dabei - und das, obwohl Leo langfristig eine Dividende von zwei bis drei Prozent anstrebt; bisher hat er vor allem Verluste abgebaut.

Dass das Modell trotzdem funktioniert, zeigen die Zahlen: Die Käserei-Genossen werden jährlich mehr. Derzeit steht sogar zur Debatte, die Mitgliederzahl zu deckeln. Denn eines darf man nie vergessen: Das große Interesse kann sich ins Gegenteil verkehren, sobald sich die Zinssituation wieder verändert und viele Genossen gleichzeitig Anteile ausgezahlt bekommen wollen. "Solche Schwierigkeiten können in Zukunft auf Genossenschaften zukommen", schätzt GLS-Bank-Berater Altrogge. Er rät daher immer zu langen Kündigungsfristen. Auch sollte nie ein Genosse zu viele Anteile haben.

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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