SZ-Serie: Familienunternehmen:Der Tanz um den Hirsch

Keine Rabatte und nur eine einzige Ware: Der Likörhersteller Jägermeister setzt seit Jahren alles auf eine Karte. Wie der etwas andere Weg funktioniert.

Meite Thiede

Seit ein paar Wochen röhren sie nicht mehr im Dienste von Jägermeister - Rudi und Ralph wurden "ausgewildert" und sind jetzt nur noch auf virtuellen Lichtungen im Internet aufzuspüren. Die beiden Werbe-Hirsche mit den frechen Sprüchen sind aber nicht etwa einer Sparaktion der Mast-Jägermeister AG zum Opfer gefallen. Ganz im Gegenteil. Die Firma steckt mehr Geld in Werbung denn je. Im September wird das Geheimnis gelüftet, wer statt Rudi und Ralph künftig für den Hochprozentigen aus Wolfenbüttel wirbt. Der Werbeetat von Jägermeister liegt traditionell hoch: Mindestens ein Viertel des Umsatzes wird ins Marketing investiert.

Jägermeister, Flasche, ddp

Jägermeister - am laufenden Band.

(Foto: Foto: ddp)

Paolo Dell'Antonio hatte trotz pessimistischer Erwartungen in der Branche den Etat für dieses Jahr noch einmal um zehn Prozent aufgestockt. "Wir investieren jetzt in die Märkte von morgen", sagt der Vorstandssprecher der Mast-Jägermeister AG. Auf die Branche komme eine Konsolidierungswelle zu, und Jägermeister solle dabei seine Position weiter stärken. Keine andere deutsche Spirituose verkauft sich weltweit so gut. Gemessen am Absatz nimmt sie Platz zehn ein.

Spirituosenhersteller machen schwere Zeiten durch, die Deutschen trinken immer weniger harte Sachen. Im vergangenen Jahr ist der Pro-Kopf-Verbrauch um 1,8 Prozent auf 5,5 Liter geschrumpft, und mit einer Belebung rechnet der Branchenverband in diesem Jahr nicht. Mast-Jägermeister (Umsatz etwa 400 Millionen Euro) hatte da besser abgeschnitten. Mit 82,4 Millionen Flaschen wurde das beste Ergebnis der Firmengeschichte erzielt. In Deutschland stieg der Absatz sogar um zwei Prozent auf 19,1 Millionen Flaschen - den Hirschen sei dank.

"Wir sind nicht an der Börse notiert, und deshalb können wir es uns leisten, antizyklisch zu investieren", sagt Dell'Antonio. Das Unternehmen aus dem niedersächsischen Wolfenbüttel lässt sich zwar nicht besonders tief in die Bücher schauen, aber so viel wird preisgegeben: Die Eigenkapitalquote liegt über 50 Prozent, und Banken - nein, von Banken sei man zum Glück nicht abhängig. Die Expansion könne aus eigener Kraft finanziert werden. Der Spirituosenmarkt wird von großen, meist international aufgestellten Konzernen dominiert. Viele sind börsennotiert und müssen jetzt, wo weniger verkauft und verdient wird, ihren renditehungrigen Aktionären gute Konzepte liefern, die meist auf einem strammen Sparkurs basieren. Die Mast-Jägermeister AG gehört in fünfter Generation der Familie Mast, und die stützt Dell'Antonios expansiven Kurs.

Das Wohl und Wehe der niedersächsischen Firma und seiner 500 Mitarbeiter hängt von einem einzigem Produkt ab, jenem braunen, hochprozentigen Gemisch aus Alkohol und 56 Kräutern, Wurzeln und Hölzern. Der Kräuterlikör wird in sechs Flaschengrößen angeboten, von einem Liter bis 20 Milliliter, mehr gibt die Produktpalette nicht her. Jägermeister verstößt damit eigentlich gegen eine Grundregel guter Unternehmensführung: "Diversifikation", heißt es gewöhnlich, "verteilt die Risiken".

"Jedes Unternehmen hat den Drang sich zu entfalten, so wie Menschen Kinder und Bäume neue Zweige bekommen", sagt Klaus Brandmeyer, Seniorpartner der Brandmeyer Markenberatung. "Das ist das Prinzip der Evolution." Ein-Produkt-Firmen wie Jägermeister seien eine absolute Seltenheit. Mit einer solchen Struktur könne eine Firma nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erfolgreich sein. "Es gehört Disziplin und ein eiserner Wille zur Selbstbeschränkung dazu, sich auf Dauer auf nur ein Produkt in immer derselben Ausführung zu beschränken."

Schließlich müssten die Mitarbeiter trotzdem motiviert werden, und in einer solchen Monokultur bleibe wenig Raum für Kreativität. "Die Phantasie muss dann in die Vermarktung gehen." Wobei eine misslungene Werbekampagne weniger Schaden anrichte als ein missratenes Produkt, denn das zerstöre das Vertrauen in die Marke.

Keine Angriffsfläche für Kritik Als Ein-Produkt-Unternehmen muss Mast-Jägermeister akribisch darauf achten, keine Angriffsfläche für Kritik zu bieten. "Qualitätskontrolle bis zum Exzess" sei da nötig, sagt Brandmeyer. Das sehen die Wolfenbütteler ähnlich. Berndt Finke, Leiter Rohwaren und Herstellung, kommt aus der Branche der Babynahrung, in der viel pingeliger kontrolliert wird als in der Spirituosenwelt. Bei Jägermeister hat er erstmal ein branchenungewöhnliches "Massenspektrometer" angeschafft, das in den vielen getrockneten Kräutern selbst Spuren von Giften entdecken kann. Alkohol, weiß Finke, stehe ohnehin schon heftig in der Kritik. Jede weitere negative Meldung müsse vermieden werden. Auch mit dem Jugendschutz nehmen es die Wolfenbütteler genau: Praktika oder Schnuppertage für Schüler gibt es dort selbst in der Buchhaltung nicht - sicher ist sicher.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Vorteile eine dünne Produktpalette für ein Unternehmen bietet

Versteckte Rabatte und ein Firmengründer ohne Aktie

Doch die Vorteile einer spartanischen Produktpalette scheinen beachtlich zu sein: Die gesamte Mannschaft kann sich auf ein Produkt konzentrieren, für Forschung und Entwicklung muss praktisch kein Geld ausgegeben werden. Vor allem aber kann sich ein Ein-Produkt-Unternehmen, sobald es sich beim Konsumenten durchgesetzt hat, in eine starke Position gegenüber dem Handel bringen.

In Deutschland ist der Händler Herr über die Ware, sobald er sie bekommen hat - dafür gibt es sogar ein Gesetz. Außerdem herrscht hierzulande das Preisbindungsverbot der zweiten Hand. Das bedeutet: Wie der Händler die Artikel präsentiert, und welches Preisschild er dranklebt, ist seine Entscheidung. Mancher Markenartikler leidet darunter, dass sein Produkt im Supermarkt verramscht wird. Allerdings, sagen Experten, hat der Hersteller dann dem Händler zuvor einen zu hohen, meist versteckten Rabatt gegeben, denn freiwillig würde kein Händler auf Marge verzichten.

Versteckte Rabatte gab es bei Jägermeister aber noch nie, heißt es in der Branche, und Mengenrabatte hätten die Wolfenbütteler selbst für die Handelsriesen stark begrenzt. So kosten die grünen Flaschen und Fläschchen am Kiosk das gleiche wie beim Discounter.

Sogar die Satzung wurde angepasst Dafür, dass das auch so bleiben kann, hat Günter Mast mit einem kleinen juristischen Trick gesorgt. Der Enkel des Firmengründers Wilhelm Mast besaß nie eine einzige Aktie an dem Wolfenbütteler Unternehmen, aber er führte es 45 Jahre lang - als Aufsichtsratschef - wie ein Patriarch. 1997, mit 71 Jahren, hat er das Unternehmen verlassen und angeblich nie wieder betreten. Jägermeisters starke Marktposition und Ertragskraft rühre nur daher, dass man sich nie in die Hände des Handels begeben habe, war Günter Mast überzeugt. Nur dadurch habe die Firma sich ihre Unabhängigkeit bewahrt.

Der ambitionierte Hobby-Jurist tüftelte an einer Lösung, dass diese "mittelstandsfreundliche" Politik auch nach seiner Zeit von familienfremden Managern verfolgt wurde. Er änderte die Satzung, seither steht unter Paragraph 2: "Gegenstand des Unternehmens sind die Herstellung und der Vertrieb von Spirituosen mit einer Verkaufs-und Preispolitik, die auf die Erhaltung eines mittelständischen Einzelhandels ausgerichtet ist." Damit sind die Vertriebsleute von Jägermeister aus dem Schneider. Rabatte würden gegen die Satzung verstoßen und sie ihren Job verlieren. "Keine Jahresgespräche führen zu müssen, ist für Markenhersteller ein gigantischer Vorteil", sagt Brandmeyer.

Einmal aber ist Günter Mast schwach geworden. Er wollte etwas Neues auf den Markt bringen und erfand das Schlehenfeuer, einen "Damenlikör" mit Rum und viel Zucker. Plötzlich gab es auch für Jägermeister Jahres- und Rabattgespräche, denn das junge Produkte musste erst noch seinen Platz im Regal erkämpfen. Mast sah die Unabhängigkeit in Gefahr und änderte flugs die Strategie. Heute wird Schlehenfeuer für eine treue Kundschaft in kleinen Mengen produziert, aber es wird weder exportiert noch beworben. Es soll schön klein bleiben, damit Jägermeister schön groß bleibt.

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