SZ-Serie: Deutsche Ökonomen:Ich denke dies, du denkst das

Der Finanzwissenschaftler Clemens Fuest, 46, hat heute bereits großen Einfluss bei den Politikern in Berlin und Brüssel - als Ifo-Präsident bald noch mehr.

Von Marc Beise

Clemens Fuest ist dieser Tage in Kolumbien. Ein hartes Land, bis vor Kurzem versunken in einem Kreislauf von Drogen, Gewalt und Korruption. Dann gab es ein kleines Wirtschaftswunder und politische Stabilität, aber die Lage ist fragil. Clemens Fuest ist regelmäßig in Lateinamerika, seine Frau Ana Maria ist Kolumbianerin. Deshalb hat er immer wieder Gelegenheit zu beobachten, wie ein Staat funktioniert - oder eben nicht. Das ist für einen Finanzwissenschaftler besonders interessant, denn diese Profession befasst sich, anders als es der Name sagt, eben nicht nur mit Geld, sondern eigentlich mit allen Bedingungen, die einen Staat ausmachen. Clemens Fuest (sprich: Fu-h-st) ist Finanzwissenschaftler, einer der besten, die Deutschland zu bieten hat.

Der Mann mit dem blonden Bürstenhaarschnitt ist Präsident des ZEW in Mannheim, eines einst vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth gegründeten Wirtschaftsforschungsinstituts, das heute mit 180 Mitarbeitern und 20 Millionen Euro zu den großen Instituten in Europa gehört. Fuest hat den Chefjob erst seit gut zwei Jahren inne, und ist schon zu Höherem berufen: Im kommenden Frühjahr übernimmt er die Präsidentschaft des Ifo-Instituts in München und zugleich einen Lehrstuhl an der Ludwig-Maximilians-Universität.

SZ-Serie: Deutsche Ökonomen: Clemens Fuest hat seine Meinung geändert: "Es hat keinen Sinn mehr, Griechenland muss raus."

Clemens Fuest hat seine Meinung geändert: "Es hat keinen Sinn mehr, Griechenland muss raus."

(Foto: imago)

Als die Bayern - Institut, Universität und Regierung - einen Nachfolger für den allseits bekannten Hans-Werner Sinn suchten, war das so etwas wie die Quadratur des Kreises: ein noch relativ junger, aber sehr kompetenter, in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit versierter Ökonom, der gut nach München und zum Ifo passen, gleichzeitig Deutscher sein sollte, aber auch im Ausland bekannt.

Clemens Fuest, 46 Jahre alt, quadriert den Kreis. Der gebürtige Münsteraner war in Köln "summa cum laude" mit einer Arbeit über "Eine Fiskalverfassung für die Europäische Union" promoviert worden, ehe er in München zum Thema "Steuerpolitik und Arbeitslosigkeit" habilitierte; sein Lehrvater war der heutige Universitätspräsident Bernd Huber, sein Förderer Ifo-Präsident Sinn.

Professor in Oxford, das ist sicher eine der grandiosesten Stationen, die weltweit für einen Wissenschaftler infrage kommen. An der britischen Eliteeinrichtung war im Jahr 2008 ein Zentrum für internationale Unternehmensbesteuerung eingerichtet worden, und die Wissenschafts-Scouts wurden ausgerechnet in Köln am Rhein fündig, wo Fuest als Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften auf Steuerrecht spezialisiert war.

Bis dahin hatte der junge Ökonom eine durchaus normale, wenn auch rasche akademische Karriere absolviert, jetzt wurde es anders. In Oxford herrscht eine international geprägte Gelehrigkeit, wie man sie in Deutschland selten kennt. Mit ein wenig Wehmut erinnert sich Fuest heute an den wissenschaftlichen Austausch mit den besten Köpfen der Welt, wo man beim Mittagessen in einem der Clubs mal eben von einem Nobelpreisträger angesprochen und zum Fachsimpeln verleitet wird. Fuest und seine junge Familie, zu der rasch drei Kinder gehörten, genossen diese Zeit und das britische Landleben, aber die Ressource Zeit wurde bald knapp: Für deutsche Politiker, aber auch die Öffentlichkeit war Fuest besonders interessant, er kannte sich in Deutschland aus, aber hatte den Ruf des international überparteilichen Beobachters.

Immer häufiger flog der Deutsche in britischen Diensten nach Berlin, um beispielsweise die Bundesregierung in Finanzfragen zu beraten. Dabei kamen ihm sein gelassener Charakter und sein wissenschaftliches Selbstverständnis gleichermaßen zugute: Fuest kann zuhören, und er hat einen pluralistischen Ansatz. "Ich habe meine Meinung", beschreibt er sein wissenschaftliches Selbstverständnis, "aber ich erkenne an, dass andere eine andere Meinung haben." Für ihn gibt es in der Regel kein "Richtig" oder "Falsch", wichtig ist, ob die Meinung des anderen wissenschaftlich sauber und plausibel hergeleitet ist.

Hans-Werner Sinn dagegen, sein großer Gegenspieler, mit dem er seit Jahren darum wetteifert, wer in der Öffentlichkeit mehr beachtet wird und wer in den einschlägigen Rankings höher steht, ist anders. Sinn weiß für sich, wie die Dinge laufen, und er möchte, dass die ganze Welt das auch so sieht.

Sinn ist ein Missionar. Fuest ist ein Beobachter, ein Ratgeber.

Man kann wohl sagen, dass die Methode Fuest in Berlin besser ankommt als die Methode Sinn. Deshalb rückte der Institutspräsident immer mehr in den Blickwinkel der Mächtigen in Berlin und auch in Brüssel, wo er die Kommission berät. Er ist kein Parteimitglied, aber er hat viel mit der CDU zu tun - und er kann vor allen Dingen sehr gut mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Ob dessen Schwenk bei der Griechenland-Politik, der Wunsch nach einem wenigstens vorübergehenden Exit Griechenlands aus dem Euro, ihm von Fuest eingegeben wurde, weiß man nicht, die Herren schweigen dazu. Aber es wäre denkbar, denn auch Fuest hat hier, vor ungefähr einem halben Jahr, seine Meinung dramatisch geändert.

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Bis zu diesem Zeitpunkt war Fuest der große Antipode des Euro-Skeptikers Sinn. Während dieser Griechenland schon lange - und durchaus wohlmeinend in dessen eigenem Interesse - aus dem Euro vertrieben sehen wollte, sprach Fuest dagegen: Griechenland sei, sofern reformwillig, besser im Euro aufgehoben als außerhalb. Jetzt sagt er: "Es hat keinen Sinn mehr, Griechenland muss raus."

Die Regierungszeit des Premiers Tsipras ist für Fuest eine einzige Enttäuschung, alle positiven Ansätze seien zerstört und Griechenland um Jahre zurückgeworfen worden. "Das Vertrauen ist dahin. Mit dieser Regierung wird es auch nicht zurückkommen." Heute, sagt Fuest - und gibt zu, dass das eine Kehrtwende ist -, "überwiegen die Nachteile einer weiteren Mitgliedschaft Griechenlands im Euro die Vorteile - für alle Seiten".

Ohnehin werde viel zu viel über Griechenland geredet, klagt er, und zu wenig über die zünftige europäische Ordnung. Der Finanzwissenschaftler plädiert für eine bessere Bankenaufsicht und eine europäische Insolvenzordnung, also klare Regeln für den Fall, dass ein Staat pleitegeht.

Zurück aus Kolumbien, wird es für Fuest bald Zeit, den Umzug vom Rhein an die Isar vorzubreiten. Darauf kann er sich freuen, denn er mag München. Er wird dort anders als bisher wohl in einem Haus ohne Klimaanlage leben können, denn eines ist sicher: München, angeblich Italiens nördlichste Stadt, ist wesentlich weniger warm und schwül als Mannheim.

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