SZ-Interview mit Paul Achleitner:"Unangenehme Wahrheiten stören die Harmonie"

Der Allianz-Finanzvorstand über den radikalen Stellenabbau, überhöhte Renditeziele von Konzernen und die richtige Höhe von Vorstandsabfindungen.

Die Allianz steht in der Kritik, seit der Konzern den Abbau von insgesamt 7500 Stellen in Deutschland bekannt gegeben hat. Finanzvorstand Paul Achleitner begründet den Einschnitt. Es sei aber nicht geplant, weitere Arbeitsplätze zu streichen. Gleichzeitig fordert er eine Deckelung von Vorstandsabfindungen.

Allianz

Von 7500 Mitarbeitern will sich die Allianz trennen.

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Achleitner, sind Sie überrascht von der harschen öffentlichen Reaktion auf ihre Abbaupläne?

Achleitner: Nein, wir sind nicht überrascht. Es ist absolut nachvollziehbar, dass Betroffene ihre Meinung öffentlich kundtun. Wir setzen uns sehr intensiv damit auseinander und sprechen mit unseren Mitarbeitern darüber.

SZ: Die Gewerkschaften wollen ein Gegenkonzept erarbeiten. Nordrhein-Westfalen, wo drei Standorte geschlossen werden, hofft auf Korrekturen. Werden Sie an dem Konzept noch etwas ändern?

Achleitner: Wir haben bereits im September letzten Jahres den Umbau angekündigt und seitdem das Konzept systematisch erarbeitet. Wir haben uns das lange überlegt, das ist kein Schnellschuss.

SZ: Kann man den Abbau nicht auch schrittweise vornehmen?

Achleitner: Wir schaffen jetzt Klarheit und können durch die gute wirtschaftliche Lage auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2007 verzichten, je nach Wachstum sogar darüber hinaus. Wir machen ja nicht irgendein Kostensenkungsprogramm. Wir ändern das gesamte Betriebsmodell, mit dem wir Versicherungen in Deutschland produzieren und verkaufen. Dafür brauchen wir ein fertiges Konzept. Eine schleichende Umsetzung über Jahre wollen wir ja gerade vermeiden, wir wollen Klarheit für alle Betroffenen schaffen.

SZ: Sind auf absehbare Zeit weitere Stellenstreichungen ausgeschlossen?

Achleitner: Ja. Wenn wir unsere Wachstumsziele erreichen, wollen wir sogar wieder Jobs schaffen. Alleine im Vertrieb stellen wir 1500 Mitarbeiter im Jahr ein.

SZ: Sie wollen mehr Service bieten, bauen aber Mitarbeiter ab. Wie soll das funktionieren?

Achleitner: Der Abbau erfolgt im Innendienst, da wir dort durch veraltete Strukturen und Arbeitsdoppelungen zu kompliziert organisiert sind. Bisher waren drei große Gesellschaften - Sach-, Lebens- und Krankenversicherung - mit ihren Verwaltungen nebeneinander im Markt tätig. Wir müssen für unsere Kunden effizienter werden. Unsere Mitarbeiter sollen mehr Zeit für die Kunden haben und von bürokratischen Prozessen entlastet werden.

SZ: Rekordgewinne und Stellenabbau - für viele ist das ein Widerspruch. Haben Sie Verständnis für diese Kritik?

Achleitner: Ich habe sehr großes Verständnis dafür. Dennoch bin ich anderer Meinung, denn darin drückt sich eine zu kurzfristige Sicht aus. Wir wollen den Wandel nicht erst in der Krise einleiten. Wir müssen heute die Basis dafür legen, dass die Allianz auch morgen in Deutschland wettbewerbsfähig bleibt. Lassen Sie es mich mit einem Vergleich erklären:

Als Bundestrainer Klinsmann angetreten ist und viele Veränderungen in der deutschen Mannschaft herbeigeführt hat, hat es erst mal links und rechts Prügel gegeben. Inzwischen nach den Erfolgen bei der WM ist die Einschätzung für die Arbeit von Klinsmann schon anders.

SZ: Klinsmanns Team hat vor der WM gegen Italien eine Niederlage einstecken müssen. Steht Ihnen das noch bevor?

Achleitner: Nein, diese Erfahrung haben wir schon hinter uns. Vor vier Jahren haben wir zum ersten Mal in der Geschichte einen Milliardenverlust gemacht. Das war der Weckruf. Vergessen Sie nicht: 1996 war die Allianz nach Börsenwert der viertgrößte Finanzkonzern der Welt, derzeit schaffen wir es gerade noch unter die ersten 25.

SZ: Warum sind Änderungen in Deutschland so schwierig?

Achleitner: Vieles ist hier zu Lande auf Kompromiss ausgelegt, unangenehme Wahrheiten stören das Harmoniebedürfnis. Doch auch wir müssen uns dem Wandel stellen, wenn Deutschland zukunftsfähig bleiben soll.

SZ: Warum verstehen so viele Menschen Ihre Motive nicht?

Achleitner: Gerade in Deutschland kommen die langfristig ausgerichteten Investoren wie beispielsweise Pensionsfonds vor allem aus dem Ausland. Amerikanische Autoarbeiter oder Lehrer legen bei uns langfristig ihre Altersvorsorge an. Deutsche Autoarbeiter und Lehrer müssen für ihre Altersvorsorge noch immer auf den Staat vertrauen. Daher ist das öffentliche Interesse an effizienten Konzernen in Deutschland naturgemäß viel kleiner als etwa in den USA.

SZ: DGB-Chef Sommer beschimpft Sie als vaterlandslose Gesellen.

Achleitner: Ein gutes Vaterland sollte sich insbesondere um die Zukunft seiner Kinder kümmern. Das tun wir mit unserer neuen Struktur. Das ist wie im Fußball: Ratschläge und Kommentare aus dem Zuschauerraum sind unvermeidlich, aber in vielen Fällen nicht hilfreich. Auch sollten wir nicht vergessen, dass wir in diesem Land in den vergangenen 15 Jahren unsere Belegschaft verdoppelt haben.

SZ: Die Börse hat Ihre Pläne mit einem Kursplus honoriert. Wollen Sie nur den Kapitalmarkt zufrieden stellen?

Achleitner: Unser Umbau ist nicht primär kapitalmarktgetrieben. Wir müssen das Geschäftsmodell ändern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Unsere Kostenquote ist im Vergleich zu den Wettbewerbern viel zu hoch.

SZ: Sie sind Aufsichtsrat beim Bayer-Konzern, der Schering übernommen hat. Die Allianz als größter Schering-Aktionär hat davon stark profitiert. Gibt es einen Interessenkonflikt?

Achleitner: Ich habe mich im Bayer-Aufsichtsrat an den Abstimmungen über den Zusammenschluss mit Schering nicht beteiligt, sondern habe mich von den Sitzungen befreien lassen.

SZ: Auch beim MAN-Konzern saßen Sie lange im Aufsichtsrat. Dann hat eine Allianz-Beteiligungsfirma die wichtige Druckmaschinen-Sparte MAN Roland übernommen.

Achleitner: Die Allianz ist vor mehr als einem Jahr bei MAN ausgestiegen. Ich habe damals schon mein Aufsichtsratsmandat aufgegeben. Die Übernahme erfolgte deutlich später.

SZ: Es gibt eine Debatte darüber, die Fristen der Vorstandsverträge, die meist über fünf Jahre laufen, kürzer zu gestalten. So sollen beim frühzeitigen Ausscheiden hohe Abfindungen vermieden werden. Was halten Sie davon?

Achleitner: Man kann auch Abfindungen beschränken, ohne an die in Deutschland üblichen Vertragslaufzeiten zu gehen. Schließlich gibt es für letztere in mitbestimmten Unternehmen gute Gründe.

SZ: Was schlagen Sie für die Höhe der Abfindungen vor?

Achleitner: Mit zwei Jahreseinkommen ständen Vorstände immer noch gut da.

SZ: Die Allianz ist auch an der New Yorker Börse notiert. Wollen Sie sich wie andere deutsche Unternehmen zurückziehen?

Achleitner: Die Frage stellt sich nicht, weil ein Rückzug nach den derzeitigen Regularien praktisch nicht möglich ist.

SZ: Also Versäumnisse der Vergangenheit?

Achleitner: Der Handlungsspielraum für den großen Wurf war bisher nicht da. Auch machen wir uns die Aufgabe nicht leicht. Wir hätten auch die Hände weiter in den Schoss legen können, doch dann wäre der Preis in einigen Jahren noch höher.

SZ: Immer mehr Konzerne geben sich hohe Kapitalrenditen als Ziel vor. Führt das nicht zu einem gesellschaftlichen Konflikt, wenn solchen Zielen alles andere untergeordnet wird?

Achleitner: Sie müssen wettbewerbsfähige Renditen abliefern, weil sich sonst die Investoren abwenden und den erfolgreicheren Unternehmen zuwenden. Unsere Neuordnung in Deutschland dient aber nicht kurzfristigen Verbesserungen der Eigenkapitalrendite.

SZ: Sind beispielsweise Kapitalrenditen von 25 Prozent auch auf Dauer zu erreichen?

Achleitner: Vielleicht im Einzelfall, im Allgemeinen aber nicht.

SZ: Die Allianz hat sich in den vergangenen Jahren aus vielen Industriebeteiligungen zurückgezogen. Ist der Eindruck falsch, dass Sie trotzdem noch die Strippen ziehen?

Achleitner: Ja, das ist falsch. Natürlich sind und bleiben wir ein großer Kapitalanleger. Daher sind wir an wichtigen Entscheidungen auch beteiligt.

SZ: Sie machen also weiter Industriepolitik?

Achleitner: Nein. Wir versuchen, sinnvolle Maßnahmen zu unterstützen. Wir wollen das Beste für unsere Kunden rausholen.

SZ: Gibt es noch die alte Deutschland AG, in der die Allianz eine Hauptrolle hatte?

Achleitner: Damit hat das nichts zu tun. Wir würden in jedem anderen Land genauso reagieren, wenn dort wichtige Entscheidungen anstünden. Wir wollen den Interessen unserer Versicherungsnehmer und Aktionäre gerecht werden.

SZ: Was kostet die US-Notierung?

Achleitner: Einen niedrigen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag.

SZ: Viel Geld. Ist es das wert?

Achleitner: Aktuell nicht.

SZ: Die New Yorker Börse hat gerade im Übernahmekampf um Euronext gegenüber der Deutschen Börse die Nase vorn. Hat das Auswirkungen?

Achleitner: Noch ist die letzte Entscheidung nicht gefallen. Es wäre jedoch bedauerlich, wenn es in Euro-Land keine einheitliche Euro-Börse gäbe. Hier hätten wir eine echte Chance vergeben. Für die notierten Unternehmen würde die Entwicklung jedoch keine dramatischen Auswirkungen haben, es sei denn, wichtige Indizes, wie etwa der Dax, würden an Bedeutung verlieren.

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