SZ-Führungstreffen Wirtschaft:Der talentierte Herr Samaras

Athens Premierminister charmiert auf seiner Berlin-Reise - und spricht vom "spektakulären Comeback" seines Landes. Doch wichtige Reformen kommen nach wie vor nur schleppend voran.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Vom "Lounge"-Zimmer im dritten Stock des Hotels Adlon hat man eine herrliche Aussicht auf den Pariser Platz. Der Blick geht über das Brandenburger Tor auf den Reichstag, halblinks sind die ersten blattlosen Baumwipfel des Großen Tiergartens zu erkennen.

Als Antonis Samaras den Raum am Samstagmittag betritt, um mit Daimler-Chef Dieter Zetsche zu sprechen, mag er dennoch für einen kurzen Moment gestutzt haben, denn die Szenerie erinnert mehr an das heimische Athen als an Berlin: Demonstranten bellen in ein Megafon.

Ein Transparent wird geschwungen: "Nieder mit der Samaras-Regierung - Troika raus aus Griechenland!", ist dort zu lesen, und: "Schluss mit der Spar-Doktrin. Syriza jetzt!" Der vermaledeiten sozialistischen Opposition um den selbsternannten Volkstribun Alexis Tsipras entkommt der griechische Ministerpräsident auch in Deutschland nicht.

Die etwa vier Dutzend Demonstranten, darunter viele Exil-Hellenen, liefern die Begleitmusik für den Besuch "ihres" Regierungschefs in Berlin. Dabei ist der eigentlich gekommen, um seinen deutschen Gastgebern eine frohe Botschaft zu verkünden: Griechenland lebt! Ist wieder da! Ist zurück auf der Weltbühne! Nie wieder wolle er vom "Grexit" hören, also davon, ob Griechenland aus der Eurozone austreten müssen; stattdessen solle man über "Greecovery" reden, den griechischen Aufschwung.

Zahlen, die beeindrucken sollen

Immer wieder während seines zweitägigen Aufenthalts wiederholt Samaras dieses Mantra -in seiner Rede beim Führungstreffen Wirtschaft der Süddeutschen Zeitung ebenso wie in den vielen Gesprächen, die er am Rande führt. Natürlich, räumt er ein, seien die Reformen noch nicht abgeschlossen, liege noch viel Arbeit vor ihm und seiner Regierung. Die Wende aber sei geschafft, alle relevanten Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltsindikatoren zeigten nach oben. Griechenland sei ein "spektakuläres Comeback" gelungen.

Da noch nicht alle Menschen - in Athen wie in Berlin - dieses Comeback bemerkt haben, nutzt Samaras seine Teilnahme an dem SZ-Kongress für eine breit angelegte Charmeoffensive. Die mobile PR-Zentrale hat er in jenem "Lounge"-Zimmer im Adlon eingerichtet. Bereits am Freitagnachmittag, Samaras ist gerade von einem Treffen mit Angela Merkel aus dem Kanzleramt zurückgekehrt, wird RWE-Chef Peter Terium im dritten Stock vorstellig, bis Samstagnachmittag folgen Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Finanzminister Wolfgang Schäuble und Dieter Zetsche.

Die Zahlen und Fakten, die Samaras präsentiert, sind in der Tat beeindruckend. Erstmals seit einer gefühlten Ewigkeit wird die griechische Regierung in diesem Jahr mehr Geld einnehmen als sie ausgibt - zumindest dann, wenn man die Ausgaben für Zins und Tilgung einmal außer Acht lässt.

Experten sprechen von einem Primärüberschuss. Gemessen an der gesamtwirtschaftlichen Leistung, ist das Budgetdefizit damit binnen weniger Jahre um zwölf Prozentpunkte geschrumpft. Würde man das auf Deutschland umrechnen, ergäbe sich ein Sparpaket im gewaltigen Umfang von 320 Milliarden Euro. Damit nicht genug: Die Lohnstückkosten der Betriebe haben sich um fast 20 Prozent verringert, der gigantische Fehlbetrag in der Leistungsbilanz ist verschwunden. 2014 soll die griechische Wirtschaft nach sechs Rezessionsjahren erstmals wieder wachsen.

Doch der Premier belässt es nicht bei Zahlen. Als erfahrener Politfuchs garniert er die Statistiken vielmehr mit einer wohlklingenden Erzählung. Er spricht von reformwilligen und reformunwilligen Regierungen im Wandel der Jahrhunderte, er erinnert an den Aufstieg und den Fall der Weltreiche, er schlägt den Bogen vom griechischen Erneuerer Solon über den Spartaner Lykurg bis zu den römischen Reformern Octavius und Tiberius. "Glanzvolle Supermächte, die es nicht schafften, Reformen umzusetzen, zerfielen zu Asche", sagt Samaras, und: "Reformen sind immer der Wendepunkt in unserer Geschichte gewesen, das wissen wir. Und wahrscheinlich determinieren sie auch unsere Zukunft."

Das klingt gut in den Ohren des Publikums, so gut, dass Samaras den Moment gekommen sieht, seine Zuhörer auch mit ein paar Zumutungen, Bitten und Forderungen zu konfrontieren. Von den deutschen Unternehmen wünscht er sich mehr Investitionen - von der Energie- über die Logistik- bis zur IT-Branche. Und von der Politik verlangt er indirekt den Verzicht auf weitere Reformauflagen - und einen Schuldenerlass. Einen Berg, sagt der Premier, könne man nicht auf direktem Wege besteigen. Vielmehr müsse man immer "von einem Plateau zum nächsten" klettern. Das Gleiche gelte für Reformen: Auch sie könnten nur Erfolg haben, wenn man die Menschen nicht überfordere. "Sie können nicht gegen den Willen des Volkes durchgesetzt werden, sie müssen auch eine demokratische Legitimität haben, sonst werden sie gestoppt", sagt Samaras.

Das vor allem in Deutschland verpönte Wort Schuldenerlass nimmt der Ministerpräsident klugerweise nicht in den Mund. Er verweist vielmehr auf eine Zusage seiner EU-Amtskollegen aus dem Jahr 2012. Demnach wollen sich die Euro-Staaten 2014 des Problems der viel zu hohen griechischen Staatsschuldenquote annehmen, sofern die Regierung in Athen bis dahin den Primärüberschuss im Haushalt erreicht hat. Das hat sie - weshalb Samaras nun von Merkel & Co. verlangt, auch ihren Teil der Abmachung einzuhalten.

Das Problem ist jedoch: Der Premier hat bei seinem Auftritt im Adlon einen wichtigen Punkt weggelassen. Denn ein wie auch immer gearteter Schuldenerlass ist an noch eine Bedingung geknüpft: dass Athen die bis dahin eingegangenen Reformverpflichtungen in vollem Umfang erfüllt. Doch die Privatisierung von Staatsunternehmen kommt ebenso wenig voran wie der Aufbau einer funktionierenden Steuerverwaltung, die Verteidigungsausgaben sind nach wie vor sehr hoch, und in der Etatplanung für 2014 klafft ein Loch im Umfang von bis zu 1,5 Milliarden Euro.

Die Experten der sogenannten Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds wollten ihre jüngste Prüfmission in Griechenland eigentlich bereits Ende September abgeschlossen haben. Stattdessen setzten sie ihre Gespräche mit den lokalen Behörden bereits zweimal aus und reisten mit leeren Händen aus Athen ab. Das hat es selbst in der an Misserfolgen wahrlich nicht armen Geschichte der Griechenland-Krise noch nicht gegeben. "Die Griechen haben die Reformarbeit praktisch eingestellt und warten auf den Schuldenerlass", heißt es in Troika-Kreisen.

Aus Sicht Athens schlägt die Stunde der Wahrheit Mitte April kommenden Jahres, wenn das Statistikamt Eurostat die Haushaltszahlen der EU-Staaten für 2013 veröffentlicht - und der griechische Primärüberschuss amtlich wird. Geht es nach Samaras, sagen die Euro-Partner am selben Tag den Schuldenerlass zu. Das wiederum will Merkel vermeiden. Sie fürchtet, dass eine solche Zusage den Euro-Gegnern von der AfD bei der Europawahl im Mai ein fulminantes Ergebnis verschaffen könnte. Samaras hingegen argumentiert andersherum: Nur wenn die Euro-Partner rechtzeitig einlenkten, lasse sich verhindern, dass der Populist Tsipras die Europawahl in Griechenland gewinne. Vielleicht kamen dem Premierminister die demonstrierenden Syriza-Sympathisanten auf dem Pariser Platz am Samstag deshalb insgeheim gerade recht.

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