Südkorea:Wehe, wenn die Riesen schwächeln

Südkorea: In manchen Vierteln der Hauptstadt Seoul stoßen Welten aufeinander: Hier kaufen die Reichen der Stadt ein, einige Schritte weiter gibt es Kleidung für einen Bruchteil des Geldes.

In manchen Vierteln der Hauptstadt Seoul stoßen Welten aufeinander: Hier kaufen die Reichen der Stadt ein, einige Schritte weiter gibt es Kleidung für einen Bruchteil des Geldes.

(Foto: Ed Jones/AFP)

Was gut ist für Samsung, ist gut für Südkorea: Das Land wurde so schnell reich wie kein anderes. Nun geht die Gleichung nicht mehr auf.

Von Christoph Neidhart, Seoul

Junge Südkoreaner nennen ihr Land "Hell-Joseon", "Höllen-Korea". Ihre Krise begann mit dem Untergang der Fähre Sewol vor zwei Jahren. 304 Menschen starben damals, fast alles Mittelschüler, während sich die Crew in Sicherheit brachte. Heute fühlt sich die junge Generation im Stich gelassen, viele sehen keine Perspektive für sich.

Dabei wächst Südkoreas Wirtschaft um knapp drei Prozent, die Arbeitslosigkeit steht bei 3,5 Prozent. Das sind keine Krisenzahlen. In der Hauptstadt Seoul wird emsig gebaut und fleißig konsumiert. Ein zweiter Blick auf die Zahlen zeigt jedoch: Von den Jungen unter 30 sind zwölf Prozent arbeitslos. Und viele sitzen auf enormen Schulden aus ihrem Studium. Zwei Drittel aller jungen Südkoreaner haben einen Hochschulabschluss, viele sind dann aber für die Jobs, die sie finden, hoffnungslos über- oder fehlqualifiziert. Und werden schlecht bezahlt. Die Wohnungspreise sind astronomisch, die Durchschnittsfamilie ist mit 160 Prozent ihres Jahreseinkommens verschuldet.

Koreas Ökonomen diagnostizieren eine "Polarisierung" der Wirtschaft - die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. In manchen Vierteln von Seoul ist diese Kluft kaum zu übersehen: Manche Läden und Restaurants verlangen Luxuspreise wie in New York oder London; einige Schritte weiter gibt es etwa das Gleiche für ein Zehntel des Geldes. Oder noch billiger. Südkoreas Wirtschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig gewachsen. Doch die Löhne hinkten hinterher. Und die Renten noch mehr. Viele Ältere, die sich an die mageren Jahre erinnern und denen es später Jahr für Jahr besser ging, haben das akzeptiert. Dennoch hat Präsidentin Park Geun-hye ihnen im Wahlkampf 2012 versprochen, erstmals werde jeder Koreaner über 65 eine Rente erhalten, und zwar mindestens 200 000 Won monatlich, 152 Euro.

Präsidentin Park weiß, wie sehr Südkoreas Wirtschaft von den Großkonzernen abhängt

Kaum im Amt, kürzte sie den Betrag. Und selbst voriges Jahr zahlte der Staat nur an zwei Drittel der Alten überhaupt eine Rente. Südkorea begann erst nach dem Zusammenbruch seiner Militärdiktatur im Jahr 1988, ein Rentensystem aufzubauen. Vorher gab es keine staatlichen Sozialnetze. Die Menschen hatten für den Staat da zu sein, nicht der Staat für die Menschen.

Wenn die Medien in Seoul von einer Wirtschaftskrise reden, denken sie freilich nicht an die Mühen der kleinen Leute, sondern an die Chaebol, die Familien-Konglomerate. Sie warnen, dass die Abkühlung der Konjunktur in China, Südkoreas größtem Handelspartner, Unsicherheiten in den USA und der tiefe Ölpreis ihre Exporte belasteten.

Die Chaebol genießen bis heute eine Sonderstellung - als die Elite, die zusammen mit der Diktatur das "Wunder vom Han-Fluß" geschaffen hat. 1960 noch einer der ärmsten Staaten, ist Südkorea schneller reich geworden als jedes andere Land. Zusammen mit Militärdiktator Park Chung-hee, dem Vater der heutigen Präsidentin, suchten die Chaebol-Bosse Wirtschaftszweige für künftige Exporte. Der Staat finanzierte ihnen ihre Investitionen, erst in die Textil- und Plastikindustrie, dann in Werften, Autofabriken und später in die Elektronik. Er schirmte den Binnenmarkt gegen ausländische Konkurrenten ab und knebelte jegliche Gewerkschaften. In dieser gelenkten Wirtschaft hatten die Chaebol und ihre Bosse mehr Rechte als kleine Unternehmer, sie erarbeiteten schließlich dringend benötigte Devisen. Was gut war für Samsung, war gut für Korea.

Die Devisen waren Vater Park so wichtig, dass er sogar eine spezielle Fünf-Tage-Woche einführte: An zwei Wochentagen durften Restaurants keinen Reis servieren, sondern nur Gerste. Korea hätte sonst Reis importieren müssen und dafür waren Park die Devisen zu schade.

Offiziell sind die Privilegien der Chaebol abgeschafft, Südkoreas Markt ist offen. Aber dank ihrer verflochtenen Strukturen kontrollieren die Familien, obwohl sie nur noch zwei bis drei Prozent der Aktien halten, die Konglomerate weiterhin. "Sie saugen die Profite von überall in der Gesellschaft auf", notierte Wirtschaftsprofessor Kim Tae-Dong. Das wird sich angesichts der Nähe von Macht und Chaebol unter Park auch nicht ändern.

Die Präsidentin hatte im Wahlkampf versprochen, "die Wirtschaft zu demokratisieren", mithin die Kluft zwischen den Chaebol und dem übrigen Südkorea zu verringern. Sie hat die Konzerne seither zu mehr Transparenz aufgefordert, aber nichts unternommen. Im Gegenteil. Wirtschaftsprofessor Lee Dong-geol warf ihr in der Tageszeitung Hankyoreh vor, sie drehe das Rad zurück. Ihre Administration hat die Gesetze für Zeitarbeiter zugunsten der Chaebol gelockert, die Immobilien-Spekulation erleichtert und den Reichen Steuergeschenke gemacht.

Samsung erbringt 20 Prozent der Wirtschaftsleistung Südkoreas, Hyundai Motor 13 Prozent

Die Präsidentin weiß, wie sehr ihr Land von den Chaebol abhängig ist: Der Elektronikriese Samsung allein erbringt 20 Prozent der Wirtschaftsleistung Südkoreas, Hyundai Motor 13 Prozent. Die Profite demonstrieren ihre Macht noch deutlicher: 2013 erwirtschafteten die fünf größten Chaebol - Samsung, Hyundai Motor, SK und LG - zusammen 90 Prozent aller Konzerngewinne, Samsung und Hyundai Motor allein 76 Prozent. Die meisten übrigen etwa 25 Chaebol und viele kleinere Unternehmen halten sich derweil nur über Wasser.

Manche Experten warnen, die Chaebol seien "too big to fail". Am Beispiel von Nokia zeigte Wirtschaftsprofessor Park Sang-in jüngst in einem Buch auf, wie Südkorea in eine Depression stürzen würde, sollte Samsung so einbrechen wie Nokia. Er fordert einen radikalen Umbau der Chaebol.

Die zehn größten Chaebol hocken zusammen auf 500 Billionen Won Cash-Reserven, 380 Milliarden Euro. Park hat sie aufgefordert, das Geld in die Wirtschaft zurückzupumpen. Samsung und Hyundai Motor kauften deshalb Aktien zurück. Zu einer "Demokratisierung der Wirtschaft" tragen sie damit freilich kaum bei, das Geld bleibt bei denen, die schon Geld haben.

Südkorea lebt vom Export, doch der Anteil des Privatkonsums an seiner Wirtschaft steigt, er nähert sich der 50-Prozentmarke. Wenn nun die Exporte zurückgehen, muss die Binnennachfrage aber noch mehr anziehen, damit die Wirtschaft weiter wachsen kann.

"Unsere Wirtschaft ist wie die Sewol, sagt Wirtschaftsprofessor Lee im Hankyoreh. "Die Fähre sank, und der Kapitän sagte den Schülern, sie sollten bleiben, wo sie sind. Präsidentin Park ist nicht anders als dieser Kapitän." Parks Slogan von einer "Demokratisierung der Wirtschaft" ist genau genommen nur ein anderes Wort für Umverteilung. Was gut ist für Samsung, ist nicht mehr unbedingt gut für Korea.

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