Südeuropa:Hohe Hürden

Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Die Banken in Südeuropa schleppen riesige Summen fauler Kredite in ihren Bilanzen herum. Das hemmt die dringend benötigte Kreditvergabe an den Mittelstand.

Von Marcel Grzanna

Die Folgen der europäischen Schuldenkrise scheinen im Empfangsraum der Firmenzentrale des spanischen Unterwäscheherstellers Gisela weit entfernt zu sein. Ivan Ferrer ist der Chef des Betriebs, und er strahlt die andalusische Gelassenheit aus, die Menschen in Málaga zu eigen ist, wenn es um die Erörterung von Problemen geht. Kein Hadern, kein Jammern, es wird schon. Das Leben ist zu kurz, um sich zu viel schlechte Laune zu leisten.

Zugegeben hat Ferrer gut Reden im Vergleich zu anderen Unternehmern. Es sind nicht unmittelbar seine Probleme, die Politik und Banken der spanischen Wirtschaft hinterließen, nachdem sie die Nation Hand in Hand an den Rand des Bankrotts geführt hatten. Tausende andere Firmen des Landes litten brutal unter der Krise, darunter auch ein gutes Dutzend von Ferrers nationalen Mitbewerbern aus der Textilindustrie. Sie gingen pleite, weil sie finanziell ausbluteten, ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten. Niemand mehr bereit war, ihnen Geld zu geben. Die Banken nicht, Investoren nicht, der Staat sowieso nicht. Ferrer aber benötigte keine Kredite, keine Finanzierungen, keine Investoren. Er hatte frühzeitig die Weichen in Richtung Zukunft gestellt. Schon 2005 verlagerte das Unternehmen seine Produktion nach Asien und erschloss neue Märkte in Osteuropa und Mittelamerika. Als die spanische Wirtschaft im Jahr 2009 einbrach, konnte Gisela dem Sog der Vernichtung aus dem Weg gehen. Heute exportiert der Hersteller in 25 Länder. 70 Arbeitsplätze sicherte Ferrer mit seiner globalen Expansion. Und das Beste daran: "Wir sind schuldenfrei. Wir brauchen keine Kredite. Investitionen stemmen wir mit Eigenkapital."

Wohl jenen Unternehmern aus einem der südeuropäischen EU-Länder, die sich so äußern können wie Ferrer. In Spanien, Portugal, Italien oder Griechenland leiden viele kleine und mittelständische Unternehmen auch zehn Jahre nach der Finanzkrise unter den erschwerten Bedingungen, um an Geld zu kommen, das sie für den Anschub oder den Ausbau ihres Geschäfts dringend benötigen. Banken sind höchst misstrauisch, wenn jemand mit einer guten Idee bei ihnen vorspricht und um Geld bittet. Eine Idee reicht ihnen nicht aus. Wer keine Absicherung zu bieten hat, der geht meistens leer aus. Kredite fließen an diejenigen, die als Sicherheit ein Grundstück, eine Immobilie oder viele Maschinen vorweisen können. Die Banken der EU, vor allem jene in Südeuropa, schleppen gewaltige Summen fauler Kredite mit sich herum, also solche Kredite, die von den Schuldnern nicht mehr bedient werden, weil sie nicht mehr flüssig sind. Mitte März taxierte die EU-Kommission die Höhe des Schuldenbergs, der nicht mehr abgetragen wird, auf 910 Milliarden Euro. Demnach besonders davon betroffen sind die Banken der Krisenländer wie Spanien, Italien, Portugal oder Griechenland. Faule Kredite bedrohen nicht nur ihre eigene Existenz, sondern die von tausenden Unternehmen, von Millionen von Bürgern und am Ende die Stabilität ganzer Staaten. Und weil Banken weltweit mit anderen Banken Geschäfte machen, können solche Krisen leicht über die Grenzen treten und dann auch andere Staaten ins Wanken bringen. Der Dominoeffekt könnte sich schlimmstenfalls um den gesamten Erdball ziehen. 2008 war es schon einmal fast so weit.

Leidtragende sind vor allem die kleinen Betriebe

Entsprechend zurückhaltend beurteilen die Geldinstitute in den betroffenen Staaten Südeuropas die Anträge für neue Kredite. Leidtragende sind dort dann meistens die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Zum Vergleich dazu sind die Bedingungen für den Zugang zu Fremdkapital in Deutschland zurzeit regelrecht paradiesisch. Die Kredithürde befindet sich auf einem historisch niedrigen Stand. Nicht einmal 20 Prozent aller Anträge werden von den Banken abgelehnt. "Wer heute als Unternehmer Probleme hat, einen Kredit zu bekommen, der muss eine schlechte Bonität haben", sagt Bernd Papenstein von PricewaterhouseCooper (PwC).

In Südeuropa sei die Situation für die Firmen eine ganz andere und die Kredithürden wesentlich höher. Das Problem dabei ist, dass krankende Volkswirtschaften stark abhängig sind von der Produktivität ihres Mittelstandes. Das Beispiel Spanien zeigt die Dringlichkeit von einem besserem Zugang zu Kapital. Die OECD registrierte im Jahr 2015 einen Anteil von 99,9 Prozent aller Firmen, die weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigten. 19 von 20 Firmen in Spanien haben nicht einmal zehn Mitarbeiter. Über acht Millionen Beschäftigte stehen in Lohn und Brot bei diesen Firmen, zu denen beispielsweise auch die unzähligen Bars und Restaurants der Tourismus-Industrie gehören.

"Diese Mikrounternehmen bilden das Herz der spanischen Wirtschaft. Aber geholfen wird meistens nur den großen Firmen", sagt Unternehmer Ferrer. In einer Studie des spanischen Finanzdienstleisters Inbonis bezeichnete die große Mehrheit von 124 befragten Unternehmern die Banken als ein "notwendiges Übel". Das schlechte Image resultiert aus schlechten persönlichen Erfahrungen. Wer als Inhaber eines Kleinbetriebs beim Antrag für einen Kredit nicht sofort abgelehnt wurde, klagte über behäbige Bankmitarbeiter, zu lange Entscheidungsprozesse, Desinteresse am eigentlichen Geschäftsmodell oder einer Verkäufermentalität bei den Bankern statt einer Atmosphäre der Partnerschaft. Wer zu den Glücklichen zählte, trotz aller Hindernisse das Okay für einen Kredit zu erhalten, musste zähneknirschend die Bedingungen der Bank hinnehmen. Laut Inbonis liegt der durchschnittliche Preis für einen Kredit an einen Mittelständler zehn Prozent über dem Preis, zu dem sich die Bank das Geld selbst besorgt. Zum Zinssatz kommen noch Abschlussgebühren und begleitende Finanzprodukte hinzu, um den Zinssatz überhaupt auf ein verträgliches Maß verringern zu können. Zudem muss der Kreditnehmer mit persönlichen Garantien den Kredit absichern. Unter diesen Umständen ist Geld speziell für kleine und mittlere Unternehmen schon jetzt relativ teuer, obwohl der Leitzins weiterhin historisch niedrig liegt. Steigen die Leitzinsen, müssten sich viele Unternehmen noch genauer überlegen, ob sie sich einen Kredit überhaupt leisten wollen.

Die EU-Kommission weiß um das Problem. Gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) und dem Europäischen Investitionsfonds (EIF), die gemeinsam die EIB-Gruppe bilden, hat sie schon im Jahr 2015 die Initiative zugunsten kleiner und mittelständischer Unternehmen ins Leben gerufen, die die Kreditvergabe zu günstigen Konditionen fördern soll. Es ist eine weitere Ergänzung zum sogenannten COSME-Programm, das schon 2008 ins Leben gerufen wurde. COSME stellt Infrastruktur und Netzwerke für kleine und mittlere Unternehmen, um deren Wachstum zu unterstützen und im Bedarfsfall beratend zur Seite zu stehen. Im Rahmen der Initiative werden für ausgewählte Kreditnehmer in Spanien seit 2016 entweder Garantien bereitgestellt, die mit Geld aus dem Topf des regionalen Förderungsprogramms EFRE gedeckt sind, oder die EIB-Gruppe erwirbt ABS-Papiere ("asset backed securities"), mit deren Hilfe das Risiko eines Kreditausfalls auf mehrere Schultern verteilt wird.

"Hier kannst du es dir gleich sparen, zu einer Bank zu gehen."

Die Maßnahmen helfen Unternehmen und Banken. Die Firmen kommen an Geld, dass ihnen sonst verwehrt geblieben wäre, und durch die Absicherungen verbessern sich gleichzeitig die Konditionen für die Aufnahme des Kapitals. Die Firmen sparen also Geld, weil sie weniger Zinsen zahlen. Die Banken indes können den ABS-Verkauf an die EIB-Gruppe dazu nutzen, ihre Bilanzen aufzuräumen. Mit diesen forderungsbesicherten Wertpapieren verpfänden sie Unternehmenskredite an die EIB-Gruppe. Im Fall eines Kreditausfalls tragen sie nur ein geringes Risiko.

Allerdings war die Verpfändung von Krediten einer der Hauptgründe dafür, weshalb die Finanzwelt 2008 kurz vor dem Zusammenbruch stand. Weil es für die Banken bequem war, sorglos Kredite zu vergeben und sie dann gegen Verzinsung einfach weiterzureichen. Ende Dezember 2017 traten deshalb eine neue EU-Verordnung für solche Geschäfte in Kraft, um mehr Transparenz zu schaffen. Investoren sollen wissen, mit welcher Qualität von Krediten sie es zu tun haben. Zumal es um gewaltige Summen geht. Allein im ersten Halbjahr 2017 wurden 105,7 Milliarden Euro in der EU verbrieft. Durch die Initiative für kleine und mittelständische Betriebe hatten nach 15 Monaten bereits 35 000 spanische Unternehmen mit insgesamt 325 000 Beschäftigten Kredite im Wert von mehr als drei Milliarden Euro aufgenommen. Das Kreditvolumen des Sektors stieg 2016 um zwölf Prozent. Die EIB-Gruppe übernahm dabei Garantien in Höhe von über zwei Milliarden Euro. 800 Millionen stammten aus dem Topf des regionalen EU-Förderungsprogramms EFRE. Weitere Milliarden stehen zur Verfügung.

Der Erfolg spornt auch andere EU-Länder an, die mit der EIB-Gruppe vergleichbare Finanzierungskonzepte entwickeln wollen. Doch die Initiative kann allenfalls einen kleinen Beitrag leisten zum Anschub des Mittelstandes. Langfristig müssen Banken ihre Strukturen auch an den Bedürfnissen der kleinen und mittleren Unternehmen ausrichten, während im Gegenzug die Firmen das Vertrauen der Banken gewinnen müssen. Viele Kleinunternehmer seien nicht in der Lage, eine transparente Dokumentation ihrer Geschäftstätigkeit zu liefern, heißt es bei Inbonis. Das aber sei die Grundlage, um eine Bank zu überzeugen. Der Dienstleister empfiehlt den Antragstellern deshalb dringend, Ordnung und Übersicht in den eigenen Unterlagen zu behalten.

Die Bürde spanischer Banken durch faule Kredite hat zuletzt zugenommen. Die Europäische Zentralbank taxierte sie jüngst auf 131,4 Milliarden Euro. Das ist eine gewaltige Zahl, aber im Verhältnis zur verliehenen Gesamtsumme weniger als zehn Prozent. Im Vergleich zu Deutschland, wo die Quote bei 2,1 Prozent liegt, ist das immer noch sehr hoch. Aber Spanien ist damit beileibe nicht Spitzenreiter in der EU. Italiens Banken verzeichnen die größte ausstehende Summe in Höhe von 224 Milliarden Euro, was dennoch nur einer Quote von unter 25 Prozent entspricht. Größtes Sorgenkind sind die Griechen. Zwar liegen die griechischen Banken mit 112,3 Milliarden Euro noch hinter Spanien zurück. Doch weil die Gesamtsumme des verliehenen Kapitals relativ gering ist, liegt der prozentuale Anteil der faulen Kredite in Griechenland bei gewaltigen 46,7 Prozent. Unter solchen Vorzeichen haben es Unternehmer schwer, an Geld zu kommen.

"Hier kannst du es dir gleich sparen, zu einer Bank zu gehen. Es ergibt keinen Sinn, für einen Kredit vorzusprechen", sagt der griechische Unternehmer Stelios Zompanakis. Der 27-Jährige arbeitete bis 2014 als Analyst bei der griechischen Zentralbank, ehe er sich vor anderthalb Jahren mit zwei Freunden in der Tourismus-Industrie selbständig machte und jetzt mit seiner Firma Jack&Jenny individuelle Segeltörns organisiert. "Vor der Krise hast du hier Kredite von den Banken bekommen, wenn du in den Urlaub fahren wolltest. Das steht heutzutage völlig außer Frage." Er und seine Partner wendeten sich deshalb lieber gleich privaten Investoren zu und bewarben sich erfolgreich über Internetplattformen mit ihrer Geschäftsidee für die dringend benötigte Finanzspritze.

Das Misstrauen gegenüber dem eigenen Staat ist groß. Die jahrzehntelange Klientel-Politik, die Griechenlands Staatshaushalt ins Wanken brachte, schreckt junge Unternehmer im Land immer noch ab. "Die Regierung muss für die Regulierung der Mittel sorgen. Aber ich erwarte auf absehbare Zeit keinen Mentalitätswandel in der Politik. Die Klientel-Politik wird seine Fortsetzung finden", glaubt Zompanakis. Um der heimischen Bürokratie weitestmöglich aus dem Weg zu gehen, registrierten seine Partner und er ihre Firma lieber in Großbritannien. Das Geld, das sie über einschlägige Kontaktbörsen als Investitionskapital aus privater Hand generierten, stammt aus den Niederlanden.

Dennoch hoffen die Jungunternehmer auch noch auf einen Zuschlag aus Brüssel. Im Rahmen der Initiative hat sich das Trio bei einer griechischen Bank für einen Kredit beworben, der zur Hälfte über die EU abgesichert sein würde. Mit Größe und Umsätzen passt Jack&Jenny genau ins Profil der Zielunternehmen. Notwendig für die Beantragung war neben dem Finanzbedarf ein exakter Businessplan. Die Unterlagen luden die Unternehmer elektronisch beim griechischen Ministerium für Wirtschaft, Wettbewerb und Logistik hoch. "Das Wachstumsministerium", wie Zompanakis es bezeichnet. "Ja, kaum zu glauben, aber so etwas haben wir hier auch."

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