Studie über Zeitpräferenzen:Die Geduldsprobe

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Unterschiedliche Zeitpräferenzen führen schnell zu Missverständnissen oder Konflikten. Im Bild ein Strand in Griechenland.

(Foto: Kostas Tsironis/Bloomberg)

Wenn es um wirtschaftliche Belange geht, sind die Deutschen so geduldig wie sonst keine andere Nation. Doch auf das Verständnis für andere Kulturen kommt es manchmal noch mehr an.

Von Katharina Wetzel

Welches Land ist immer wieder für eine kulturelle Überraschung gut? Und bringt deutsche Unternehmen zum Staunen? Es ist nicht China, das zigtausend Meilen entfernt ist. Es ist Frankreich. Obwohl Frankreich und Deutschland Nachbarländer und wirtschaftlich so eng verbunden sind wie kaum zwei andere Länder in Europa, verwundert es viele Mittelständler immer wieder, wie unterschiedlich die Gepflogenheiten doch sein können. Das fängt beim Geschäftsessen an und hört beim Vertragsabschluss auf. Während deutsche Unternehmer das Geschäftliche lieber vor dem Essen regeln, kommt in Frankreich das "Savoir-vivre" an erster Stelle. So mancher ambitionierte deutsche Mittelständler war da schon vor dem Dessert mit seinem Französisch am Ende. Wer die ungeschriebenen Gesetze des jeweiligen Landes nicht kennt, kann im Ausland schnell Schiffbruch erleiden oder zumindest Missverständnisse hervorrufen.

Wer Geduld hat, ist meist innovativer und hat ein besseres Kredit-Rating

Auch wenn hiesige Unternehmer gerne schnell zur Sache kommen, sind sie keineswegs ungeduldig. Sie bevorzugen nicht das schnelle Geld, machen nicht jedes Geschäft um jeden Preis. Im Gegenteil. In Wirtschaftsfragen sind die Deutschen sogar Meister im Warten. Dafür haben Wissenschaftler nun in einer Studie, die im Journal of Economic Psychology veröffentlicht wurde, Bestätigung gefunden.

Die Professoren Mei Wang von der wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar, Marc-Oliver Rieger von der Universität Trier und Thorsten Hens von der Universität Zürich haben weltweit in mehr als 50 Ländern die Zeitpräferenzen von Studenten der Wirtschaftswissenschaften gemessen. Dabei wurden fast 7000 Testpersonen vor die Wahl gestellt, ob sie einen bestimmten Geldbetrag lieber sofort oder in einem Monat mit einer etwas höheren Auszahlung bevorzugen würden. In Deutschland war der Anteil der Personen, die lieber auf den höheren Geldbetrag warten wollten, am höchsten. In der veröffentlichten Liste der geduldigsten Länder landet Deutschland auf Platz 1, gefolgt von der Schweiz und mittel- und nordeuropäischen Ländern wie Belgien, Finnland und den Niederlanden.

Die Forscher machen für das Ergebnis vor allem ökonomische Gründe aus: "Nationen, die wohlhabend sind und eine stabile Wirtschaft haben, sind geduldiger", sagt Marc-Oliver Rieger von der Universität Trier. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise und dem Bild des gierigen Bankers, das in Folge damit um die Welt ging, wird Geduld in der Wirtschaft, insbesondere bei Banken, wieder großgeschrieben. Schnelle Gewinne ohne Rücksicht auf Verluste sind out. Schon viele Studien hätten nachgewiesen, dass diese Tugend des Wartens auch hilft, wirtschaftlichen Wohlstand zu etablieren, sagt Rieger. Der Effekt geht also in beide Richtungen. Unternehmen, die geduldig sind, denken meist langfristig, arbeiten nachhaltiger, umweltbewusster und sind meist innovativer. Am Ende zahlt sich das meistens in Form von höheren Gewinnen aus.

Bei politisch stabilen und wirtschaftlich soliden Verhältnissen ist das Warten auch viel leichter. "In afrikanischen Ländern sind die Bedingungen so schwierig, dass die Menschen nicht wissen, ob das Geld nach einer gewissen Zeit noch denselben Wert hat", erklärt Rieger. Verständlich, dass dort die Zahl der Menschen am höchsten war, die lieber nicht warten wollten und sich bei der hypothetischen Befragung für die sofortige Auszahlung entschieden haben. Länder wie Tansania und Nigeria bilden erwartungsgemäß das Schlusslicht auf der Liste der geduldigsten Länder.

Schulden machen oder sparen - welcher Kurs ist nun richtig?

Etwas überrascht waren die Forscher jedoch, dass südeuropäische Länder wie Griechenland, Spanien und Italien ebenfalls am Ende der Tabelle landeten. Trotz der wirtschaftlichen Probleme der Südländer, die seit der Euro-Krise teils mehr oder weniger bestehen, sind die Länder ja immer noch wohlhabend im internationalen Vergleich. Wie ist das schlechte Abschneiden also zu erklären? Rieger führt dies vor allem auf kulturelle Unterschiede zurück. Während in mittel- und nordeuropäischen Ländern eher die Sparsamkeit als erstrebenswertes Ziel angesehen werde, stünden bei den südlichen Ländern andere Dinge im Vordergrund. "In den südeuropäischen Ländern werden Entscheidungen eher gegenwartsbezogen getroffen. Das ist vor allem kulturell bedingt", sagt Verhaltensforscher Rieger. Doch was ist besser? Ist Geduld und Sparsamkeit nun das erstrebenswerteste Ziel? Schon Kindern wird hierzulande früh beigebracht, auf Süßigkeiten oder andere Begehrlichkeiten zu warten. Doch wer zu stark an die Zukunft denkt, lebt vielleicht nicht im Jetzt, macht sich zu viele Sorgen und kann das Leben nicht genießen.

Sparen oder Schulden machen - welcher Kurs ist richtig? Auf EU-Ebene führen solche Fragen immer wieder zu heftigen Diskussionen und langen Nächten in Brüssel. Rieger führt die Probleme der Euro- Zone auch auf kulturell bedingte Unterschiede bei den Zeitpräferenzen zurück. "Länder, die weniger geduldig sind, haben ein schlechteres Kredit-Rating. Sie sind auch eher bereit, eine höhere Verschuldung einzugehen." Dennoch möchte der Wissenschaftler keine moralische Wertung abgeben. Vielmehr erklärten die unterschiedlichen Präferenzen lediglich, warum die Politik bei der Schaffung einer gemeinsamen Finanzpolitik immer wieder vor großen Herausforderungen stehe.

Klar könne man auch lernen, geduldiger zu sein. Wer sich mental mit etwas anderem befasst als mit dem Abwarten, wird Situationen besser ausstehen können. Wer sich die Vor- und Nachteile bewusst macht, kann vielleicht auch den inneren Schweinehund besser überwinden, rät Rieger. Doch am Ende nützt das nichts, wenn das Verständnis und das Miteinander fehlt. "Kulturelle Unterschiede können schnell zu Missverständnissen und Konflikten führen. Wer die Präferenzen der anderen Seite anerkennt, kann eher eine gemeinsame Lösung finden", meint Rieger.

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