Studie:Lieber ohne Risiko

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Vielen Mittelständlern ist eine sichere Geldanlage wichtiger als eine hohe Rendite. Kein Wunder, sie haben im Schnitt 4,7 Millionen Euro auf der hohen Kante.

Von Felicitas Wilke

Den Mittelständlern in Deutschland geht es gut. Sie haben im Schnitt 4,7 Millionen Euro auf der hohen Kante, die sie in ihr Unternehmen investieren oder anlegen könnten. Zwar legen einige mittelständische Unternehmer ihr Geld in Zeiten niedriger Zinsen anders an als zuvor. Für die meisten ist Sicherheit aber wichtiger als eine hohe Rendite am Kapitalmarkt. Das zeigt eine Studie, die Wissenschaftler der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) im Auftrag der Commerzbank erstellt haben.

Der Leitzins der Europäischen Zentralbank liegt bei null Prozent. Und es sieht nicht danach aus, als würde sich daran allzu schnell etwas ändern. Wer sein Geld möglichst sicher anlegen möchte, muss auf Zinsen verzichten. Unternehmen trifft es dabei noch härter als private Sparer, denn für sie fallen mitunter sogar schon Strafzinsen an, wenn größere Mengen Geld auf ihren laufenden Konten liegen. Bei der Commerzbank etwa sind es 0,4 Prozent, die als "individuelle Guthabengebühr" firmieren.

Dennoch gehen die etwa 160 befragten Mittelständler davon aus, knapp drei Prozent Zinsen für ihr angelegtes Geld zu erhalten. "Das ist ein unrealistischer Wert, der momentan nur im spekulativen Bereich möglich wäre", sagt Volker Wittberg, der als Professor an der FHM lehrt und die Studie wissenschaftlich betreut hat. Die wenigsten Unternehmer legen ihr Geld aber spekulativ an. Nur 14 Prozent der Befragten geben an, stärkere Kursschwankungen für Renditen über drei Prozent in Kauf zu nehmen. Für 35 Prozent der Unternehmen ist es wichtig, kurzfristig auf ihr Geld zugreifen zu können. Sie akzeptieren dafür auch eine negative Rendite. Viele parken ihre Summen weiterhin auf laufenden Konten oder Festgeldkonten.

Was die Laufzeiten dieser Konten angeht, hat sich die Nullzinspolitik auf das Verhalten der Mittelständler ausgewirkt. Waren es 2013 noch 34 Prozent der Befragten, die einen überwiegenden Teil des Geldes nicht länger als drei Monate anlegten, sind es heute nur noch 22 Prozent. Um zumindest ein wenig mehr Rendite zu erzielen, aber trotzdem einigermaßen schnell auf das Geld zugreifen zu können, setzen heute mehr Mittelständler auf eine Laufzeit von drei bis sechs Monaten. Während etwa ein Drittel der Befragten ihr Kapital trotz der niedrigen Zinsen weiterhin sehr sicherheitsorientiert anlegen, gehen zwei Drittel teilweise auch neue Wege und investieren etwa in Immobilienfonds, Multi-Asset-Fonds oder erneuerbare Energien.

Viele Mittelständler wollen von Banken unabhängig sein

Doch auch, wenn das Portfolio einiger Mittelständler breiter wird: Es ist und bleibt den befragten Unternehmen am wichtigsten, dass ihre Finanzanlage geringe Kosten verursacht und möglichst sicher ist. Wie also kommt die erwartete Verzinsung von drei Prozent zustande? Wittberg erklärt sich diese unrealistische Erwartungshaltung ein Stück weit mit einem Wunschgedanken. "Das ist ein Wert, den viele als fair empfinden würden", sagt er. Jano Koslowski, der bei der Unternehmensberatung Deloitte die Finanzen von Mittelständlern im Blick hat, kann sich vorstellen, dass manche Befragten den Begriff anders interpretiert haben und damit die erwartete Eigenkapitalrendite meinen. "Das könnte erklären, wieso die Zinserwartungen trotz seit Jahren gesunkener Zinsen stabil bleiben."

Doch so unrealistisch die Erwartungen der Mittelständler sein mögen, das Anlageverhalten der Unternehmer findet Koslowski nachvollziehbar. "Es ist nun mal nicht das Kerngeschäft der Unternehmen, Geld am Kapitalmarkt anzulegen, sondern etwas zu produzieren und zur Wertschöpfung beizutragen", sagt er. Zu Zeiten der Finanzkrise hätten sich viele Mittelständler schwergetan, einen Kredit bei den Banken zu erhalten. Seit der Krise sei es vielen Unternehmen umso wichtiger, sich unabhängig vom Kapitalmarkt zu machen und finanzielle Mittel als Reserve zu haben, um weiterhin produzieren zu können. Größere wie kleine Mittelständler hätten diesen Wunsch, unabhängig zu sein und eher risikoscheu zu handeln. "Der einzige Unterschied ist, dass sich größere Unternehmen oft eine professionelle Finanzabteilung leisten können, die das Risiko besser einschätzen kann und dementsprechend anlegt", sagt Koslowski.

Es fällt auf, dass sich der Mittelstand nicht nur dabei zurückhält, Geld am Kapitalmarkt anzulegen. Er agiert auch relativ vorsichtig, was Investitionen ins eigene Unternehmen angeht, also beispielsweise neue Maschinen oder eine Expansion in neue Märkte. Und das, obwohl die konjunkturelle Lage gut und die Zinsen so niedrig sind. "Es ist schon überraschend, dass sich der Umgang mit den liquiden Mitteln kaum verändert", sagt Wittberg. Im Vergleich zum Vorjahr sind sie zwar gesunken, besonders kräftig investierten die Unternehmen aber nicht.

Wittberg erklärt sich das mit der wirtschaftlichen und politischen Weltlage. Die Geschäfte mit China liefen zuletzt nicht mehr so gut, außerdem beunruhige die Lage in Russland und der Ukraine sowie das Brexit-Votum der Briten die Unternehmer. "Viele fragen sich, ob und inwieweit diese Krisenherde auch Deutschland betreffen werden", sagt Wittberg. Also warte man lieber ab. Berater Koslowski teilt diese Einschätzung. Er glaubt, dass die politischen Unwägbarkeiten derzeit mehr zu Buche schlagen als die Zinsen. "Der Hebel für die Unternehmer ist das Kerngeschäft, nicht der Finanzmarkt", sagt Koslowski.

Langfristig könnten aber doch Probleme auf die Mittelständler zukommen. Denn die Studie zeigt, dass etwa die Hälfte der Unternehmen Pensionsverpflichtungen haben und dafür Rückstellungen bilden. Doch bei weniger als der Hälfte unter ihnen sind die Verpflichtungen mit mehr als 75 Prozent gedeckt. Weil die Zinsen so niedrig sind, müssen die Unternehmen mehr zurücklegen als früher, um dem nachzukommen. Wittberg zufolge droht eine "massive Liquiditätslücke", wenn die Unternehmen ihren Fokus weiterhin auf besonders sichere Formen der Geldanlage legen.

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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