Studie:Die Folgen des Terrors

World Trade Center Attacked

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben sich muslimische Einwanderer mehr abgeschottet.

(Foto: Spencer Platt/Getty Images)

Hasswellen gegen muslimische Einwanderer erschweren deren Integration. Dies haben Wissenschaftler der Universität Jerusalem herausgefunden, welche sich mit den Folgen der Anschläge am 11. September 2001 in den USA beschäftigt haben.

Von Alexander Hagelüken

Was kostet der islamistische Terror? Nach den verheerenden Anschlägen in Paris muss sich der Westen noch mehr damit auseinandersetzen, welche Folgen die Attacken für seine Gesellschaften haben. Zwei Ökonomen richten nun den Blick darauf, wie der Terror die Assimilation muslimischer Einwanderer in westliche Staaten behindert - mit weitreichenden Konsequenzen.

Die Forscher Eric Gould und Esteban Klor von der Universität Jerusalem untersuchen, was nach den Anschlägen des 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten geschah. Der Terror von al-Qaida forderte nicht nur zahlreiche Todesopfer, er erzeugte auch eine Hasswelle gegen muslimische Einwanderer. So nahmen die gezielt gegen diese Gruppe gerichteten Verbrechen im Jahr nach den Anschlägen von 28 auf 481 zu. Eine ähnliche Entwicklung war auch in Europa zu beobachten.

Die Ökonomen Gould und Klor zeigen sich erstaunt darüber, dass bisher niemand systematisch untersucht habe, wie sich diese Hasswelle auf die Einwanderer ausgewirkt hat. Sie haben sich Behördendaten aus den Jahren 1990 bis 2010 vorgenommen und ermitteln daraus einen eindeutigen Trend: Die durch den Terror erzeugte Hasswelle hat in den muslimischen Einwanderergruppen offenbar den Traditionalismus gefördert. Die Einwanderer blieben mehr unter sich und assimilierten sich weniger, heißt es in dem Aufsatz, der in Kürze im britischen Economic Journal erscheinen wird.

Die beiden Wissenschaftler belegen ihre Behauptung mit einer ganzen Reihe von Fakten. So zogen sich muslimische Frauen (aber nicht Männer) nach der Hasswelle vom Arbeitsmarkt zurück. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu Hause blieben, stieg nach dem 11. September um acht Prozent - ein Bruch mit der Entwicklung, die in den Jahren vor den Anschlägen zu beobachten gewesen war. Und das war nicht die einzige Folge: Sowohl weibliche als auch männliche Einwanderer verwendeten nach der Hasswelle häufiger die Sprache ihrer Heimat und seltener Englisch. Zum einen nahm die Häufigkeit ab, mit der die Muslime in ihrem Zuhause Englisch sprachen. Zum anderen nahm der Anteil jener ab, die die Sprache gut beherrschten.

Traditioneller wurde das Verhalten der Muslime auch in anderen Bereichen. So nahm die Wahrscheinlichkeit zu, dass sie einen muslimischen Ehepartner wählten. Für Männer und Frauen stieg der Wert um etwa sieben Prozent. Gleichzeitig nahm der Anteil der Eheschließungen mit Nicht-Muslimen ab. Auch das Geburtenverhalten veränderte sich in den Jahren nach den Anschlägen und der Hasswelle. Normalerweise reduziert sich die Zahl der Kinder, die Einwanderer bekommen, je länger sie in der neuen Heimat leben. In der Retraditionalisierung nach dem 11. September nahm die Zahl der Kinder in den muslimischen Haushalten um fünf Prozent zu, so der Aufsatz für die Zeitschrift der Ökonomenvereinigung Royal Economic Society.

Die Forscher schließen aus diesen Ergebnissen, dass Terrorattacken über die ausgelösten Hasswellen muslimische Gemeinschaften mehr abschotten und von den westlichen Gesellschaften entfernen. Dies betreffe nicht nur die aktuelle Generation, sondern auch die nächste. "Damit lösen die Anschläge langfristige politische und sozioökonomische Konsequenzen aus", schreiben Gould und Klor. Die Wissenschaftler halten es für möglich, dass die Terroristen bei ihren Attacken genau solche Folgen einkalkulieren. Die Frage ist nun unter anderem, ob es dem Westen gelingt, nach den neuen Anschlägen eine Hasswelle wie nach dem 11. September zu verhindern.

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