Studentenkredite:Plötzlich schuldenfrei

Lesezeit: 2 min

Absolventen der Uni Syracuse: In den USA sind Studenten-Kredite üblich. (Foto: Kevin Rivoli/AP)

Zehntausende US-Studenten müssen ihre Kredite womöglich nicht mehr zurückzahlen. Grund sind formale Fehler und die Schlampigkeit des Kreditgebers.

Von Johanna Bruckner, New York

Mit Schulden aus dem Studium zu kommen, ist eine Bürde, die über das Finanzielle hinausgeht. Während die meisten deutschen Studenten die Uni-Zeit privat oder mit Hilfe von Bafög finanzieren und Studienkredite eher die Ausnahme darstellen, sind Darlehen in den USA der Preis, den es für einen höheren Bildungsabschluss zu bezahlen gilt - oft noch Jahrzehnte nach College oder Uni.

Jetzt könnte ein massenhafter formaler Fehler einige Ex-Studenten von ihren Schulden befreien. Die New York Times berichtet von Zehntausenden Kreditnehmern, die mit ihren Raten im Rückstand sind und mit einem Schlag ihren Schuldenberg los sein könnten. Denn offenbar hat es einer der größten Besitzer privater Studienkredite in den USA, der National Collegiate Student Loan Trust, versäumt, den Ankauf von Bildungsdarlehen einwandfrei zu dokumentieren. Weswegen Richter bereits in Dutzenden Fällen für die Schuldner entschieden haben.

So wie bei Samantha Watson, 33, Mutter von drei Kindern. Sie hatte 2013 ihren College-Abschluss in Psychologie gemacht, finanziert über einen privaten Kredit. Ein Fehler, wie sie rückblickend sagt, denn was sie bei der Bank unterschrieb, verstand sie nicht: "Jeder erzählt dir, dass du aufs College gehen, einen guten Abschluss machen sollst, und alles wird gut werden. Also habe ich genau das gemacht."

Als Watsons Tochter krank wurde und sie ihren Job als Assistentin in der Geschäftsführung aufgeben musste, geriet sie mit den Zahlungen in Rückstand. Und sah sich plötzlich mit rechtlichen Forderungen konfrontiert. Watson suchte sich Hilfe bei einer gemeinnützigen Rechtsberatung - und bekam am Ende Recht. National Collegiate war nicht in der Lage, Verträge vorzulegen, die bewiesen hätten, dass Watson dem Trust Geld schuldete. Die Dokumente waren einfach verschwunden.

Die Ironie der Geschichte von Watson und anderen Ex-Studenten: Entlastet werden durch die Urteile genau jene jungen Menschen, die die härtesten Rückzahlungsbedingungen haben - Kreditnehmer privater Banken. Sie zahlen im Vergleich zu staatlichen Darlehen deutlich höhere Zinsen, mitunter im zweistelligen Bereich. Und sie müssen sich an einen strikten Ratenplan halten. Andernfalls drohen schnell juristische Konsequenzen. Doch genau die Klagefreude wird dem Kreditaufkäufer National Collegiate nun zum Verhängnis: Denn vor Gericht fielen die allermeisten Klagen schnell in sich zusammen, schreibt die New York Times. Es fehlten nicht nur Papiere, die beweisen, dass die Beklagten tatsächlich die Kreditnehmer sind, sondern auch Dokumentationen, wer das Darlehen wann an wen weiterverkauft hat.

Dem Blatt zufolge wird derzeit an Gerichten über einen Schuldenberg von fünf Milliarden Dollar verhandelt. Übrig bleiben könnte am Ende ein Maulwurfhügel.

Die meisten Studenten wenden sich für ein Bildungsdarlehen an eine Bank. Die Institute bündeln diese Kredite und verkaufen sie weiter an Finanzunternehmen. Diese wiederum veräußern die Kredite an Trusts, im konkreten Fall: den National Collegiate Student Loan Trust. Ihm gehören 15 kleinere Trusts an, die 800 000 Studienkredite im Wert von zwölf Milliarden Dollar besitzen. Insgesamt hat der Markt für private Bildungsdarlehen in den USA ein Volumen von 108 Milliarden Dollar.

Bei der Eintreibung der Schulden geht National Collegiate aggressiv vor. Landesweit strengt der Trust im Schnitt pro Tag vier Klagen gegen säumige Kreditnehmer an. Zehntausende Fälle kamen so zusammen. Der Druck zeigte Wirkung: Vielfach gingen die Verfahren zugunsten von National Collegiate aus, weil die Schuldner aus Angst gar nicht erst vor Gericht erschienen. Der Trust gewann so automatisch und konnte verlangen, dass das Gehalt und sogar Sozialleistungen zur Tilgung der Schulden eingezogen werden.

Längst nicht jeder Student beendet sein Studium mit einem Abschluss, der ihm einen gut bezahlten Job eröffnet. Sie tun sich oft schwer damit, ihre Schulden abzuzahlen. Samantha Watson jedenfalls ist einfach nur froh, nicht mehr jeden Monat Angst haben zu müssen, ihre Kreditrate nicht bedienen zu können. Sie war nach ihrem Urteil mit einem Mal 31 000 Dollar Schulden los. "Es fühlt sich an, als wäre ein Gewicht von dir genommen."

© SZ vom 19.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: