Strompreise:Die Energiewende ist Deutschlands teuerste Baustelle

Der Wechsel zur nachhaltigen Energieversorgung verlangt den Bürgern einiges ab: Mittlerweile zahlen sie das Zehnfache des Strompreises an der Börse.

Von Michael Bauchmüller und Varinia Bernau

Günther Kremer hat im Sommer eine Fotovoltaikanlage auf sein Dach gesetzt. Damit lässt sich ein gutes Drittel des Stroms gewinnen, den der 59-Jährige für seine Backstube im westfälischen Velen braucht. Viel mehr sei wohl nicht drin, sagt er. "Die meiste Zeit, in der wir arbeiten, scheint die Sonne nun einmal nicht." Der Mann, der die Backstube mit vier Verkaufsstellen und 35 Angestellten im Münsterland führt, hat lange Zeit den Preis für die Energiewende gezahlt. Nun sieht er ausgerechnet in der Energiewende den letzten Ausweg, um seine Kosten wieder zu drücken. "Je besser wir uns selbst versorgen, desto weniger sind wir den Stromanbietern ausgeliefert."

Alles wird gerade nur noch teurer. Für Unternehmer Kremer, dessen Stromrechnung sich in den vergangenen acht Jahren mehr als verdoppelt hat. Aber auch für viele Verbraucher. Die Förderung der Erneuerbaren steigt im kommenden Jahr auf ein neues Rekordniveau. Große Stromtrassen sollen entstehen, alte Kohlekraftwerke verschwinden - finanziert vor allem von den Stromkunden. Scheitert das Projekt Energiewende?

Viele Posten auf der Rechnung

Leipzig, eine karge Büroetage nicht weit vom Gewandhaus. Auf Bildschirmen laufen hier Angebot und Nachfrage nach Strom ein. Seit Jahren wächst das Angebot, die Nachfrage aber ist die gleiche wie eh und je. Die Folge: Der Strompreis sinkt. Derzeit bringt die Kilowattstunde Strom zwischen 2,5 und 3,5 Cent ein, die Kombination aus Wind, Sonne und Kohlekraftwerken im Dauerbetrieb hat den Preis einbrechen lassen. Ein durchschnittlicher Haushalt in einer deutschen Großstadt aber zahlt locker das Zehnfache dafür. Wie kann das sein?

Der Preis für die Erzeugung von Strom ist nur einer von vielen Posten auf der Rechnung. Die Kosten für das Stromnetz kommen hinzu, Konzessionsabgaben an die Kommunen, Steuern, Umlagen. Und paradoxerweise lässt gerade der niedrige Börsenpreis einen der größten Einzelposten auf der Rechnung weiter steigen: die Ökostrom-Umlage. Will nämlich etwa ein Windmüller seinen Strom vermarkten, so garantiert ihm das Erneuerbare-Energien-Gesetz eine fixe Vergütung von 4,95 Cent und mehr. Bekommt er an der Börse nur drei Cent für den Strom, muss die Gemeinschaft der Stromkunden zwei Cent drauflegen, auch Bäcker Kremer. Je tiefer der Börsenpreis sinkt, desto höher ist der Aufschlag. Gut 23 Milliarden Euro müssen Stromkunden so in diesem Jahr aufbringen. An diesem Freitag gaben die Übertragungsnetzbetreiber die Umlage für das kommende Jahr bekannt: 6,88 Cent je Kilowattstunde. Das macht für einen Vierpersonenhaushalt etwa 240 Euro Aufschlag pro Jahr, 17 Euro mehr als bisher.

Strompreise: SZ-Grafik; Quelle (2): bdew

SZ-Grafik; Quelle (2): bdew

Andreas Löschel ist der oberste Aufseher der Energiewende. Der Energieökonom an der Uni Münster leitet die "Monitoringkommission", die Wohl und Wehe der Energiewende kontrolliert. "Über eine mittlere Perspektive wird es teuer bleiben", sagt er. Erst 2028 werde sich die Lage spürbar entspannen. Denn die gesetzlichen Vergütungen werden auf 20 Jahre hin gewährt - und den größten Batzen machen da Solaranlagen aus, die mit üppigen Fördersätzen besonders nach 2008 in Betrieb gingen. "Allerdings trifft das vor allem einfache Verbraucher", sagt Löschel. "Große Teile des verarbeitenden Gewerbes stehen dagegen ganz gut da."

Der Grund: Gut 2000 Industrieunternehmen profitieren von einer ermäßigten Umlage. Der Rabatt soll verhindern, dass Firmen wegen zu hoher Stromkosten ins Ausland abwandern. Aber das kostet. Knapp fünf Milliarden Euro werden so auf die restlichen Stromkunden umgelegt, auch auf Handwerker wie etwa Bäcker Kremer. Er findet, das sei ein Schlag ins Gesicht all der Familienfirmen, die Politiker gerne als Rückgrat der deutschen Wirtschaft preisen. Mehr noch: Den Rabatt gibt es erst ab bestimmten Stromverbräuchen. Ein "absurder Fehlanreiz", sagt Christian Noll, Kopf der Unternehmensinitiative Energieeffizienz Deneff. "Die Rabatte belohnen Energieverschwendung, und die Zeche zahlen die Bürger."

Das Ökostrom-Gesetz ist nicht die einzige Baustelle

Bäcker Kremer, bei dem etwa ein Fünftel der Betriebskosten auf den Strom entfällt, bleibt gar nichts anderes übrig, als damit sparsam umzugehen. Er hat die Isolierung seiner Öfen verbessert. Er hat die Arbeitsabläufe in der Backstube so angepasst, dass die Abtauzeiten in den warmen Stunden des Tages liegen, die Gefrieranlagen hingegen zu den kühleren Zeiten angeworfen werden. Er hat sich mehrmals einen günstigeren Stromanbieter gesucht. Und nun hat er eben die eigene Solaranlage angeschlossen. Damit liegt er voll auf der Linie des Wirtschaftsministeriums. "Wer glaubt, zu viel zu zahlen, dem empfehle ich den Wechsel des Stromanbieters", sagt dort der Staatssekretär Rainer Baake.

Doch das Ökostrom-Gesetz ist nicht die einzige Baustelle der Energiewende. In Borken im Münsterland, nicht weit von Kremers Backstube entfernt, lässt sich derzeit beobachten, wie aufwendig der Netzausbau ist: Zwischen Getreidefeldern und Bauernhäusern aus rotem Backstein entsteht eine neue, größere Leitung. Über 150 Kilometer soll sie Strom vom Emsland bis zum Niederrhein transportieren. In manchen Abschnitten verläuft sie nun etwa zwei Meter unter der Erde. Die fünf Bodenschichten, die dazu aus den breiten Gruben gehoben werden, müssen einzeln gelagert und genau so wieder aufgetragen werden. Die unterste wird mit Wasser und Kalk vermischt. Das soll verhindern, dass sich später unter den Kupferkabeln die Wärme staut. Würde sich der Boden verdichten, könnte Regen nicht mehr versickern und Bauern die Felder nicht mehr bewirtschaften. Das macht den Bau teuer.

Was in Borken passiert, ist erst der Anfang. Neue Leitungen sind dringend nötig, denn der meiste Windstrom entsteht im Norden, gebraucht wird er aber im Süden. Allein die beiden größten Stromtrassen, Suedlink und Suedostlink, werden bis 2022 etwa 14 Milliarden Euro verschlungen haben. Andererseits: Fehlen diese Leitungen, muss das Stromnetz umständlich stabilisiert werden. Dann müssen Kraftwerke rasch angefahren oder gedrosselt werden, um das Stromnetz auszugleichen. Im vergangenen Jahr lagen die Kosten dafür bei 402 Millionen Euro, in diesem Jahr dürften sie weiter steigen. Weitere 600 Millionen Euro kamen für die Abregelung von Windrädern und eine eiserne Reserve an Kraftwerken hinzu.

Auch das findet sich auf der Stromrechnung der Verbraucher wieder. Tennet etwa, einer der vier großen deutschen Übertragungsnetzbetreiber, hat eine saftige Preiserhöhung schon angekündigt: Um 80 Prozent soll sich die Nutzung der großen Stromleitungen verteuern. Pro Kilowattstunde macht das einen Cent extra. Auch der ostdeutsche Netzbetreiber Tennet legt noch einmal 42 Prozent drauf.

Post vom Stromanbieter

Was das bedeutet, weiß Thomas Schäfer. Der Chef des Berliner Stromnetzes hat gerade neue Preise vermeldet: Im Durchschnitt 20 Euro Aufschlag je Haushalt. "Da stecken vor allem die Kosten der vorgelagerten Netze drin", sagt Schäfer. Sprich: das Übertragungsnetz. "Ohne diese Mehrkosten wären wir stabil geblieben."

Die Berliner bekommen folglich bald Post von ihren Stromanbietern, so wie viele andere Bürger auch. Von 18 regionalen Netzbetreibern, die der Hamburger Ökostromanbieter Lichtblick geprüft hat, wollen 15 die Preise erhöhen. Spitzenreiter: Das Bayernwerk mit 29,4 Prozent Aufschlag. Im Schnitt steigen die Kosten demnach um zehn Prozent.

Und das alles vor Beginn eines Wahljahres. "Das jetzige Fördersystem läuft aus dem Ruder", warnt BDI-Chef Ulrich Grillo. Der Chemieverband VCI wähnt Deutschland in der Sackgasse, während der Handel eine "fairere Verteilung" der Kosten fordert - und dabei auch an die Entlastungen der Industrie denkt. Greenpeace weist darauf hin, dass ein Überangebot an Kohlestrom die Börsenpreise drücke und so die Ökostrom-Umlage anhebe. Der Konflikt folgt längst auch seinen Ritualen.

Strompreise: SZ-Grafik; Quelle (2): bdew

SZ-Grafik; Quelle (2): bdew

Am diesem Freitag laden Ilse Aigner und Garrelt Duin nach Berlin. Es geht, klar, um Strompreise. Aigner ist Wirtschaftsministerin in Bayern und von der CSU, Duin ihr Kollege aus Nordrhein-Westfalen, ein SPD-Mann. Eine Art große Koalition für eine Preisbremse. "Wir müssen die Folgekosten der Energiewende eingrenzen. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit", sagt Aigner. Die Idee der beiden: Ein Streckungsfonds. Dazu soll die EEG-Umlage nicht mehr steigen, sondern stabil bei 6,5 Cent liegen. Alles, was darüber liegt, würde per Kredit vorgestreckt. Wenn dann in ferner Zukunft die Energiewende günstiger wird, weil teure Solaranlagen nicht mehr finanziert werden müssen, bleibt die Umlage dennoch stabil bei 6,5 Cent - nur werden dann aus den Überschüssen die Kredite abgezahlt. "Damit können die Kosten für den Ausbau der Erneuerbaren gerechter verteilt werden", sagt Duin. Zumindest mal eine Idee.

Der Energieökonom Löschel hat die nächste Kostenwelle schon ausgemacht, sie kommt mit dem nahenden Ausstieg aus der Kohle. Schon bisher haben es die Kohleunternehmen verstanden, sich für die Stilllegung alter Meiler bezahlen zu lassen. "Das wird auch beim Rest nicht ohne zusätzliche Kosten ablaufen und das wird dann auch auf den Strompreis draufgehen", sagt Löschel. Irgendwann danach aber, in 20 oder 25 Jahren, könnten sich all diese Investitionen bezahlt machen. "Es ist der Übergang, der jetzt ohne zu große Verwerfungen gestaltet werden muss", sagt der Ökonom. "Wenn die Versorgung aus erneuerbaren Energien einmal steht, dann dürften die Kosten sogar niedriger als heute sein."

Vielleicht wird es im Familienbetrieb von Bäcker Kremer im Münsterland die nächste Generation immerhin etwas einfacher haben.

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