Strom aus der Telefonzelle:Giftgrün und voller Energie

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Grün statt rot: Wem in London die Energie ausgeht, kann sein Handy kostenlos in alten Telefonzellen aufladen. (Foto: Matt Dunham/AP)
  • In London werden alte Telefonzellen umfunktioniert - zu giftgrünen Ladestationen für Handys.
  • Die Ladestationen funktionieren mit Solarenergie - und sollten die wichtigsten Smartphone-Modelle abdecken.

Von Steve Przybilla, London

Wie schön sie doch war, die Ära der Telefonzellen. Ein knallig-roter Farbtupfer im verregneten Alltag - an diesen Anblick denken viele Briten heute wehmütig zurück. Vorbei die Zeit. Zwar gibt es im Vereinigten Königreich noch immer rund 65 000 Telefonzellen, doch ihre Tage sind gezählt. Die roten Holzhäuschen werden nach wie vor gerne fotografiert, häufig auch als öffentliche Bücherregale oder Kunstobjekte umfunktioniert. Wirklich gebraucht aber werden sie im Mobilfunk-Zeitalter nicht mehr - und landen daher immer öfter auf dem Schrott.

Doch es gibt Hoffnung. In London will ein Start-up-Unternehmen den roten Ikonen neues Leben einhauchen. 8000 der Häuschen stehen in der britischen Hauptstadt, viele davon mit eingeschlagenen Scheiben und abgerissenen Hörern. "Das kann es doch nicht gewesen sein", sagt Harold Craston, 22. Der junge Mann hat gerade sein Studium an der London School of Economics abgeschlossen. Der Anblick der kaputten Telefonzellen, sagt Craston, habe ihn zu einem Geschäftsmodell inspiriert. "Machen wir doch wieder etwas Nützliches aus ihnen, etwas das jeder braucht." In der Hightech-City London heißt das: eine Ladestation für stromhungrige Smartphones.

Wie die Ladestation funktioniert

Um die Idee umzusetzen, hat sich Craston mit seiner Kommilitonin Kirsty Kenny, ebenfalls 22 Jahre alt, zusammengetan. Gemeinsam brüten sie über dem Design einer solarbetriebenen Telefonzelle, in der mehrere Handykabel bereitliegen - und stoßen damit in eine Marktlücke vor. Dementsprechend gut kommt die Idee an: Schon nach kurzer Zeit treiben die Studenten über 20 000 Euro an Investitionen auf, Londons Bürgermeister Boris Johnson überreicht persönlich einen Preis für nachhaltige Erfindungen. Schließlich kommt der Solarunternehmer Derrick van Voorst an Bord - für das junge Team der Zeitpunkt, eine eigene Firma zu gründen. "Solarbox" heißt sie. "Nächstes Jahr wollen wir bis zu zehn Ladestationen in der Stadt aufbauen", sagt Kenny. Noch aber müssen sie sich mit dem Prototypen begnügen.

Die umgebaute Telefonzelle steht am Ausgang der U-Bahn-Station Tottenham Court Road, direkt neben einem klassischen Telefonhäuschen. Im Gegensatz zum Original leuchtet die Solarbox giftgrün. "Nicht jeder findet es hübsch", räumen die Erfinder ein, aber der neue Anstrich sei nötig gewesen, um sich von den alten Telefonzellen deutlich abzusetzen. Strom erhält die Solarbox von einer 150-Watt-Solarzelle, die ihre Energie in einer Batterie speichert. "Drei bis vier Stunden Sonne pro Tag genügen", sagt Kenny und versichert, dass noch kein Passant den Ladezyklus vorzeitig abbrechen musste.

Welche Handys aufgeladen werden können

"Wir gehen ohnehin davon aus, dass die Leute nur fünf bis zehn Minuten ihre Handys aufladen", sagt Craston. "Das ist genau die Zeit, in der sie auf ihre Freunde warten und ohnehin nichts zu tun haben." Die vier Anschlüsse im Inneren der umgebauten Telefonzelle decken die wichtigsten Smartphone-Modelle ab, jedenfalls für Londoner Verhältnisse. "Bei den iPhones passen alle Modelle", sagt Kenny. Modelle anderer Firmen, vor allem ältere, sind dagegen nicht immer kompatibel. "Aber in London rennen die Leute sowieso nur mit dem neuesten Zeug herum", beteuert die Erfinderin. In ein paar Jahren dürfte sich das Problem sowieso von selbst erledigen. Ab 2017 müssen Hersteller EU-weit einheitliche Anschlüsse fabrizieren.

In der Telefonzelle selbst treiben die Nutzer andere Fragen um. Auf Twitter kursieren Befürchtungen, die Solarbox liefere nicht nur Strom, sondern stehle während des Ladevorgangs heimlich persönliche Daten. "Absurd" nennt Harold Craston solche Behauptungen. "Wir sind doch viel zu blöd, um so etwas zu programmieren."

Wie die Solarbox finanziert wird - und wodurch sie bedroht wird

Dass die Nutzung kostenlos sei, erkläre sich durch Einnahmen an anderer Stelle: Sobald ein Smartphone angeschlossen wird, laufen Werbefilmchen über einen Bildschirm in der Telefonzelle. So preist etwa der Taxi-Konkurrent Uber seine Dienste an, gefolgt von Ausflugstipps in die Londoner Museumslandschaft. Während es wirtschaftlich gut läuft, ist das Jung-Unternehmen nicht vor Vandalismus gefeit. "Wir haben den Bildschirm mit einem bruchsicheren Überbau gesichert", berichtet Craston.

Auch die Solarzellen seien verstärkt worden. Trotzdem hat schon jemand versucht, ein Ladekabel aus der Verankerung zu reißen - die Erfinder haben es provisorisch mit Isolierband zusammengeklebt. "Wir schließen zwischen 23 Uhr und 5 Uhr jetzt immer ab", sagt Craston. Außerdem habe man einen Reinigungsdienst engagiert, damit die umgebaute Telefonzelle sauber bleibt. Das wüssten die Nutzer zu schätzen: "An manchen Tagen laden bis zu 80 Personen ihre Smartphones bei uns auf", sagt der Erfinder. "Und das ist erst der Anfang."

Warum das Angebot noch nicht ankommt

Ob sich die Solarboxen auf Dauer wirklich durchsetzen, lässt sich momentan noch nicht absehen. Zumindest der Medien-Hype um die grünen Ladestationen ist ungebrochen; seit der Eröffnung Anfang Oktober geben Craston und Kenny fast jeden Tag mehrere Interviews. Beim Vor-Ort-Termin gehen die meisten Passanten jedoch ungerührt an der umgebauten Telefonzelle vorbei. Viele können mit dem Begriff "Solarbox" schlicht nichts anfangen - ein Hinweis, dass dort Akkus geladen werden können, fehlt bisher. "Die meisten werfen zumindest mal einen Blick rein", sagt Ahmed Ledon, der neben der Ladezelle einen Zeitschriftenstand betreibt. Er selbst habe sein eigenes Handy aber noch nicht angeschlossen: "Das mache ich lieber zu Hause."

Eine weitere Stunde geht das so. U-Bahn-Fahrer kommen und gehen. Manche bleiben stehen und schauen durch das Glas der Solarbox, andere murmeln Wörter wie "hässlich" und "komisch" - und schießen dann doch ein Foto. Die meisten aber bemerken die umgebaute Telefonzelle erst gar nicht: Sie sind zu sehr damit beschäftigt, auf ihre Handy-Displays zu starren.

© SZ vom 27.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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