Stresstest:Energie-Konzerne können Atomausstieg alleine stemmen

Kernkraftwerk Grohnde

Das Eon-Kernkraftwerk Grohnde in Emmerthal: Ein Abriss der deutschen Kernkraftwerke und die Endlagerung des Atommülls würden zu aktuellen Preisen etwa 47,5 Milliarden Euro kosten.

(Foto: dpa)
  • Nach Ansicht von Wirtschaftsprüfern wird der Atomausstieg die Atomkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall etwa 47,5 Milliarden Euro kosten.
  • Der "Stresstest" zeige, dass die Konzerne die finanziellen Mittel zum Rückbau der Kernkraftwerke und zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle haben, sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel.
  • Unter extrem ungünstigen Umständen könnte der Atomausstieg auch das Doppelte kosten, Gabriel hält dies aber für sehr unwahrscheinlich.

Atomausstieg soll 47,5 Milliarden Euro kosten

Die vier großen Stromkonzerne in Deutschland können nach Einschätzung der Bundesregierung die Milliardenkosten des Atomausstiegs zusammen bewältigen. "Die Vermögenswerte der Unternehmen decken in Summe die Finanzierung des Rückbaus der Kernkraftwerke und der Entsorgung der radioaktiven Abfälle ab", sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Er hatte im Juni bei Wirtschaftsprüfern einen "Stresstest" der Atomkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall in Auftrag gegeben.

Erstmals gibt es für den Atomausstieg nun auch ein Preisschild: Dem Gutachten zufolge würde das Ende der Kernenergie in Deutschland mit Abriss der Kernkraftwerke und Endlagerung des Atommülls zu aktuellen Preisen etwa 47,5 Milliarden Euro kosten. Es wird erwartet, dass diese Kosten bei einem effizienten Rückbau um mindestens sechs Milliarden Euro niedriger ausfallen könnten.

Experten simulieren "Worst Case"-Szenario

Der Stresstest zeigt aber auch, dass in einem "Worst Case"-Szenario - also unter extrem ungünstigsten Umständen - die Konzerne in den nächsten Jahrzehnten insgesamt bis zu 77,4 Milliarden Euro an Rückstellungen aufbringen müssten. Aktuell haben sie 38,3 Milliarden Euro gebildet - im schlimmsten Fall wäre also eine Verdopplung um 39,1 Milliarden Euro nötig. So ein Szenario hält Gabriel aber für unwahrscheinlich, weil es extrem hohe Kosten und negative Zinsen für die Konzerne in den kommenden 85 Jahren voraussetzt.

Die Wirtschaftsprüfer verweisen zudem auf das Vermögen der vier Konzerne. Der Gesamtwert von aktuell 83 Milliarden Euro reiche in jedem Fall aus, um alle Kosten abzudecken. In den günstigsten Fällen würden laut Szenarien 25,1 bis 29,9 Milliarden an Rückstellungen ausreichen.

Manko des Gutachtens ist, dass alle durchgerechneten Angaben sich nur auf alle vier Konzerne zusammen beziehen. Daten zu den einzelnen Unternehmen werden nicht preisgegeben. Das sei aus Gründen des Betriebsgeheimnisses nicht möglich, hieß es. So bleibt unklar, ob jeder einzelne Konzern seine Verpflichtungen auch allein schultern könnte. Ein Haftungsverbund der Atomkonzerne läuft voraussichtlich 2022 aus.

Reaktionen der Konzerne und der Grünen

Die Konzerne selbst sehen sich durch das Gutachten bestätigt. "Es akzeptiert damit die seit Jahrzehnten geübte Rückstellungspraxis", teilten Eon, RWE, EnBW und Vattenfall mit. Die Branche wolle sich nicht drücken. Es stehe außer Frage, dass die Unternehmen "zu ihren heutigen Verpflichtungen aus der Kernenergie stehen".

Die Grünen betonten, die Prüfung zeige, dass der Staat keineswegs beim Atomausstieg finanziell einspringen müsse. "Es ist eine gute Nachricht für Steuerzahler und Bundeshaushalt, dass die Energiekonzerne die milliardenschweren Altlasten der Atomkraft aus eigener Substanz finanzieren können", sagte Fraktionsvize Oliver Krischer.

Mit Spannung wird nun erwartet, wie zu Wochenbeginn Börsen und Analysten auf die Ergebnisse des Stresstests reagieren. Als Mitte September erste Zahlen zu den "Worst Case"-Annahmen durchsickerten, brachen die Aktien von Eon und RWE zeitweise massiv ein. Die Unternehmen stehen unter Druck, weil sie in ihrem klassischen Kraftwerksgeschäft wegen des Ökostrombooms kaum noch etwas verdienen.

Das Maßnahmenpaket von Gabriel

Der Stresstest gehört zu einem Maßnahmenpaket, mit dem Gabriel den nach der Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 beschlossenen Atomausstieg vorantreiben will. So soll das Kabinett am kommenden Mittwoch ein Gesetz von Gabriel verabschieden, damit sich die Energiekonzerne nicht durch die Abtrennung ihrer Atomtöchter vor der Haftung drücken können. Eon entschied daraufhin, seine Atomkraftwerke nun doch im Mutterkonzern zu lassen und nicht wie geplant in ein neues Unternehmen auszulagern.

Das letzte Kernkraftwerk in Deutschland soll 2022 abgeschaltet werden. Auch wird die Regierung eine neue Atom-Kommission einsetzen, der unter anderem die Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) und Jürgen Trittin (Grüne) angehören sollen. Die Expertengruppe soll bis zum Frühjahr Vorschläge machen, wie die Finanzierung des Atomausstiegs langfristig gesichert werden kann. Im Gespräch sind eine Atom-Stiftung und eine Fondslösung.

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