Streit um Verschmutzungsrechte:EU-Emissionshandel in Gefahr

Polen kämpft gegen das Herzstück der europäischen Klimapolitik: den Handel mit Zertifikaten - das EU-Gericht gibt dem Land Recht.

C. Gammelin

Im Streit um die Zuteilung von Verschmutzungsrechten haben Polen und Estland in erster Instanz einen Sieg über die Europäische Union errungen. Sollte das Urteil in zweiter Instanz bestätigt werden, ist das Herzstück der europäischen Klimapolitik, der Handel mit Zertifikaten, nahezu wirkungslos und das EU-Klimaziel gefährdet.

Braunkohlekraftwerks Neurath, dpa

Braunkohlekraftwerke wie das in Neurath bei Grevenbroich haben einen hohen Kohlenstoffdioxidausstoss. Polen betreibt besonders viele davon.

(Foto: Foto: dpa)

Die europäischen Richter in Luxemburg erklärten an diesem Mittwoch, die Europäische Kommission dürfe den EU-Mitgliedsländern nicht vorschreiben, wie viele Zertifikate diese jenen nationalen Unternehmen zuteilen dürfen, die am europaweiten Handel mit Verschmutzungsrechten teilnehmen. Sowohl für die Zahl der Zertifikate als auch deren Zuteilung sei jeder Mitgliedsstaat "allein zuständig", heißt es in dem Urteil.

Damit hob das EU-Gericht eine Entscheidung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2007 auf. Sie wollte Polen und Estland damals dazu verpflichten, die klimaschädlichen Emissionen in den Jahren 2008 bis 2012 stärker zu reduzieren als diese selbst bereit waren.

"Spielraum überschritten"

Die Europäische Kommission habe "einen Rechtsfehler" begangen und ihren gesetzlich festgelegten "Spielraum überschritten", befand das Gericht.

Die Europäische Kommission wurde offensichtlich von dem Urteil überrascht. Die Begründung werde in den nächsten Tagen "gründlich geprüft", sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. Sie versicherte, die Europäische Kommission habe alle Zertifikate "nach objektiven Kriterien" und im Interesse aller EU-Mitgliedsländer zugeteilt.

Die Kommission behalte sich vor, gegen das Urteil vorzugehen. Polen und Estland erhielten davon unabhängig die Möglichkeit, ihre Pläne zur Zuteilung von Emissionsrechten erneut in Brüssel zur Notifizierung einzureichen.

Bulgarien, Lettland, Litauen, Rumänien und Tschechien haben ähnliche Klagen eingereicht. Hohe Kommissionsbeamte gehen nun davon aus, dass das Gericht auch diesen Klägern Recht geben wird.

Der Preis der Zertifikate wäre stark gesunken

Praktisch könnte das bedeuten, dass die osteuropäischen Länder zwischen 2008 und 2012 jährlich bis zu 110 Millionen zusätzliche Zertifikate kostenlos an ihre Unternehmen verteilen dürften. Damit wären so viele Verschmutzungsrechte am Markt verfügbar, dass deren Preis deutlich sinken würde und die Firmen keine zusätzlichen Anstrengungen unternehmen müssten, um die ihnen vorgegebenen Reduktionsziele zu erfüllen.

"Wenn das so durchgeht, ist das Handelssystem ernsthaft gefährdet", sagte ein EU-Beamter in Brüssel. Die Rechte der Kommission würden dadurch "massiv beschränkt", die Interessen der EU-Staaten seien dann "kaum noch auszugleichen".

Warum Polen gegen Zertifikatehandel kämpft

Aufgeweicht wird auch das EU-Klimaziel. Felix Christian Matthes vom Ökoinstitut in Berlin geht davon aus, dass das Emissionshandelsziel durch die zusätzlichen Zuteilungen "um zwei Prozentpunkte gelockert" werden würde.

Statt der ursprünglich vereinbarten 21 Prozent würden die Emissionen bis 2020 "effektiv nur um 19 Prozent gesenkt". Sollte das Urteil so bestehen bleiben, "wäre das ein extrem schlechtes Signal für den Klimaschutz und die Innovationspolitik in Europa", sagte Matthes.

Handel funktioniert nach marktwirtschaftlichen Regeln

Die Europäische Union hatte 2005 erstmals den Handel mit Emissionsrechten eingeführt. Es ist das wichtigste Instrument, um klimaschädliche Emissionen kostengünstig zu reduzieren.

In der Union werden jährlich insgesamt rund 5000 Millionen Tonnen Treibhausgas in die Luft geblasen. Knapp die Hälfte davon wird vom Handel mit Emissionszertifikaten erfasst. Vor allem große Industriebetriebe, Hütten, Kraftwerke und Gewerbeunternehmen nehmen daran teil.

Der Handel funktioniert - richtig angewendet - nach marktwirtschaftlichen Regeln. Jedes Unternehmen bekommt vom Staat eine bestimmte Menge an Zertifikaten zugeteilt. Zudem gelten bestimmte Reduktionsziele. Für jede Tonne Treibhausgas, die das Unternehmen bei der Produktion seiner Waren erzeugt, muss es ein Emissionsrecht vorlegen.

Bläst ein Unternehmen nun weniger Treibhausgas in Luft als es eigentlich darf, kann es die überschüssigen Zertifikate bilateral oder an der Börse an solche Betriebe verkaufen, die die Atmosphäre stärker belasten als erlaubt. Auf diese Weise soll sich ein Handel mit Verschmutzungsrechten entwickeln, der dazu führt, dass die Emissionen dort reduziert werden, wo es am preiswertesten ist. Zudem wird die Entwicklung neuer Technologien gefördert.

Die osteuropäischen Emissionen waren zu hoch

Für die laufende Handelsperiode 2008 bis 2012 hatten die EU-Mitgliedsstaaten ihre nationalen Zuteilungspläne für Zertifikate im Jahr 2007 vorgelegt. Die Kommission hatte diese Pläne auf Plausibilität geprüft. Sie war dabei zu der Auffassung gekommen, dass die aus Osteuropa gemeldeten Emissionszahlen zu hoch ausfielen.

Ohne Korrektur hätten die Osteuropäer deutlich mehr Zertifikate erhalten als ihnen eigentlich zustehen. Da die Menge der Verschmutzungsrechte insgesamt begrenzt ist, wäre das zulasten der anderen EU-Staaten gegangen.

Polen kämpft seit langem gegen die europäischen Klimaziele. Das Land gehört zu den größten Luftverschmutzern, da es vor allem Kohlekraftwerke betreibt. Zuletzt organisierten polnische EU-Abgeordnete eine Allianz der osteuropäischen Staaten gegen das europäische Klimapaket.

Das Gesetz, in dem die Europäer festschreiben, welchen Beitrag jedes Land leistet, um die europäischen Ziele zu erreichen, konnte nur mit deutlichen Zugeständnissen an die Anti-Klima-Allianz verabschiedet werden. In den Verhandlungen um die europäischen Finanzhilfen, mit denen Entwicklungsländer beim Klimaschutz unterstützt werden sollen, verweigert Polen jedes Zugeständnis.

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