Streit der Bauernvertreter:"Er reagiert wie ein angeschossenes Wild"

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Chaos im Kuhstall: Verbandspräsident Sonnleitner hat mit seiner Grundsatzrede den Streit zwischen den Bauern neu entfacht.

Marc Widmann

Vielleicht musste Bauernpräsident Gerd Sonnleitner all den Ärger einfach mal ablassen, der sich in ihm angestaut hatte während des Lieferstreiks der Milchbauern im vergangenen Monat.

Am Dienstag brach es aus ihm heraus, bei seiner Grundsatzrede auf dem Bauerntag in Berlin. "Manches, was da abgelaufen ist, war schockierend", rief Sonnleitner den knapp 1000 Landwirten zu.

Er schalt das "illegale Verhalten einiger Berufskollegen", also der aufständischen Milchbauern, dazu "so manche Verbeugung durch die Politik". Um dann zu erklären, dass er auch von "manchen Äußerungen und Inaktivitäten von Molkereien" enttäuscht ist, ganz zu schweigen vom Lebensmittekonzern Aldi, der den Milchpreis diktiere. Kurzum: Sonnleitner zeigte sich enttäuscht von allen.

Seine Äußerungen haben den Streit zwischen Bauernverband und den Abtrünnigen im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) neu entfacht.

Massenaustritt befürchtet

"Er reagiert wie ein angeschossenes Wild", sagte BDM-Sprecher Hans Foldenauer der Süddeutschen Zeitung. Sonnleitner zeige ein "dünnes Nervenkostüm" und beweise damit nur noch einmal, "dass es der Bauernverband verschlafen hat, die Stimmung unter den Milchbauern aufzunehmen".

Jetzt sehe er seine Felle davonschwimmen. In Bayern mehren sich bereits die Spekulationen, dass ganze Ortsgruppen unzufriedener Milcherzeuger bald kollektiv aus dem Bauernverband austreten und zum BDM überlaufen werden.

Der Konflikt dreht sich um die Frage, wer künftig die etwa 100.000 deutschen Milchbauern politisch vertritt: der aufständische BDM, der einen kompletten Systemwechsel fordert und die Milchmenge in Deutschland verknappen sowie streng kontrollieren will, was Kritiker für Planwirtschaft halten - oder der Deutsche Bauernverband, in dem derzeit 90 Prozent aller deutschen Landwirte zusammengeschlossen sind.

"Wir müssen mit offenen Märkten und Marktwirtschaft arbeiten", sagte Präsident Sonnleitner, die Gegenseite biete "leider zu einfache Lösungen".

Merkel kritisiert Supermarktketten

Es gab aus Berlin aber auch hoffnungsvolle Signale für die Bauern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) attackierte in ihrer Rede die Supermarktketten scharf. Es könne nicht sein, dass die Preise der landwirtschaftlichen Produkte "niedrig gehalten werden auf Kosten der einheimischen Bauern", sagte sie.

"Es muss ein faires Verhalten aller Akteure geben". Merkel kündigte an, dass sich die Bundesregierung auf EU-Ebene für einen millionenschweren Milchfonds einsetzen werde. Den fordern die deutschen Bauern, um beim Auslaufen der Milchquote bis 2015 besondere Härten für kleine Höfe in Bergregionen abzufedern.

Diese könnten dann nicht zu den niedrigen Weltmarktpreisen produzieren, so die Befürchtung. "Es müssen Lösungen gefunden werden, die Milchbauern wirklich eine Perspektive geben", sagte die Kanzlerin. Sie sicherte Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) bei den anstehenden Verhandlungen in Brüssel "vollste Unterstützung" zu.

Auch warnte Merkel die EU-Kommission davor, die laufende Agrarpolitik "auf den Kopf zu stellen". Es müsse Verlässlichkeit und Planungssicherheit für die Bauern herrschen, eine völlige Umstrukturierung "wird es mit Deutschland nicht geben". Derzeit überprüft EU-Kommissarin Mariann Fischer Boel im Rahmen des sogenannten Health check die Agrarhilfen.

Sie plant eine Umschichtung: Betriebe sollen bis zu 22 Prozent weniger direkte Zahlungen erhalten, dafür aber Geld für neue Umweltprojekte. Betroffen von den Kürzungen wären nach derzeitigem Plan vor allem große Höfe, wie sie in Ost- und Norddeutschland vorkommen. "Die Maßnahmen dürfen nicht so gemacht werden, dass sie zu Lasten einer Gruppe der Landwirtschaft gehen", sagte Merkel.

Obgleich sie viel Applaus erhielt, lösten einige Worte der Kanzlerin auch lautes Murren unter den Zuhörern aus. Die geforderte Senkung der Steuer auf Agrardiesel wollte Merkel nicht zusagen. Wenn die Preise weiter so steigen, sagte sie, sei jede Ermäßigung schon nach 14 Tagen vergessen.

© SZ vom 02.07.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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