Streiks zur EM:Politische Streiks gehören verboten

Blockade von Treibstoffdepots in Frankreich

Eine Blockade von Treibnstoffdepots in Frankreich: Mitarbeiter in Raffinerien und Atomkraftwerken sind während der EM zu Streiks aufgerufen.

(Foto: dpa)

Es ist Fußball-EM, die Franzosen streiken und alles nur, um Präsident Hollande zu erpressen. Gut, dass es so etwas in Deutschland nicht gibt.

Kommentar von Nikolaus Piper

Jetzt gibt es wieder Anlass, über Frankreich zu lästern: Die Fußball- EM kommt ins Land und was machen die Franzosen? Sie streiken. Die radikale Gewerkschaft CGT ruft zum Ausstand in Raffinerien und Atomkraftwerken auf, weil sie Präsident François Hollande zwingen will, die geplante Lockerung des Kündigkeitsschutz zurückzunehmen. "Unser Ziel ist es nicht, die EM zu stören", sagte ein Funktionär. "Aber wir wissen, dass die Regierung darüber in Sorge ist, und damit ist es ein Mittel, den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten."

Mit anderen Worten: Die Gewerkschaft setzt darauf, dass die Regierung ein Verkehrschaos zum Beginn der Europameisterschaft fürchtet und noch rechtzeitig einknickt. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war noch nicht zu erkennen, ob dieses Kalkül aufgehen würde.

In Deutschland räsoniert man bei solchen Anlässen immer gerne über den Nationalcharakter der Franzosen, zu dem nun einmal die Liebe zu Streiks gehöre. Lohnender wäre es, einmal die ökonomischen und rechtlichen Hintergründe dieser Streiklust genauer anzuschauen.

Politische Streiks machen Institutionen der Demokratie erpressbar

Was die CGT praktiziert, ist das Musterbeispiel eines politischen Streiks. Adressat dabei ist nicht das bestreikte Unternehmen (in diesem Fall der Mineralölkonzern Total), sondern die Regierung und/oder das Parlament des Landes. In Frankreich sind derartige Streiks gängige Praxis, in Deutschland sind sie verboten, nicht explizit im Gesetz, aber durch wegweisende Entscheidungen der Arbeitsgerichte. Nach deutscher Rechtspraxis ist ein Streik nur dann erlaubt, wenn der Bestreikte die theoretische Möglichkeit hat, den Streikenden entgegenzukommen. In diesem Sinne ist es legal, für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten zu streiken, nicht aber für die Erhöhung der Renten oder der Hartz-IV-Sätze.

Die Streikwelle in Frankreich zeigt, dass es sehr gute Argumente für das Verbot politischer Streiks gibt. Nirgendwo in Europa ist der Organisationsgrad der Arbeitnehmer so niedrig wie in Frankreich (acht Prozent, davon weniger als die Hälfte in der den Kommunisten nahestehenden CGT). Das Recht auf politische Streiks gibt aber einer winzigen Minderheit einen Hebel, um die gewählten Institutionen der Demokratie zu erpressen und, wie jetzt, notwendige Reformen des Arbeitsrechts zu blockieren. Das steht letztlich auch gegen das aufgeklärte Eigeninteresse der Gewerkschaften, denn Radikalität und geringe Mitgliederzahl bedingen einander offensichtlich.

Ein Blick nach Frankreich wird sich in den kommenden Wochen lohnen

Das alles ist für Deutschland durchaus relevant. Die Ablehnung politischer Streiks ist hierzulande nicht mehr so einhellig, wie sie einmal war. Die Mitglieder der IG Bau etwa nahmen die Forderung danach in ihre Satzung auf - gegen den ausdrücklichen Wunsch des Vorstands. Die Jusos sind dafür, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auch und die Linkspartei sowieso. In deren Programm wird die Forderung ironischerweise unter "Ausbau der Bürgerrechte" und "Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche" subsumiert.

Die Befürworter politischer Streiks berufen sich dabei auf die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - fälschlicherweise. Ja, es gab den berühmten Streik der Metallarbeiter von 1918 gegen den Krieg und vor allem den Generalstreik, mit dem 1920 der Kapp-Putsch vereitelt wurde. Aber es ist eben ein Unterschied, ob Arbeiter sich gegen Autokraten oder faschistische Putschisten wehren, oder ob Minderheiten die Demokratie als Geisel nehmen.

Es lohnt sich jedenfalls, in diesen Tagen nach Frankreich zu schauen, nicht nur wegen der EM.

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