Strategie von VW:Volkswagen stottert in die Zukunft

Inside The 2016 Consumer Electronics Show

VW-Markenvorstand Herbert Diess auf der CES in Las Vegas

(Foto: Bloomberg)
  • VW-Markenvorstand Diess vertritt den kriselnden VW-Konzern auf der CES in Las Vegas.
  • Die künftige Digitalstrategie von Volkswagen kann er aber nicht präsentieren, weil es sie noch nicht gibt. Und auch seine Elektro-Studie enttäuscht.

Von Joachim Becker, Las Vegas

Es war sein erster großer öffentlicher Auftritt nach der Hochphase des VW-Abgasskandals: Am Vorabend der weltgrößten Elektronikmesse begann Herbert Diess das neue Jahr mit einer Grundsatzrede auf der Consumer Electronics Show (CES). Weder die Visionen des VW-Markenchefs noch die vorgestellte Fahrzeugstudie BUDD-e konnten das Publikum in Las Vegas aber wirklich mitreißen. In den USA wird der VW Bulli als Design-Ikone der Woodstock-Generation verehrt. Warum der mögliche Nachfolger aussieht wie ein aus den Fugen geratener VW Sharan, erschloss sich dem CES-Auditorium nicht. Böse Zungen sprachen sogar von einem Aufguss des koreanischen Kia-Designs. Selbst das angeblich wegweisende VW-Interieur mit großen Bildschirmen löste wenig Begeisterung bei den Zuschauern aus. Dem verzagten Applaus zufolge verpuffte der geplante Befreiungsschlag für VW in den USA.

Statt in die strahlende Zukunft einer erschwinglichen Langstrecken-Elektromobilität schaute Herbert Diess zu Beginn seiner Rede erst einmal in den Rückspiegel. Sichtlich gezeichnet von den vergangenen Monaten entschuldigte sich Diess noch einmal für den Betrug bei den Diesel-Emissionswerten. In Europa genügt in den meisten Fällen ein schnelles Software-Update, um die betroffenen Fahrzeuge doch noch gesetzeskonform zu machen. Eine derart simple Nachrüstlösung ist in den USA aufgrund der wesentlich strengeren Abgasgrenzwerte nicht möglich. Das drückte auch in Las Vegas auf die Stimmung. Bereits am 13. Oktober 2015, kurz nach dem Rücktritt des früheren Konzernbosses Martin Winterkorn, hatte der VW-Markenvorstand unter Diess eine neue Diesel-Strategie mit modernsten Technologien zur Abgasnachbehandlung beschlossen. Noch folgenschwerer war womöglich die stärkere Ausrichtung auf die Elektromobilität sowie auf die Vernetzung und Automatisierung der VW-Flotte.

Das Elektro-Know-How muss VW sich von Audi borgen

Dass Herbert Diess auf der CES wenig Esprit versprühte, lag wohl nicht zuletzt am Erbe seines Vorgängers. Nicht nur aufgrund des Dieselskandals, der seinen Terminplan in den vergangenen Wochen bestimmt hatte. Zu allem Unglück musste er in der Wüstenstadt auch weitere Altlasten abarbeiten: Eigentlich wollte sich Martin Winterkorn auf der CES als Visionär einer emissionsfreien Zukunftsmobilität feiern lassen. Das Know-how für die neue Elektrifizierungs-Architektur mussten sich die Wolfsburger jedoch in Ingolstadt borgen. Die neue Elektro-Plattform für große Pkw und Nutzfahrzeuge hatte Audi mit dem concept quattro e-tron bereits auf der jüngsten IAA in Frankfurt vorgestellt. Mächtige Batteriepakete im Unterboden sollen eine abgasfreie Reichweite von 500 Kilometern ermöglichen. Auf der CES verbreiten solche Eckdaten aber wenig Aufbruchstimmung: Bereits am Tag zuvor hatte das Start-up Faraday Future eine ganz ähnliche Elektro-Plattform vorgestellt. Im Vergleich zu dem Prototypen aus Kalifornien fehlt der VW-Studie aber jede Spur eines emotional-mitreißenden Designs, das Lust auf den Technologiewandel machen könnte.

Tatsächlich hat Diess nicht nur den lang geplanten CES-Vortragstermin von seinem Vorgänger geerbt. Auch das Design der BUDD-e Studie war zu seinem Amtsantritt längst fertig. Aufbruch sieht anders aus - der Bulli-Nachfolger verbreitet die eher triste Nüchternheit der Winterkorn-Ära. Das mag sich wohl auch Michael Maurer gedacht haben. Der neue Konzern-Designchef war zur Weltpremiere in Las Vegas gar nicht erst erschienen. Entgegen allen anderslautenden Beschwörungen von Diess veranschaulicht die Studie nur bruchstückhaft, wie sich das Autofahren in den kommenden Jahren verändern wird. Mindestens genau so wichtig wie eine erschwingliche Langstrecken-Elektromobilität ist für viele Kunden die rasend schnelle Digitalisierung des Autos. Die wird schneller als gedacht im autonomen Fahren münden. Doch zu diesem heiß diskutierten Kernthema der CES hatte VW wenig Neues beizutragen.

Anders als Audi ist VW bisher auch bei neuen Anzeige- und Bedienkonzepten kaum als Trendsetter aufgefallen. Der hochauflösenden 9,2-Zoll-Touchscreen im zweiten Konzeptauto Golf R Touch stand in ähnlicher Form bereits auf der CES 2015. Dass die Gestensteuerung im Topsystem der neuen Infotainment-Generation Einzug halten wird, hatten die Wolfsburger ebenfalls vor einem Jahr durchblicken lassen. Das seriennahe Golf-Konzeptfahrzeug macht allerdings klar, dass VW auch den Kompaktmodellen die neuesten Gadgets aus der Unterhaltungselektronik einführen will: Gerade jüngere Kunden sind nicht mehr bereit, Jahre zu warten, bis die Elektronik-Innovationen aus der Oberklasse endlich ins Volumensegment trödeln.

Die neue Digitalisierungsstrategie? Man wird sich bis Mai 2016 gedulden müssen

All das sind gängige Allgemeinplätze auf der Elektronikmesse in Las Vegas. Herbert Diess blieb eine visionäre Antwort auf die Frage schuldig, wie sich VW beim digitalen Lifestyle von der Masse künftig abheben will. Immerhin werde die VW-Strategie bei den vernetzten Diensten nun klarer, sagte Axel Schmidt, Geschäftsführer Automotive bei der Strategieberatung Accenture: "Beim Infotainment setzt das Unternehmen auf möglichst große Offenheit für die gängigen mobilen Betriebssysteme, bei den ortsbezogenen Diensten wird sich VW hingegen der Plattform Here von Audi, BMW und Daimler anschließen. Für die Erfolgsaussichten von Here ist das ein ganz entscheidender Schritt, denn mit VW als einem der größten Volumenhersteller der Welt im Rücken gewinnt die Plattform für die Nutzer an Attraktivität." Ob man im Wettbewerb mit Google von einem "Anspruch auf die Vorherrschaft im Zeitalter der vernetzten Mobilität" sprechen kann, wie Schmidt sagt, bleibt abzuwarten.

Am auffallendsten an der CES-Keynote von Herbert Diess war, wie sehr sich der frühere Apple-Manager Johann Jungwirth im Hintergrund hielt. Vor wenigen Wochen hatte VW-Konzernchef Matthias Müller den bisherigen Director in der Entwicklung der Mac-Computersysteme abgeworben. Als Director der Special Projects Group hatte Jungwirth in Cupertino auch das Apple-Projekt Titan zum automatisierten Fahren geleitet. Wer den früheren Chef des Mercedes-Forschungszentrums im kalifornischen Sunnyvale kennt, weiß, dass der 42-Jährige hinter den Wolfsburger Kulissen längst aktiv ist. Nach langen Jahren im Silicon Valley wird der neue Leiter der Digitalisierungsstrategie im Volkswagenkonzern versuchen, alle Konzernmarken auf schnellere Entwicklungszyklen, neuartige digitale Ökosysteme und innovative Mobilitätslösungen einzuschwören. Auf die Ergebnisse dieser neuen Digitalisierungsstrategie darf man gespannt sein - bis zum Mai muss man auf Volkswagen 2.0 wohl noch warten.

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