Stihl:Hecken ohne Ende

Stihl: Bertram Kandziora, 61, ist seit 2003 Vorstandsvorsitzender des Sägenherstellers Stihl in Waiblingen bei Stuttgart.

Bertram Kandziora, 61, ist seit 2003 Vorstandsvorsitzender des Sägenherstellers Stihl in Waiblingen bei Stuttgart.

(Foto: PR)

Der weltweit aktive Sägenhersteller Stihl expandiert trotzt Brexit und eröffnet in Großbritannien ein Vertriebsbüro.

Von Dagmar Deckstein

Was wäre, wenn? Mit dieser Frage müssen sich neuerdings unzählige, vor allem deutsche Firmen befassen. Nicht nur Auto- und Maschinenbaukonzerne, sondern längst globalisierte mittelständische Unternehmen, die seit Jahrzehnten schon ihren Geschäften auf allen Kontinenten nachgehen. Was wäre etwa, wenn der neue US-Präsident Donald Trump seine protektionistischen "America first"-Pläne rigoros umsetzte und etwa dekretierte, dass kein amerikanischer Baum mehr mit einer deutschen Säge gefällt werden dürfte?

Bertram Kandziora, 61, seit 2003 der Chef des Sägenherstellers Stihl, lässt dieses Schreckensszenario jedoch erst einmal kalt: "Dann schnitte sich Trump ins eigene Fleisch. Der Präsident will ja Arbeitsplätze in den USA schaffen", sagt Kandziora und setzt hinzu: "Wir haben seit 43 Jahren ein Produktionswerk in Virginia Beach, heute mit über 2000 Mitarbeitern. Obendrein sind die USA unser wichtigster Markt, auf dem wir rund 30 Prozent unseres Umsatzes erzielen. Wir sind in den USA unangefochtener Marktführer."

Auch wenn der US-Präsident seine vielfach angekündigten Zölle auf importierte ausländische Produkte realisierte, bei Stihl, dem 91 Jahre alten Unternehmen aus dem schwäbischen Waiblingen bei Stuttgart, stieße er damit ins Leere. Stihl stellt in den USA den Großteil der Geräte für den US-Markt her und exportiert zudem ein Drittel der Produktion.

Zölle erheben könnte Trump indes durchaus auf die Sägeketten, die ausschließlich im schweizerischen Stihl-Werk in Wil für die weltweite Produktion der Kettensägen hergestellt werden, und das zum großen Teil auf eigens von Stihl in Waiblingen konstruierten und hergestellten Produktionsanlagen. Oder auf die Erzeugnisse der Hightech-Gießerei für Motorteile aus Magnesiumdruckguss, die Stihl im Eifelstädtchen Prüm seit 1971 ebenfalls für die weltweiten Produktionsstandorte anfertigen lässt. Beide Zuliefererprodukte aus Europa müssten dann auf ihrem Weg in die USA verzollt werden. Das machte aber die in den USA produzierten Geräte teurer und gefährdete am Ende einen Teil der dortigen 2000 Stihl-Arbeitsplätze.

Stihl unterscheide sich in dieser Hinsicht nicht von Autoherstellern wie etwa BMW oder Daimler, die in den USA für den US-Markt produzieren und von dort auch in andere Länder exportieren - zugunsten der US-Handelsbilanz. Vom Produktionsstandort Virginia Beach aus exportiert Stihl Sägen und andere motorgetriebene Baum-, Hecken- und Rasen bearbeitende Geräte sogar in 100 weitere Länder. Und nicht nur solche endmontierten Geräte für Forstwirte, Profi-Landschaftsgärtner und Privatkunden für die Do-it-yourself-Gartenpflege, sondern auch Kurbelwellen, Kunststoffteile oder Kolben für die anderen drei Montagewerke der Firmengruppe. Am Beispiel Stihl lässt sich demonstrieren, welch engmaschiges Netz von Produktions- und Lieferbeziehungen ein global agierender Mittelständler unterhält.

Die internationale Aufstellung sichert der Firma bisher das Wachstum

Ein Netz, das durch Interventionen eines aus dem Freihandelsverbund ausscherenden Landes durchaus beschädigt werden kann. Doch Kandziora meint: "Weltweiter Freihandel ist Voraussetzung für Wachstum, Wohlstand und Fortschritt. Doch wir sind ja schon seit Langem Kummer gewohnt." Stihl habe im Laufe der Unternehmensgeschichte gelernt, flexibel auf immer wieder neue Hürden wie zum Beispiel Handelshemmnisse zu reagieren, und sei krisenerprobt.

So erklärt sich auch, warum Stihl nicht nur im Stammland Deutschland, in China und in den USA produziert, sondern auch in Brasilien. Das lateinamerikanische Land war Anfang der 1970er-Jahre von hoher Inflation gepeinigt und schottete sich vom übrigen Weltmarkt mit hohen Einfuhrzöllen rigoros ab. Also beschloss Stihl, um den hohen Einfuhrzöllen aus ausländischer Produktion zu entgehen, am Ort ein Produktionswerk zu errichten. Das beliefert von São Leopoldo in Rio Grande do Sul aus ganz Lateinamerika.

Die weltweite Aufstellung von Produktions-und Lieferketten sichert Stihl bisher das Wachstum und den Status als Weltmarktführer. Im vergangenen Geschäftsjahr 2016 setzte Stihl 3,45 Milliarden Euro um, mit weltweit 14 920 Mitarbeitern - davon 4400 in Deutschland.

Wachstumstreiber sind die neuen akkubetriebenen Geräte, für die es keiner Benzinkanister mehr bedarf, und die auch weitaus leiser im Gebrauch sind. Fünf Prozent zum Umsatz trugen sie 2016 schon bei, dieses Jahr sollen es schon zehn Prozent sein. Der schwäbische Mittelständler ist in 160 Ländern vertreten, in denen insgesamt 45 000 Fachhändler Kettensägen & Co. an die Kunden bringen. Das Geschäft besorgen grundsätzlich Fachhändler - bis auf ganz wenige Baumarkt-Ausnahmen. Fachhändler, so das Stihl-Credo, müssen Beratung, Einweisung, Service und Reparaturwerkstatt vorhalten, um Stihl-Geräte verkaufen und gegebenenfalls auch reparieren zu können.

Die nächste Großbaustelle eröffnet sich für den Sägenhersteller in Großbritannien. Was bedeutet der "Brexit" für Stihl? Zunächst ist Kandziora in Sorge, "dass wir mit Großbritannien, einem unserer Top-Ten-Märkte, einen großen Freihandelspartner zu verlieren drohen." Und das in einem Land, in dem es Hecken ohne Ende zu beschneiden gibt. Eben, sagt der Stihl-Chef, "schon deswegen haben wir gesagt: Wir stehen zum britischen Markt". Ungeachtet dessen, was die EU mit der neugewählten britischen Regierung auch bis zum geplanten "Exit" 2019 ausgehandelt haben wird, investiert Stihl ins Wachstum auf dieser holz- und heckenreichen Insel: "Wir sagen: Jetzt erst recht. Wir werden in Kürze die inzwischen zu klein gewordenen Gebäude unserer Vertriebsniederlassung in Großbritannien durch Neubauten ersetzen." Wie hoch die Investitionen ausfallen werden, ist noch offen, mit Geschäftsrückgängen rechnet Kandziora jedoch weder in den USA, dem wichtigsten und am schnellsten wachsenden Markt, noch in Großbritannien. Nach einer Umsatzsteigerung des Gesamtkonzerns von 6,6 Prozent im vergangenen Jahr (bei Wechselkursen wie anno 2015 wären es sogar 9,5 Prozent gewesen) rechnet er 2017 sogar mit zehn bis zwölf Prozent Umsatzplus. Derzeit schwächeln nur Brasilien und Russland, das sich aber langsam wieder erholt.

Es wäre ja schon etwas gewonnen, wenn Donald Trump sich mit der Idee vertraut machen könnte, dass Stihl-Sägen, erfunden in Waiblingen, aber produziert in Virginia Beach, "America" "greater" machen könnten. Meint auch Firmenchef Bertram Kandziora. "Ich hoffe, Trump wird nicht weiter in diesen verrosteten Werkzeugkasten des Protektionismus greifen, den eigentlich eher Schwellenländer geöffnet haben."

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