Steuerzahlerbund stellt Schwarzbuch vor:Rauschendes Fest der Steuerverschwendung

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"Politisches Versagen" im Aufsichtsrat des Pannen-Flughafens Berlin-Brandenburg, unbenutzbare Brücken und untaugliches Spielgerät für Kinder: Der Bund der Steuerzahler stellt das Sündenregister von Politik und Behörden vor. Aber schützt der Verein mit seinem Register wirklich den gemeinen Steuerzahler?

Jannis Brühl, Berlin

Reiner Holznagel steht da wie die Kanzlerin. Die Fingerkuppen seiner beiden Hände berühren sich vor seinem Oberkörper. So stehen Menschen da, wenn es um viel Geld geht. Holznagel geht es um Milliarden. Er vertritt eine Gruppe, die sich selbst als "Finanzgewissen der Nation" bezeichnet: den Bund der Steuerzahler. Jährlich klagt der Verband in einem sogenannten Schwarzbuch über Behörden und Regierungen des Landes, wirft ihnen Verschwendung und Missmanagement vor.

Bund der Steuerzahler - das klingt nach Mittelschicht, nach Leuten, die pünktlich und ehrlich ihre Steuererklärung abgeben. Die sich dann zu Recht aufregen, wenn der Staat mit ihrem hart erarbeitetem Geld Blödsinn macht. Doch so einfach ist es nicht. Kritiker halten dem Bund der Steuerzahler vor, den Staat mit der neoliberalen Axt stutzen zu wollen.

An diesem Mittwoch verliest Holznagel, der Chef des Steuerzahlerbundes, das Sündenregister von Politik und Behörden. Er hat in die Berliner Zentrale seines Verbands geladen - in das Gebäude in Berlin-Mitte mit der berüchtigten "Schuldenuhr" über der Tür. Holznagel zelebriert zum ersten Mal die Präsentation des Schwarzbuchs. Der 36-Jährige mit dem blonden Scheitel hat die Chefposition der Lobbygruppe am 1. Juli vom langjährigen Vorsitzenden Karl Heinz Däke geerbt.

Besonders Großprojekte seien anfällig für Verschwendung, sagt Holznagel. "Projekte werden immer größer, komplexer und für uns schwieriger zu recherchieren." Das gelte besonders für den Pannen-Flughafen Berlin-Brandenburg.

Das Management des Flughafens sei überfordert, sagt Holznagel. Dem Aufsichtsrat, in dem unter anderem der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sitzen, warf Holznagel "politisches Versagen" und "blindes Vertrauen" zum "überforderten Management" vor. Politiker im Aufsichtsrat sollten in der letzten Bauphase durch externe Fachleute und kompetente Fachbeamte ersetzt werden. Er schätzt, dass die Baukosten von mittlerweile 4,3 Milliarden Euro noch weiter steigen werden. Die Fertigstellung des Milliardenprojektes wurde vor kurzem zum dritten Mal verschoben und ist jetzt für den Herbst 2013 geplant.

Auch die Elbphilharmonie und den Vergüngungspark am Nürburgring, der den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck fast das Amt kostete, nennt er als Beispiel für viel zu teure Großprojekte. Beck müsse die "politische Verantwortung" übernehmen. Holznagel sagt aber, auch bei kleineren, lokalen Projekte gebe es Probleme: "Die Verschwendung von 10.000 Euro bringt die Bürger am meisten auf die Palme."

Folgende Fälle sind ein kleiner Auszug aus dem neuen Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes.

[] Die Stadt Fulda zahlte einem Künstler 13.500 Euro für fünf Holzhunde in der Innenstadt, auf denen Kinder spielen sollten. Leider sind die Hunde starr, Kinder konnten auf ihnen nicht wippen oder schaukeln - denn dazu hätte die Stadt zusätzlich das Pflaster unter den Hunden durch einen Fallschutz ersetzen müssen. Dafür war kein Geld mehr da.

[] Die Arbeitslosenzahlen sind gesunken, damit rühmt sich die Bundesregierung gerne. Ende 2011 gab das Bundeswirtschaftsministerium 350.000 Euro für eine Anzeigenkampagne aus, die eigentlich nur aus einem Slogan bestand: "So viele Menschen in Arbeit wie nie zuvor. Danke Deutschland." Nach dem Urteil des Steuerzahlerbundes war die Anzeige lediglich Selbstbeweihräucherung des Ministeriums "ohne jeglichen Neuigkeitswert".

[] Auf der Insel Poel, die zu Mecklenburg-Vorpommern gehört, sollte ein Ingenieurbüro sich um den Bau einer Brücke durch Morast und Schilf kümmern. Leider vergaß es, die Anbindung der Brücke auf beiden Seiten auszuschreiben. Dadurch verzögerte sich die Eröffnung, weil Radfahrer und Fußgänger sie noch nicht betreten konnten. Am Ende stiegen die Kosten von 170.000 auf 185.000 Euro. Immerhin: Sie wurde laut Steuerzahlerbund mit "edlem westafrikanischen Bongossi-Holz" gebaut.

[] Es muss ein rauschendes Fest gewesen sein: Büffet, edler Wein und ein Tenor, als Party-Location diente ein Museum. Der Geschäftsführer einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft aus Hagen ging in Ruhestand, die Rechnung für seine rauschende Verabschiedung betrug 31.000 Euro - sein Arbeitgeber sollte sie zahlen. Nach einem öffentlichten Aufschrei übernahm er 16.000 Euro selbst - und muss sich dem Steuerzahlerbund zufolge mit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft herumschlagen.

[] In Niedersachsen bauten Behörden eine "Grünbrücke", über die Wildtiere gefahrlos die vielbefahrene Straße überqueren können. Der Bau wurde vor allem mit dem Schutz von Wildkatzen begründet. Kosten der Brücke mit Zaunanlage: 2,6 Millionen Euro. Anzahl der Wildkatzen im Umkreis: neun.

[] Das Bundesland Baden-Württemberg erklärte Freiburg, Karlsruhe und Offenburg zu "fahrradfreundlichen Kommunen". Als Preis gab es digitale Fahrradzähler - 2,50 Meter hohe Säulen, die vorbeifahrende Radfahrer zählen und die Zahl anzeigen. Das soll noch mehr Menschen zum Radfahren motivieren und Statistiken über den Radverkehr ermöglichen. Der Steuerzahlerbund bezweifelt jedoch, dass diese Daten, an einer einzelnen Stelle erhoben, aussagekräftig sind - und ob die 20.000 Euro, die das Land pro Zähler ausgab, angemessen waren. Die Installation kostete die "ausgezeichneten" Städte selbst übrigens im Schnitt noch einmal 6000 Euro.

[] Mecklenburg-Vorpommern förderte den Hollywood-Film Der Ghostwriter mit 188.390 Euro. Regisseur Roman Polanski dreht zum Teil auf der Insel Usedom. Der Film wäre allerdings auch ohne Staatssubventionen entstanden, schreibt der Steuerzahlerbund. Weder das Land noch der Steuerzahler hätten von den Bruttoeinnahmen in Höhe von schätzungsweise 59 Millionen Euro etwas abbekommen.

Diese und viele weitere Vorwürfe präsentiert der Verein, als ob er keine eigene Agenda habe. Doch daran gibt es berechtigten Zweifel.

So lobt Holznagel zum Beispiel das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum europäischen Rettungsschirm ESM. Die Haftung Deutschlands sei gedeckelt worden.

Was er nicht erwähnt: Seine Organisation hat selbst die Verfassungsbeschwerde aktiv unterstützt. Über ihr Mitgliedermagazin warb sie für Unterschriften gegen den ESM. Auch der Verein "Mehr Demokratie" und die Freien Wähler unterstüzten die Initiative, mit 37.000 Signaturen war sie schließlich die größe Beschwerde in der Geschichte des Gerichts.

Wenn Holznagel über den ESM spricht, redet er über Summen, die sich "ein normaler Mensch überhaupt nicht mehr vorstellen kann". Später wird er das Gehalt eines Facharbeiters als Maßstab anführen, um zu zeigen, wie teuer Steuerverschwendung schon auf lokaler Ebene sein kann.

Doch es gibt Stimmen, die bezweifeln, dass der Steuerzahlerbund Politik nur im Sinne des kleinen Mannes macht. Die taz erhob im Sommer Vorwürfe gegen die "unmögliche Lobby". Das Wirtschaftsmagazin Brand Eins attestiert dem Verband eine "Schlanke-Staat-Ideologie".

Der Bund spreche gar nicht für alle Steuerzahler, wie seine Chefs suggerieren, sagen die Kritiker. Die Organisation habe wirtschaftsliberale Schlagseite, sie wolle vor allem staatliche Ausgaben reduzieren. Darunter könnten vor allem untere Schichten leiden. Beispielsweise setzt sich die Organisation mit Vehemenz gegen eine Vermögensteuer ein.

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat 2008 den Bund der Steuerzahler durchleuchtet ( PDF). Demzufolge sind die Mitglieder des Bundes vor allem gutverdienende Freiberufler und Unternehmer.

Der Steuerzahlerbund weist die Kritik zurück. "An unserer Tätigkeit sieht man, dass wir uns nicht nur für Unternehmen einsetzen", sagte eine Sprecherin zu Süddeutsche.de. So kämpfe der Bund auch gegen die kalte Progression, was vor allem Arbeitnehmern zugutekomme. Sie räumt aber ein, dass selbständige Mitglieder im Verband aktiver seien, da sie schon wegen der eigenen Firma in der Regel besser informiert seien.

Auch das Gehalt des neuen Chefs Holznagel steht im Fokus. Sein Vorgänger Karl Heinz Däke war in die Kritik geraten, weil er bis zu 190.000 Euro verdient und die genaue Zahl verschleiert haben soll. Das sieht schlecht aus für eine Organisation, die Ausgabentransparenz fordert. Holznagel verdiene 130.000 Euro, nicht mehr, sagt die Sprecherin: "Wir posten das nicht auf Facebook, aber wir verheimlichen es auch nicht."

Holznagel hat auch etwas Lob für die Politik übrig. Bestimmte Formen der Verschwendung seien zurückgegangen. "Ich glaube fest daran, dass es keinen Politiker mehr gibt, der mit dem Dienstwagen nach Spanien fahren würde." Die Anspielung zielte auf die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die wegen der Nutzung ihres Dienstautos im Urlaub in die Kritik geraten war. Auch die Flugbereitschaft nutzen Politiker Holznagel zufolge wesentlich seltener.

Ein Weißbuch möchte Holznagel kommendes Jahr aber wahrscheinlich nicht herausbringen. Für positive Beispiele sei er nur am Rande zuständig. Die stelle die Politik ja schon selbst heraus.

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