Steuersystem:Die Steuererklärung begünstigt die Falschen

Steuererklärung

Der Staat will durch die überkomplexe Steuererklärung Gerechtigkeit schaffen - verfehlt aber dieses Ziel.

(Foto: dpa)

Der Staat hat das Steuersystem bewusst komplex gestaltet, um jedem die gleichen Chancen zu geben. Doch das funktioniert nicht.

Kommentar von Michael Kläsgen

Es ist wieder so weit. Zeit für die Steuererklärung. Wer noch nicht darüber sitzt und schwitzt, einen Steuerberater eingeschaltet oder um Aufschub gebeten hat, der wird durch eine Vielzahl von Artikeln in diversen Publikationen daran erinnert. Wobei das Wort "erinnert" falsch ist. Der Durchschnittsdeutsche sammelt ja für eben jenen Moment das ganze Jahr über Quittungen und Belege, erstens, um die darauf festgehaltenen Zahlen fein säuberlich in die dafür vorgesehenen Kästchen (und nur in die!) auf dem Formular einzutragen. Und um sie dann, zweitens, dem Finanzamt zu übermitteln. Warum? Weil er was vom Staat zurückbekommen will. "Wer nichts tut", weiß die Bild-Zeitung, "verschenkt sein Geld." Das Wort "sein" in Großbuchstaben geschrieben.

In diesem Satz, der ja wahr ist, spiegelt sich die ganze Widersinnigkeit des deutschen Steuersystems. Demnach steckt der Staat Geld ein, das ihm eigentlich gar nicht gehört, rückt es aber nur wieder heraus, wenn man bestimmte Tricks und Kniffe kennt. Wenn ein Kind dem anderen auf dem Spielplatz das Schäufelchen wegnimmt und sagt, das kriegst du nur wieder, wenn du das richtige Codewort sagst, würden viele reflexartig eingreifen. Das deutsche Steuersystem halten die meisten aber für unantastbar und bereiten sich brav darauf vor, bis zu einer bestimmten Frist den Code zu knacken. Dabei degradiert der Staat sie zu Bittstellern und Belege-Sammlern, obwohl sie doch das Geld, das der Staat zurückhält, kraft ihrer Arbeit erwirtschaftet haben.

Die schiere Komplexität ist gewollt - aber unsinnig

Hat man Fragen zum Knacken des Codes, schicken Finanzbeamte den Hilfesuchenden zum Steuerberater oder raten zur Steuersoftware. Vater Staat alimentiert so eine ganze Industrie, die es in dem Ausmaß nicht gäbe, wenn er den Beschäftigten nicht das Schäufelchen aus der Hand genommen hätte. Natürlich hat auch Bild eine eigene Steuersoftware entwickelt. Man ahnt, wie lukrativ das Geschäft sein muss.

Das Geschäftsmodell basiert auf der Komplexität des Systems, man könnte auch sagen, auf der Vielzahl der möglicherweise richtigen Codewörter. Es gibt Menschen, die fragen ihren Steuerberater, ob nicht auch die Reparatur des Fernsehers oder der Schrebergarten absetzbar ist. Weil die Komplexität so groß ist, scheint alles möglich zu sein, auch das Unsinnigste. Der Staat hat diese Komplexität absichtlich erzeugt, um jeden Bürger möglichst gerecht zu behandeln. Das ist positiv anzuerkennen und gut gemeint, aber nicht realisierbar. Es führt dazu, dass dieses System eine Vielzahl von Gerichten beschäftigt, die sich mit Fragen befassen wie etwa, ob die Kosten für die Befruchtung mit Fremdsamen absetzbar sind oder nicht.

Es profitieren - wieder einmal - die ohnehin schon Begünstigten

Es ist diese Art von Versuchen, Gerechtigkeit zu schaffen, die in Wahrheit mehr Ungerechtigkeit schafft. Denn der Steuerzahler muss jede Lücke, jede Feinheit kennen, um "sein" Geld zurückzubekommen. Das gelingt vor allem jenen, die den Durchblick haben und/oder jemanden bezahlen können, der das meiste für sie herausholt. Wie Studien belegen, sind das größtenteils Menschen mit überdurchschnittlich viel Geld. Ihr Steuersatz ist in Deutschland, aber auch anderswo in der Regel niedriger als der von Menschen mit mittlerem oder geringem Einkommen.

Von dem System profitieren also besonders diejenigen, die ohnehin begünstigt sind, weil sie auf Kapitaleinkünfte aus Geldanlagen, Schenkungen oder Erbschaften weniger Steuern zahlen als der Durchschnittbürger auf seine erbrachte Arbeitsleistung. Hierin liegt eine weitere Ungereimtheit des deutschen Steuersystems. Jene mit geringem oder mittlerem Einkommen sind somit mindestens in zweierlei Hinsicht benachteiligt: Sie haben kaum Möglichkeiten, Vermögen aufzubauen, und zudem weniger Chancen, sich "ihr" Geld erstatten zu lassen.

Zu viel Steuer-Dschungel für ein gut organisiertes Land wie Deutschland

Gerecht kann es aber nur zugehen, wenn alle die gleichen Chancen haben, die Kriterien allgemein bekannt sind und diese auf alle gleichermaßen angewandt werden. Das mag jemand im Einzelfall für ungerecht halten. Wenn aber das subjektive Unrechtsempfinden zum bestimmenden Faktor wird, entsteht für die Allgemeinheit ein undurchdringlicher Dschungel, der geradezu nach Kahlschlag ruft, also nach Reduktion von Komplexität.

Gewiss, es wäre naiv zu glauben, jemand nähme bald die Machete in die Hand und lichtete das Dickicht. Zu lang ist die Liste gescheiterter Vorhaben, zu groß der Widerstand der Besitzstandswahrer. Es ist ja gerade die Komplexität, die eine Reform behindert. Bedauerlich, denn in einem so gut organisierten Land müsste es auch einfacher - und gerechter - zugehen können.

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