Steuerreform:Finanzamt prüft "Bedürfnisse" von Erben

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Die Koalition regelt die Erbschaftsteuer neu: Wer viel zahlen muss, kann künftig eine neue Sonderregel in Anspruch nehmen. Ob der Kompromiss das Bundesverfassungsgericht zufriedenstellt, ist noch unklar.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Nach einem monatelangen Gezerre haben sich die Parteispitzen der großen Koalition am Montag auf eine Reform der Erbschaftsteuer verständigt. Die meisten Firmenerben müssen demnach auch künftig keine Steuern zahlen, wenn sie das Unternehmen und die Arbeitsplätze mindestens sieben Jahre lang erhalten. Das Bundesverfassungsgericht hatte Bundestag und Bundesrat vor zwei Jahren aufgefordert, die vielen Ausnahmen für Firmenerben zu reduzieren und die Erbschaftsteuer insgesamt gerechter zu machen.

Der Kompromiss der großen Koalition sieht vor, dass Erben bis zu einem Firmenwert von 26 Millionen Euro auch künftig von der Erbschaftsteuer befreit sind, wenn sie den Betrieb zur Gänze fortführen. Ab 90 Millionen Euro soll der volle Steuersatz anfallen. Bei Erbschaften, die dazwischen liegen, kann der Erbe eine "Bedürfnisprüfung" beantragen: Das Finanzamt überprüft dann, ob er die Steuer aus seinem Privatvermögen leisten kann oder dies ihn überfordert. Der Erbe muss dazu seine Vermögensverhältnisse gegenüber dem Fiskus offenlegen. Zahlt er die Steuer anschließend aus seinem Privatvermögen, kann er die Steuerschuld zudem zehn Jahre lang zinslos stunden lassen.

Die Einigung schütze den Bestand vor allem von mittelständischen Unternehmen und garantiere die vorhandenen Arbeitsplätze in Deutschland, teilten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gemeinsam mit.

Der Kompromiss enthält allerdings so viele Ausnahmen von der Steuer, dass das Aufkommen an Erbschaftsteuer nur sehr moderat steigen dürfte. Schäuble kalkuliert mit zusätzlich 200 Millionen Euro jährlich. Bisher liegen die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer bei rund 5,5 Milliarden Euro. So sollen Investitionspläne von Familienunternehmern, in denen diese künftige Ausgaben planen, begünstigt werden. Es gibt Freibeträge für das Verwaltungsvermögen, zudem können Bargeldbestände, Altersvorsorge, verpachtete Grundstücke und Drittlandsbeteiligungen bei einer Holdinggesellschaft vermögensmindernd geltend gemacht werden. Erben kleiner Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern - das sind 70 Prozent der Betriebe in Deutschland - werden ganz ausgenommen.

Die Regierungsparteien freuten sich darüber, dass der Koalitionsstreit vorüber ist. Mehrere Anläufe, sich zu einigen, waren zuvor gescheitert. Schäuble sagte, nun sei "der Weg frei für den Abschluss des parlamentarischen Verfahrens noch vor der Sommerpause". Er plant, das Gesetz in dieser Woche im Bundestag und am 8. Juli im Bundesrat beschließen zu lassen. Es soll rückwirkend zum 1. Juli in Kraft treten. Damit würde zumindest die zeitlichen Vorgaben des Verfassungsgerichts erfüllt.

Ob die Reform auch die inhaltlichen Vorgabe des Verfassungsgerichts erfüllt, ist dagegen offen. Vertreter der Opposition und Ökonomen äußerten sich skeptisch. Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung kritisierte die Neuregelung als "sehr komplex und gestaltungsanfällig"; sie würde die Vorgaben der Richter "deutlich überstrapazieren". Kerstin Andreae, Vize-Fraktionschefin der Grünen, kündigte an, ihre Fraktion werde im Bundestag gegen das Gesetz stimmen.

Vertreter der Wirtschaft kritisierten dagegen, dass die Reform bei Erben von größeren Unternehmen zu einer höheren Steuerlast führe. Es drohe eine Abwanderung ins Ausland oder der Verkauf von Firmen, warnte die Stiftung Familienunternehmen.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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