Steueroase Liechtenstein:Angst im Paradies

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(Foto: dpa)

Im Eiltempo hat Liechtenstein versucht, von den schwarzen und grauen Listen der Steuerschurkenstaaten herunterzukommen. Haushaltslöcher, Defizite in den Sozialkassen und Politikverdrossenheit sind die Folgen. Nun will die neue Regierung die Geschwindigkeit der Reformen bremsen.

Von Uwe Ritzer

Kein Gruß, keine Höflichkeitsfloskel, Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein, 44, kommt sofort und unmissverständlich zur Sache. Das reiche Fürstentum muss radikal sparen, der Staatshaushalt ist aus den Fugen geraten. Knapp ein Viertel des Etats 2013 ist ungedeckt. "Ich sehe die Situation mit großer Sorge für das langfristige Wohl unseres Landes", sagt er und verlangt von den Politikern schnelles und hartes Durchgreifen. Andächtig lauschen die Parlamentarier dem Staatsoberhaupt. Es ist die erste Sitzung des neu gewählten Landtages. Danach werden die Abgeordneten den Erbprinzen für seine Thronrede loben. Alles andere wäre auch Majestätsbeleidigung.

Fünf Jahre und sechs Wochen sind vergangen, seit aus Sicht des reichsten europäischen Landes eine Krise begann, die jetzt erst voll durchschlägt. Im fernen Köln durchkämmten am 14. Februar 2008 Staatsanwälte und Steuerfahnder die Villa des Deutsche-Post-Chefs Klaus Zumwinkel. Er hatte Schwarzgeld in Liechtenstein gebunkert, wie Tausende Steuerhinterzieher aus vielen Ländern. Ein Mitarbeiter der Fürstenbank LGT verkaufte ihre Kundendaten an die jeweiligen Herkunftsländer. Seither macht die halbe Welt Jagd auf Steuerhinterzieher mit Geldverstecken in Liechtenstein. Mit der Folge, dass eine der lange Zeit beliebtesten Steueroasen langsam aber sicher austrocknet.

Anleger zogen seit 2008 zig Milliarden Euro ab und kehrten dem 36.000-Einwohner-Land im alpinen Rheintal den Rücken. Was aber für Liechtenstein noch schlimmer ist: Es kommen kaum neue Kunden nach, vor allem keine Deutschen. So geschieht derzeit, was sich bis 2008 kein Liechtensteiner vorstellen konnte.

"Stabilität des Landes" in Gefahr

Die Geschäfte am Finanzplatz laufen zum Teil miserabel. Die wegen ihrer Anlagen für amerikanische Steuerbetrüger gewaltig unter Druck der USA geratene Liechtensteiner Landesbank streicht fast jede vierte Stelle und schließt Filialen. All das schlägt auf die öffentlichen Kassen durch. Das Volk mit dem mit Abstand höchsten Pro-Kopf-Einkommen in Europa ist deshalb tief verunsichert. Kein Wunder, meint Landtags-Alterspräsident Albert Frick. "Es leben mindestens zwei Generationen im Land, die nichts anderes als ein Leben in relativer Sorglosigkeit und Wohlstand in einem Umfeld von stetem wirtschaftlichem Wachstum kennen."

Nun klafft allein in der staatlichen Pensionskasse ein Loch von 300 Millionen Euro, und der Erbprinz warnt in seiner Thronrede, "die Stabilität des Landes" sei in Gefahr. Die Löcher im Staatshaushalt über Kredite zu stopfen, wie in vielen Ländern üblich, komme nicht infrage. "Als Kleinstaat würden wir nur schwer Kredite erhalten, und sie wären wahrscheinlich im Vergleich zu großen Staaten mit großen Volkswirtschaften unverhältnismäßig teuer", sagt Alois von und zu Liechtenstein.

Druck kommt aber auch von außen. Diese Woche sickerte durch, dass die USA detailliert Auskunft über sämtliche Stiftungen amerikanischer Bürger in Liechtenstein verlangen. Die anonymen Stiftungen galten jahrzehntelang als ideale Schwarzgeldverstecke. Nun sitzen die wenig zimperlichen US-Behörden den Banken im Nacken, aber auch den Treuhändern, welche die Stiftungen für ihre Kunden einrichten und verwalten, sowie den Juristen, die ihnen dabei helfen. Es ist die nächste Hiobsbotschaft für den neuen Regierungschef Adrian Hasler.

"Weißgeldstrategie konsequent fortsetzen"

Der 49-jährige Betriebswirt war bisher Polizeichef des Landes. Selbst im größten Terminstress wirkt der sportliche Familienvater ruhig, sachlich und konzentriert. Unaufgeregt will er auch sein neues Amt ausüben. "Wir werden die Weißgeldstrategie konsequent fortsetzen", sagt Hasler der SZ, "eine Abkehr davon wäre fatal." Speziell mit Deutschland gebe es diesbezüglich auch "keinerlei Reibungspunkte mehr". Zumwinkel? Geschichte!

"Deutschland hat mit uns, anders als mit der Schweiz, sogar ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen", sagt Hasler. Nun brauche man noch eine Altfallregelung: eine irgendwie geartete Legalisierung jener unversteuerten Milliarden von deutschen Anlegern, die noch unentdeckt im Fürstentum schlummern. Hasler macht sich jedoch keine Illusionen darüber, dass Berlin nach dem Nein zur Abgeltungsteuer mit der Schweiz einer ähnlichen Lösung mit Liechtenstein in absehbarer Zeit zustimmen wird.

Als sich Adrian Hasler am Mittwoch erstmals in der Regierungslimousine mit Standarte und flankiert von einer Motorradeskorte vom Regierungsgebäude hinauf zum Fürstenschloss über Vaduz chauffieren lässt, um am Altar der Schlosskapelle vor dem Erbprinzen den Amtseid abzulegen, übernimmt er mit dem Regierungsposten auch einen Zwiespalt: Das Ausland drängt Liechtenstein, ein sauberer Finanzplatz zu werden. Im Land selbst erwarten aber viele vom neuen Regierungschef, dass er das Reformtempo bremst. Mindestens.

Das ist eine Botschaft der Parlamentswahl vom Februar im konsensverliebten Fürstentum. Die Bevölkerung strafte die bürgerlich-konservativen Regierungsparteien VU und FBP ab. Gemeinsam stellen sie noch 18 statt wie früher 24 der 25 Abgeordneten. Die neue, bürgerliche Protestpartei DU wurde mit vier Mandaten auf Anhieb drittstärkste politische Kraft.

Wie tief Frust und Unmut sitzen, zeigt auch eine Personalie. Im erzkatholischen Liechtenstein, wo Frauen erst seit 1984 wählen dürfen, sitzt in Gestalt des Mechanikers Herbert Elkuch neuerdings ein DU-Abgeordneter im Parlament, der sich nicht nur gerne wie eine Frau schminkt, sondern am liebsten auch Frauenkleider trägt.

Beide Regierungsparteien werden für Misere verantwortlich gemacht

"Die Unzufriedenheit mit den beiden großen Regierungsparteien ist groß, weil sie für die Misere verantwortlich gemacht werden", sagt der Liechtensteiner Politologe Wilfried Marxer. Haushaltsloch und Finanzkrise, Steuererhöhungen, Angst vor Wohlstandsverlust und dazu noch die einflussreichen Treuhänder, denen durch die Weißgeldstrategie ihr Schwarzgeld-Geschäftsmodell davonschwimmt - es kam vieles zusammen. "Vor allem der Stil und die Kommunikation der alten Regierung sorgten für Unbehagen", sagt Marxer.

Neue Pläne für den Finanzplatz

Zwar regieren FBP und VU auch weiter gemeinsam, wobei die VU allerdings nicht nur 14,1 Prozent der Stimmen verlor, sondern auch den Posten des Regierungschefs an den FBP-Mann Hasler. Der will nun einiges anders machen als sein VU-Vorgänger Klaus Tschütscher. Mit fürstlichem Segen schloss der im Eiltempo mit einem Land nach dem anderen Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Verfolgung von Steuerbetrügern. Das brachte Liechtenstein zwar runter von den schwarzen und grauen Listen der Steuerschurkenstaaten, höhlte aber auch das strikte Bankgeheimnis aus, die Basis des Finanzplatzes. Gegenüber den USA wurde es sogar ganz aufgegeben. Und nicht selten erfuhren die Akteure am Finanzplatz davon aus der Zeitung.

"Viele Entscheidungen waren von der Stoßrichtung zwar richtig", sagt Hasler, "aber anstatt mit der Tür ins Haus zu fallen und die Menschen vor vollendete Tatsachen zu stellen, will ich alle Betroffenen vor Entscheidungen einbinden." So geistern viele Gerüchte über ein Positionspapier durch Vaduz, in dem alle Finanzmarktakteure erstmals gemeinsam mit der Politik eine neue Finanzplatzstrategie formulieren. Die Inhalte sind noch geheim.

Schon fürchten Kritiker, die Politik könnte unter dem Eindruck des Wahlergebnisses und der Haushaltsmisere einknicken und die Zeit zurückdrehen. "Die Finanzlobby und vor allem die mächtigen Treuhänder spüren wieder Oberwasser", sagt ein Akteur in Vaduz, der nicht namentlich zitiert werden will.

Der neue Regierungschef als Bremser? "Nein", sagt Adrian Hasler, "aber wir sind nicht mehr unter dem Druck, dass wir für unsere Reputation schnell viele weitere Abkommen brauchen. Wir können jetzt überlegen, was für uns wichtig und relevant ist." Eine Abkehr von der Weißgeldstrategie werde es nicht geben, prophezeit auch Politologe Marxer. Aber das Reformtempo in Liechtenstein wird langsamer werden.

Und es gibt Tabus. Nach seiner Thronrede über striktes Sparen und nötige Kürzungen verlässt Alois von und zu Liechtenstein den Landtag. Im Hinausgehen fragt eine Reporterin, warum das Fürstenhaus eigentlich keine Steuern zahle. Der Spross der reichsten Monarchenfamilie Europas windet sich. Schließlich sei man ehrenamtlich Staatsoberhaupt, sagt er. Da können die Liechtensteiner aber dankbar sein.

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