Steuern und Familien:Irgendwie logisch, aber wenig gerecht

Steuern und Familien: Wie gerecht ist das deutsche Steuersystem für Familien?

Wie gerecht ist das deutsche Steuersystem für Familien?

(Foto: cliersch / photocase.com)

Kindergeld, Kinderfreibetrag und Ehegattensplitting - die steuerlichen Regelungen für Familien sind schwer zu durchschauen. Die meisten Maßnahmen sind in sich schlüssig. Doch mit Gerechtigkeit hat das nur bedingt zu tun.

Von Barbara Galaktionow

Der Bereich der staatlichen Leistungen für Familien und Kinder ist, gelinde gesagt, etwas unübersichtlich. 156 sind es im Moment. Mit dem Betreuungsgeld kommt vom 1. August an noch eine weitere hinzu. Familienministerin Kristina Schröder findet das in Ordnung und will nur noch an der einen oder anderen Stellschraube ein wenig nachziehen.

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"Wie gerecht ist das deutsche Steuersystem?" Diese Frage hat unsere Leser in der ersten Abstimmungsrunde unseres neuen Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Text ist einer von am Ende mehr als zwei dutzend Beiträgen, die die Fragen beantworten sollen. Alles zum Thema Steuergerechtigkeit finden Sie hier, alles zu Die Recherche finden Sie hier.

Änderungen plant die Union vor allem bei der Besteuerung von Familien. Kinderfreibetrag und Kindergeld sollen angehoben werden. Auch die SPD will das Kindergeld erhöhen, aber nur für Geringverdiener. CDU und CSU wollen das umstrittene Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting umbauen, die Oppositionsparteien plädieren für eine Abschaffung. Grüne und Linke werben für einen sehr viel radikaleren Umbau. Und die Liberalen wollen alles überprüfen.

Über all den Vorschlägen stehen zwei große Fragen: Zahlen Familien mit Kindern letztlich drauf? Und: Ist das gerecht?

Die Fragen sind nicht einfach zu beantworten. Das liegt auch an der vertrackten Idee der Gerechtigkeit selbst. Denn die ist mindestens so kompliziert wie das deutsche Steuerrecht. (Dazu ein Interview mit Philosoph Otfried Höffe ). Im deutschen Steuerrecht gilt grundsätzlich das Prinzip der Leistungsfähigkeit. Wer weniger leistungsfähig ist, zahlt weniger. Konkret äußert sich das in progressiv ansteigenden Steuertarifen.

Doch die Leistungsfähigkeit bemisst sich nicht allein an der Höhe des Einkommens. Auch Kinder werden hier zum Beispiel berücksichtigt - sie mindern die Leistungsfähigkeit ihrer Steuern zahlenden Eltern.

Die wichtigsten Steuerleistungen für Familien bestehen in der Kombination von Kindergeld und Kinderfreibetrag und im Ehegattensplitting. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Steuerregelungen, die speziell oder auch für Familien relevant sind, wie den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende oder eine Reihe schöner Vergünstigungen, die steuerlich geltend machen kann, wer sie sich denn überhaupt erst einmal leisten kann: etwa die Anrechnung von Kinderbetreuungskosten oder von Putzfrauendiensten.

Wie der Staat sein "Diebesgut" zurückgibt

40,8 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums an Kindergeld und Kinderfreibeträgen ausgezahlt. Das hört sich erst einmal gigantisch an. Doch die Leistungen sind keine reinen Geschenke des Staates. Nur bei 18,4 Milliarden Euro, also nicht einmal der Hälfte der Gesamtsumme, handelt es sich um eine echte Förderung.

Die übrigen 22,4 Milliarden Euro ergeben sich allein aus der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums, das für Kinder derzeit bei 7008 Euro pro Jahr liegt. "Kindergeld und Kinderfreibetrag sind eigentlich die Rückgabe von Diebesgut, weil Eltern monatlich zunächst so besteuert werden, als hätten sie gar keine Kinder", formuliert es Siegfried Stresing, Geschäftsführer des Deutschen Familienverbands, etwas drastisch.

Für alle Kinder wird zunächst einmal Kindergeld ausgezahlt, derzeit 184 Euro pro Monat für das erste und zweite Kind. Eltern mit hohem Einkommen erhalten aber effektiv mehr Geld für ihre Kinder als solche mit niedrigem - weil es den Kinderfreibetrag gibt. Der übersteigt das Kindergeld ab einem zu versteuernden Einkommen von etwa 35.000 Euro bei Alleinerziehenden oder 70.000 Euro bei Ehepaaren.

Ist das ungerecht? Stresing findet nicht: "Wer hohe Steuern zahlt, kann natürlich auch mehr zurückbekommen", sagt er. "Ein Einkommensmillionär bekommt keine Familienförderung, sondern eine Rückerstattung einbehaltener Steuern." Auch Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, sieht Familien mit weniger hohen Einkommen durch die Regelung nicht benachteiligt. "Wer weniger verdient, zahlt weniger Steuern und kann auch weniger zurückbekommen. Familien mit geringerem Einkommen profitieren dafür vom Kindergeld."

Was ist einer Gesellschaft wichtig?

Die zweite Säule der steuerlichen Ehe- und dadurch, wenn auch indirekt, Familienförderung ist das Ehegattensplitting. Dank ihm haben Verheiratete unter bestimmten Umständen eine geringere Steuerbelastung als Ledige. Den Staat kostet die Leistung der Regierung zufolge jährlich 20 Milliarden Euro.

Das Ehegattensplitting wurde Ende der Fünfzigerjahre gerade deshalb eingeführt, um eine steuerliche Benachteiligung zu beseitigen: nämlich die Verheirateter gegenüber Ledigen. Doch der gesellschaftliche Wandel, die steigende Zahl erwerbstätiger Frauen und die zunehmende Anzahl außerehelich geborener Kinder lassen es aus Sicht von Kritikern nicht mehr zeitgemäß erscheinen, weil Alleinverdiener-Ehen und Spitzenverdiener vom Ehegattensplitting am meisten profitieren. Und weil es nicht an das Vorhandensein von Kindern geknüpft ist.

Doch Steuerzahlerbund-Präsident Holznagel hält das Ehegattensplitting immer noch für eine gerechte Lösung. Den großen Vorteil sieht er darin, dass Ehepaare mit gleich hohem Einkommen gleich besteuert werden, unabhängig davon, wie viel der einzelne Ehepartner zum gemeinsamen Einkommen beiträgt. Zudem nehme, wer eine Ehe eingehe, ja auch bestimmte Rechte und Pflichten auf sich, die unabhängig davon seien, ob Kinder mit im Haushalt lebten oder nicht.

Auch das von der Union anvisierte Familiensplitting schafft die Probleme nicht aus der Welt. Zwar wird bei einem solchen Verfahren die Zahl der Kinder berücksichtigt. Profitieren würden davon jedoch nur wieder Paare mit besonders hohem Einkommen. "Da wäre die Frage der Gerechtigkeit dann tatsächlich zu stellen", sagt Familienverbands-Geschäftsführer Stresing.

Was das bestehende Steuersystem angeht, kommen beide - Stresing vom Familienverband und Holznagel vom Steuerzahlerbund - letztlich zu einem recht positiven Urteil. Es könne, was Familien angehe, noch an einigen Stellen optimiert werden, sei aber "im Großen und Ganzen in Ordnung", sagt Holznagel. Ähnlich äußert sich Stresing: "Im Steuerrecht sehen wir durchaus gute Ansätze einer gerechten und auch fördernden Politik."

Alternative Kindergrundsicherung

Das sehen allerdings nicht alle so. Vor allem das Problem der Kinderarmut hat in den vergangenen Jahren ein breites gesellschaftliches Bündnis von Wohlfahrts- und Kinderverbänden, Gewerkschaften und Wissenschaftlern auf den Plan gerufen, das sich für eine völlig andere Besteuerung von Familien einsetzt.

Das bestehende Steuerrecht sei innerhalb seiner eigenen Logik gerechtfertigt, sagt Barbara König, Geschäftsführerin des Zukunftsforums Familie (ZFF), eines von der Arbeiterwohlfahrt gegründeten familienpolitischen Fachverbands. Wenn man jedoch "vom Kind her denke", komme man zu einem völlig anderen Ergebnis. "Das Steuersystem ist extrem ungerecht, weil dadurch in Deutschland Kinder aus wohlhabenden Familien mehr Leistungen bekommen als arme Kinder", sagt König. Eigentlich müsse es doch andersherum sein. So entfallen auf Kinder gut verdienender Eltern statt den 184 Euro Kindergeld bis zu 280 Euro Kinderfreibetrag. Für Kinder, die Hartz-IV-Leistungen erhalten, wird faktisch überhaupt kein Kindergeld gezahlt, da das Kindergeld voll auf Hartz IV angerechnet wird.

Gemeinsam mit anderen Organisationen strebt das Zukunftsforum deshalb eine ganz neue Form der Familienförderung an. Danach soll jedes Kind eine Kindergrundsicherung erhalten. Die Leistung soll das bisherige System aus Kindergeld, Kinderfreibetrag, Ehegattensplitting und anderen Vergünstigungen komplett ersetzen. 536 Euro sollen den Familien jeden Monat pro Kind ausgezahlt und über die Eltern versteuert werden - mit dem Effekt, dass arme Familien die Kindergrundsicherung ohne Abzüge erhalten, diese bei steigendem Einkommen jedoch zunehmend reduziert würde.

In der breiten Öffentlichkeit ist das Konzept bislang wenig bekannt. Grüne und Linke haben die Forderung jedoch bereits in ihre Wahlprogramme aufgenommen. Der Haken an der Idee sind die Kosten. Nach Berechnungen des "Bündnisses Kindergrundsicherung" ergäben sich durch einen Systemwechsel Mehrkosten in Höhe von 17 Milliarden Euro jährlich. Geld, das nach Ansicht des Bündnisses jedoch sinnvoll angelegt wäre, da es helfe, Kinderarmut zu vermeiden.

Steuerwächter Reiner Holznagel betrachtet die Kindergrundsicherung dennoch mit Skepsis. Sie sei eine interessante Idee, sagt er, gibt jedoch zu bedenken: "Am Ende fragt sich: Wer soll das zahlen?" Er sei ein Fan von familienpolitischen Leistungen, doch sein kleiner Sohn habe schon jetzt einen "Schuldenberg abzubauen, der gigantisch ist". Bei der Schaffung neuer Leistungen müsse man auch die Generationengerechtigkeit im Auge behalten.

Auch hier zeigt sich, dass die Idee der Gerechtigkeit allenfalls ein Vehikel sein kann, um bestimmten Vorstellungen Nachdruck zu verleihen, zwingend ist sie angesichts konkurrierender Konzepte nicht. Wie eine Gesellschaft Familien steuerlich stellt, hat mit Gerechtigkeit nur bedingt zu tun. Hier geht es um die Frage, was einer Gesellschaft wichtig ist - und was sie bereit ist, dafür zu zahlen.

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