Steuern:Macht jetzt bloß keine Steuergeschenke!

FILE PHOTO: German Finance Minister Schaeuble addresses European Banking Congress in Frankfurt

Wohin mit den Steuermilliarden? Sollte Wolfgang Schäuble Finanzminister bleiben, wird er sich mit dieser Frage auseinandersetzen müssen.

(Foto: REUTERS)

Fast alle Parteien haben im Wahlkampf versprochen, Steuerzahler zu entlasten. Doch das wäre grundfalsch. Das Geld wird anderswo dringender benötigt.

Gastbeitrag von Sebastian Dullien

Die Stimmen der Bundestagswahl sind ausgezählt. Nun beginnen Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen. Ein Thema, das dabei ganz sicher auf der Agenda stehen wird, sind Steuersenkungen. Praktisch alle Parteien haben irgendwie geartete Entlastungen versprochen. In der öffentlichen Debatte wurde gefordert, die Einkommensteuer abzusenken, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen und zuletzt sogar, die Mehrwertsteuer herunterzusetzen.

Die Befürworter von Steuersenkungen verweisen gerne darauf, dass der deutsche Staat derzeit im historischen Vergleich ungewöhnlich viele Steuern einnimmt und außerdem Überschüsse im Staatshaushalt aufweist, die man selbst nach den strengen Regeln der Schuldenbremse für Steuergeschenke verwenden dürfe. Rosige Prognosen zeigten zudem auf, dass auf absehbare Zukunft die Staatseinnahmen weiter kräftig sprudeln werden. Doch die Argumente für kräftige Steuersenkungen sind deutlich schwächer, als es auf den ersten Blick erscheint. Zum Wohle Deutschlands sollte sich die neue Koalition mit größeren Steuerentlastungen zurückhalten.

Es stimmt zwar, dass heute die gesamtwirtschaftliche Steuer- und Abgabenquote ähnlich hoch ist wie zu früheren Höchstständen, etwa Mitte der 1970er-Jahre, Ende der 1980er-Jahre oder um das Jahr 2000. Auch weist das Finanzministerium derzeit für den deutschen Staatshaushalt "strukturelle Überschüsse" aus. Tatsächlich aber geht ein beträchtlicher Teil sowohl der Mehreinnahmen als auch der erhöhten Steuer- und Abgabenquote auf die gute Wirtschaftslage zurück. Solche Einnahmezuwächse hat Deutschland bisher in allen der jüngsten Aufschwungsphasen verbucht. Mit steigender Beschäftigung steigt die Zahl der Beitragszahler in die Sozialkassen. Überstunden führen zu höheren Einkommen und damit höheren Einkommensteuereinnahmen. Das füllt die Staatskassen.

Diesmal aber kommen noch Sonderfaktoren hinzu. Derzeit boomt der Wohnungsbau, und der Konsum legt spürbar zu. Die inländische Nachfrage hat zu einem Teil den Export als Wachstumstreiber abgelöst. Für Wohnungsbau aber wird - anders als auf Exporte - Mehrwertsteuer fällig. Auch führt der Immobilienboom zu steigenden Einnahmen aus der Grunderwerbssteuer. Allein von 2015 auf 2016 legten diese um mehr als zehn Prozent zu.

Sebastian Dullien

Sebastian Dullien ist VWL-Professor an der HTW Berlin und beim Think Tank "European Council on Foreign Relations", der sich mit Analysen zu Themen europäischer Außenpolitik beschäftigt, tätig.

Viele dieser Sonderfaktoren werden von der statistischen Ermittlung des "strukturellen" Überschusses im Staatshaushalt nicht richtig erfasst, sondern als dauerhafte Verbesserung der Staatsfinanzen gewertet. Kurz: Die Zahlen aus dem Finanzministerium zeichnen die Haushaltslage weit rosiger, als sie wirklich ist.

Wer zur falschen Zeit Steuern senkt, riskiert einen Abschwung

So erfreulich diese Entwicklungen sind, man kann sich nicht darauf verlassen, dass es so bleibt. Wer jetzt die Steuern senkt, riskiert, dass beim nächsten Abschwung das Geld fehlt. Da die Schuldenbremse gilt, müssten dann hektisch Ausgaben gekürzt oder Steuern erhöht werden - was gerade im Abschwung die Wirtschaft tiefer in die Krise treiben würde. Hinzu kommt, dass Deutschlands Wirtschaft derzeit konjunkturell keine Steuersenkung braucht. Die Konjunktur läuft rund, in einzelnen Sektoren wie dem Bau gibt es bereits Kapazitätsengpässe.

Mit den vorgeschlagenen Steuersenkungen dürften kaum Investitionen gefördert werden: Schon in den vergangenen 20 Jahren wirkten sich Steuersenkungen bei Weitem nicht so positiv auf die Investitionstätigkeit der deutschen Unternehmen aus, wie es die Reformbefürworter versprochen hatten.

Wie gefährlich übertriebene Steuersenkungen zum falschen Zeitpunkt sein können, hat Spanien vorgemacht. Als sich der Staat in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre - auch wegen des Baubooms - über hohe Steuereinnahmen freuen konnte, senkte die Regierung in Madrid mehrfach die Steuern und erhöhte die Gehälter im öffentlichen Dienst. Nach damaligen Schätzungen der EU-Kommission hatte das Land den Spielraum dazu, weil der Staatshaushalt vermeintlich "strukturelle" Überschüsse aufwies. Als 2008 die Immobilienkrise zuschlug und die Steuereinnahmen wegbrachen, fehlte das Geld, und Spanien sah sich mit Rekorddefiziten konfrontiert. Deutschland hat seine schlechten Erfahrungen mit den Steuersenkungen aus der Schröder-Zeit gemacht. Als der Staat 1999 und 2000 hohe Steuereinnahmen verbuchte und von den versteigerten Mobilfunklizenzen profitierte, wurden sowohl Einkommen- als auch Körperschaftsteuern massiv gesenkt.

Wie heute gab es Schätzungen, dass sich die Staatseinnahmen in den Folgejahren prächtig entwickeln würden. Und wie heute hatten zur vorangegangenen Bundestagswahl 1998 praktisch alle Parteien Steuersenkungen im Programm. Die Rechnung folgte auf den Fuß: Als die New-Economy-Blase platzte, brachen die Steuereinnahmen ein - 2002 und 2003 kürzte Deutschland die Staatsausgaben und kämpfte vergeblich darum, überhaupt noch die Drei-Prozent-Defizitgrenze des Stabilitätspaktes einzuhalten. Der Abschwung verschärfte sich.

Das alles heißt nicht, dass der Staat in diesen Zeiten nicht seine Investitionen erhöhen sollte. Öffentliche Investitionen, die heute getätigt werden, erhöhen das Produktionspotenzial der deutschen Wirtschaft. Wenn marode Autobahnen und Brücken repariert werden und Handwerker, Ingenieure und Schwertransporter dadurch weniger Zeit im Stau verlieren, steigt die Produktivität. Private Investitionen werden rentabler, und der Fachkräftemangel geht zurück. Das alles erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass der derzeitige Aufschwung länger ungestört weiterläuft, sondern erhöht auch die Staatseinnahmen in der Zukunft. In gängigen Schätzungen heißt es, dass der Staat heute getätigte Ausgaben für die drängendsten ausstehenden Investitionen über die kommenden Jahre nicht nur voll durch höhere Steuereinnahmen zurückbekommt, sondern obendrauf auch noch eine ordentliche Rendite einstreichen kann.

Investitionen heute verbessern damit die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in Deutschland, Steuersenkungen tun das nicht. Mit Blick auf die Zukunft und künftige Generationen sollte die neue Koalition bei Steuersenkungen deshalb sehr vorsichtig sein, bei den öffentlichen Investitionen aber bitte alles tun, was notwendig ist.

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