Steueraffäre Liechtenstein:Knaststunde mit dem Schlossverwalter

Liechtensteins Machtapparat hätte die Affäre um den Klau von Steuersünder-Daten am liebsten unter der Decke gehalten - nun werden immer neue Details bekannt.

Uwe Ritzer

Als Flug OG 269 in die Katastrophe schlittert, tobt ein schlimmes Unwetter über der thailändischen Ferieninsel Phuket. Die zweistrahlige McDonnell Douglas MD-82 setzt gerade auf der Landebahn auf, als heftige Sturmböen sie von der Piste drängen. Die Maschine zerschellt und fängt Feuer, 90 Fluggäste sterben.

Steueraffäre Liechtenstein: Schwerer Vorwurf: Zumindest ein Angeklagter vor dem Rostocker Landgericht hält die Liechtensteiner Landesbank für kriminell. In dem Prozess geht es um die Erpressung des Instituts.

Schwerer Vorwurf: Zumindest ein Angeklagter vor dem Rostocker Landgericht hält die Liechtensteiner Landesbank für kriminell. In dem Prozess geht es um die Erpressung des Instituts.

(Foto: Foto: AP)

Wenige Stunden später klingelt in Rostock ein Telefon. Ob denn der Michael auch unter den Opfern sei, erkundigt sich der besorgte Anrufer mit österreichischem Akzent bei einer Frau. Nein, es sei alles in Ordnung, antwortet sie. Michael, ihr Verwandter, habe nicht in der Maschine gesessen. Der Mann ist beruhigt und legt sofort wieder auf. Er hat von einem österreichischen Prepaid-Handy aus angerufen. Es ist der 16. September 2007.

Schmutziges Geld

Am 17. November 2007 wird besagter Michael am Flughafen in Hamburg verhaftet, als er in eine Maschine nach Phuket steigen will. Zollbeamte finden in seinem Koffer neun Briefumschläge, jeder gefüllt mit 50.000 Euro. Für die Staatsanwaltschaft Rostock ist es schmutziges Geld. Um 13 Millionen Euro sollen Michael Freitag und seine Komplizen die Liechtensteiner Landesbank (LLB) erpresst haben. Andernfalls würden sie Kontoauszüge und Belege von 1300 mutmaßlichen deutschen Steuersündern den Finanzbehörden übergeben. Die Daten hatte vier Jahre zuvor Roland Lampert gestohlen.

Heimlich hatte sie der LLB-Prokurist zwischen August 2000 und Februar 2003 an seinem Arbeitsplatz gesammelt, um seinerseits die Landesbank damit zu erpressen. Lampert wurde kurz darauf verhaftet und sitzt seit fünf Jahren im Gefängnis. Michael Freitag und zwei mutmaßliche Mittäter stehen momentan in Rostock vor Gericht.

Die spannendste Frage ist allerdings ungeklärt und liefert den Stoff für einen formidablen Krimi. Wie kamen die gestohlenen Kundendaten überhaupt von einem biederen Liechtensteiner Bankangestellten in die Hände Rostocker Schwerkrimineller? Die Spurensuche führt in ein österreichisches Gefängnis, ein Sonnenparadies in Thailand und sogar in das Fürstenhaus im diskreten Vaduz.

Ein Kloster als Gefängnis

Eine Villa, ein Pool, eine Motoryacht - Freitag ging es gut in Phuket. Viele Jahre hat er in Gefängnissen verbracht. Zwölf Banküberfälle, die Entführung eines Möbelhaus-Erben, Schüsse auf einen Polizisten und ein allerdings unbewiesener Mordverdacht hatten ihn dorthin gebracht. Nun genoss er in Thailand das sonnige Leben in vollen Zügen. Woher das nötige Geld kam, ist unklar. In Phuket gibt es eine kleine deutschsprachige Gemeinde von Dauerurlaubern, Aussteigern und Neureichen. Einer ihrer Treffpunkte ist eine Kneipe, die einem Österreicher gehört.

Auch ein Gast aus Liechtenstein soll dort während seiner Urlaube häufiger eingekehrt sein. Der Mann ist ein Verwandter Roland Lamperts. Ermittler sagen sogar, er sei "ein enger Vertrauter" des LLB-Datendiebes. Sie halten es zumindest für "möglich, dass hier die Schnittstelle zwischen Lampert und Freitag war". Nachweislich seien der Kneipengast aus Liechtenstein und Freitag mehrfach zur selben Zeit in Phuket gewesen. Und beide hätten in besagtem Lokal gezecht.

Eine zweite Spur führt nach Garsten, einen kleinen Ort im österreichischen Bezirk Steyr-Land. Dort hat man ein altes Kloster zum Gefängnis umgebaut, in dem auch verurteilte Straftäter aus Liechtenstein sitzen. Der benachbarte Zwergenstaat hat keinen eigenen Knast, sondern nur ein paar Zellen für Untersuchungshäftlinge. Auch Roland Lampert landet in Garsten, nachdem er Ende 2003 zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt wird.

Lesen Sie im zweiten Teil: Misteriöse Besuche im Gefängnis und geheimnisvolle Zurückhaltung im Liechtensteiner Fürstenhaus.

Knaststunde mit dem Schlossverwalter

Zu dieser Zeit sitzt dort auch Stefan Frisch (Name geändert), ein mehrfach vorbestrafter österreichischer Krimineller, von dem Ermittler sagen, er stünde Michael Freitag in nichts nach. "Zwischen Stefan F. und Lampert gab es nachweislich direkte Kontakte", sagt ein deutscher Fahnder. "Und es steht fest, dass Stefan F. und Freitag miteinander Kontakt hatten." Man vermutet, dass F. es war, der am Tag des Flugzeugunglückes von Phuket besorgt bei der Verwandten Freitags in Rostock anrief.

Fakt ist, dass Roland Lampert und Michael Freitag sich nie persönlich getroffen haben. Ist also Stefan F. das Bindeglied? Hat Lampert ihm in einer einsamen Knaststunde verraten, wo er Kopien der deutschen Kundendaten versteckt hat, deren Originale im Zuge seiner Verhaftung 2003 an die LLB zurückgingen? Hat F. Lampert gelockt mit dem Versprechen, er habe da ein paar deutsche Freunde, welche die Kontobelege zur fetten Beute für alle machen könnten? Die Justiz in Liechtenstein ist jedenfalls überzeugt davon, dass Lampert die Daten an deutsche Mittelsmänner weitergegeben hat, damit diese LLB-Kunden und die Bank selbst erpressen.

Mit einem Male war der ehemalige Bankangestellte für die Verantwortlichen in Liechtenstein ein Sicherheitsrisiko. Weitere Erpressungen würden das Vertrauen der Kunden in die Diskretion der LLB und des Finanzplatzes Liechtenstein schwer erschüttern. Ein Gericht in Vaduz verfügte, dass Lampert zeitweise in eine "Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher" eingesperrt wurde. Sein Anwalt holte ihn erst nach einigen Monaten wieder heraus.

Geheimniskrämerei im Kleinstaat

Die Umstände alldessen sind höchst mysteriös. Warum schickte die Landesbank einen Rechtsanwalt zu Lampert ins Gefängnis, um mit diesem über "eine außergerichtliche Einigung" zu verhandeln, wie es später hieß?

Unklar ist auch, warum das Liechtensteiner Fürstenhaus sich in den Fall einschaltete. Im März 2003 schrieb Lampert aus dem Gefängnis heraus einen "Brief mit erpresserischem Unterton", wie es in Vaduzer Gerichtsakten heißt, an die Monarchenfamilie des alpinen Zwergstaates. Daraufhin empfing Lampert in seiner Zelle einen allerhöchsten Gast: Mehrmals besuchte der fürstliche Schlossverwalter aus Vaduz den verurteilten Erpresser. Und zwar in ausdrücklichem Auftrag des Erbprinzen, der in Liechtenstein als Staatsoberhaupt fungiert. Was die beiden zu besprechen hatten, wird in Liechtenstein als Staatsgeheimnis gehütet.

Überhaupt ist in dem Kleinstaat die Geheimniskrämerei groß, wenn es um die LLB-Affäre geht. Das gilt auch für einen weiteren Prozess, der Lampert gemacht wurde. Und zwar weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Viel hätte nicht gefehlt, und Lampert wäre vorher sogar noch auf freien Fuß gekommen - er hat seine Haftstrafe für den LLB-Datenklau und die Erpressung seines Ex-Arbeitgebers verbüßt. Gerade noch rechtzeitig wurde er jedoch dafür angeklagt, dass er 2005 aus dem Knast heraus die LLB ein zweites Mal erpressen wollte und die geklauten Kundendaten an deutsche Erpresser weitergereicht hat.

Am 17. April 2008 verurteilte das Fürstliche Landgericht zu Vaduz Lampert zu weiteren sechs Jahren Gefängnis. Seit ein paar Tagen ist das Urteil rechtskräftig. Der Oberste Gerichtshof Liechtensteins wies am 7. November die Revision Lamperts gegen das Urteil letztinstanzlich zurück. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, versteht sich.

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