Steuer- und Sozialpolitik:Fair ist das nicht

BMW prüft Verkürzung der Werksferien

Es ist die arbeitende Mittelschicht, die Grund zum Weinen hätte: Arbeiter eines BMW-Werks beim Schichtwechsel

(Foto: picture alliance / dpa)

Der steuerpolitische Kardinalfehler von Schwarz-Gelb war die Begünstigung von Hoteliers. Bei Schwarz-Rot ist es der Verzicht auf die Senkung der Sozialabgaben und damit der Entlastung der Mittelschicht. Das wird sich rächen.

Ein Kommentar von Guido Bohsem

Wenn es bei einem Kindergeburtstag so zuginge, das Geschrei wäre groß. Man stelle sich vor: Zuerst erklärt man den Kindern, dass es das leckere Stück Kuchen jetzt gerade nicht geben kann, weil zunächst Oma und Opa dran sind. Und wenn kurz darauf der Eiswagen vorbeikommt, hören die Kleinen, eine kleine Kugel für jeden sei nun wirklich - leider, leider - viel zu teuer. Schließlich müsse das Auto in die Inspektion. Bittere Tränen wären wohl die mildeste Form des Protests.

Genau so geht es derzeit in der Steuer- und Sozialpolitik zu. Nur ist es die arbeitende Mittelschicht, die Grund zum Weinen hätte. Zunächst sagen Union und SPD die (eigentlich gesetzlich vorgeschriebene) Senkung der Rentenbeiträge ab, um den älteren Müttern und den angehenden Rentnern etwas Gutes zu tun. Dann verhindert dieselbe Koalition niedrigere Beiträge für die Krankenversicherung, indem sie den (eigentlich gesetzlich zugesicherten) Zuschuss an die Kassen zusammenstreicht; dies zu dem Zweck, den ausgeglichenen Haushalt zu schaffen. Und wenn es nun darum geht, die arbeitende Mittelschicht bei den Steuern zu entlasten, verkünden ebendiese schwarzen und roten Politiker mit Trauerblick, wie wichtig so ein Schritt für die arbeitende Mittelschicht wäre, dass dafür aber - leider, leider - das Geld fehle.

Die Koalition ignoriert die Leistungsträger der Mittelschicht

Fair ist diese Politik nicht. Insbesondere nicht für die Leistungsträger in der Mitte der Gesellschaft, die Facharbeiter, Ingenieure, Verwaltungsangestellten. Viele von ihnen blicken nun auf das Regierungsbündnis und seine Wohltaten und fragen: "Und was ist mit mir?" Sie tun das mit Fug und Recht, denn genau diese Arbeitnehmer haben unter dem enorm hohen Anstieg der Steuerkurve im unteren und mittleren Einkommensbereich zu leiden. Genau das sind die Leute, die gerade eben genug verdienen, um keine staatlichen Zuschüsse mehr bei der Finanzierung des Kita-Platzes zu erhalten oder deren Kinder gerade kein Bafög mehr kriegen, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Wahrscheinlich gibt es unter ihnen nur wenige, die ernsthaft mit großen Entlastungen rechnen. Wenn man ihnen nämlich vernünftig erklärt, wie wichtig es angesichts der europäischen Schuldenkrise ist, den Staatshaushalt auszugleichen, erntet man in der Regel wenig Widerspruch. Wenn man ihnen darlegt, dass mehr Geld in die Bildung oder in die Infrastruktur fließen muss, darf man sich der Zustimmung sicher sein, auch wenn das Zähneknirschen manchmal groß ist.

Sauer - und zwar zu Recht - werden diese Leute, wenn sie auch bei Kleinigkeiten immer und immer wieder vertröstet werden. Der steuerpolitische Kardinalfehler der schwarz-gelben Koalition war 2009 die Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers. Der Kardinalfehler dieser Koalition ist es, die Sozialabgaben nicht zu senken und damit auf die einfachste und gerechteste Entlastung der Mittelschicht zu verzichten. Das wird sich rächen, spätestens in vier Jahren bei der nächsten Wahl.

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