Steinbrück: Folgen der Krise:Keine Moral - Schaden für alle

Einfach "unglaublich": Die 2,9 Millionen Euro für HSH-Nordbankchef Nonnenmacher zeigen, was die Wirtschaft von Sitte und Moral hält - wenig.

Peer Steinbrück

Viele Menschen fragen sich inmitten der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 80 Jahren, ob es sich um einen Schicksalsschlag handelt oder ob es so etwas wie einen Sinn in der Krise geben kann. Diese Frage ist absolut verständlich. Sie zu beantworten bedeutet zu entscheiden, ob man die Globalisierung als Fügung begreift oder sie als von Menschenhand gemacht ansieht. Ich persönlich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass ungezähmte Marktkräfte unser Leben bestimmen. Deshalb setze ich mich mit ganzer Kraft dafür ein, nachhaltige Spielregeln durchzusetzen und mich um ihre Einhaltung zu kümmern, damit das irrsinnige Spiel mit den Milliarden nach der Krise nicht von vorne beginnt.

Peer Steinbrück, dpa

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück: "Ich persönlich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass ungezähmte Marktkräfte unser Leben bestimmen."

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Diese Aufgabe ist dringlicher denn je. Obwohl es in den USA keine einzige Investmentbank mehr gibt, wollen die ersten Finanzjongleure schon wieder neue Renditegipfel erstürmen. Das Gleiche in London: Dieselben Banken, die gestern noch Millimeter vor dem Abgrund standen, werden heute als Krisengewinner bezeichnet - und benehmen sich auch so.

Barclays etwa hat in den vergangenen Monaten 300 neue Investmentbanker eingekauft - zu großzügigsten Konditionen. Nur zur Erinnerung: Das ist jene Bank, die das US-Geschäft von Lehman Brothers fortführt, deren Crash aus der Finanzmarkt- eine Weltwirtschaftskrise machte. Und ausgerechnet der Chef der quasi verstaatlichten Royal Bank of Scotland soll einen zweistelligen Millionenbonus erhalten, wenn der Aktienkurs unter seiner Führung auf über 70 Pence steigt.

Auch in Deutschland mehren sich die Nachrichten, dass es mit Sitte und Moral im Wirtschaftsleben nach wie vor nicht weit her ist. Ich finde es unglaublich, dass etwa der Chef der HSH Nordbank, Dirk Jens Nonnenmacher, Bonus- und Altersvorsorgezahlungen von 2,9 Millionen Euro erhalten soll, obwohl es sein Institut ohne staatliche Hilfen in Milliardenhöhe gar nicht mehr gäbe. Ein weiteres Beispiel ist Georg Funke, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der HRE.

Angesichts solcher Entgleisungen stelle ich mir schon die Frage, ob wir es nicht auch in Deutschland mit der Deregulierung zu weit getrieben haben. Selbstkritisch gebe ich zu, dass auch meine Partei jahrelang im Deregulierungszug saß, wenn auch nie in der Lokomotive. Wir mussten dazulernen.

Aus Regellosigkeit wurde Zügellosigkeit

Ich nehme für mich und für uns aber in Anspruch, dass wir das auch getan haben, und zwar teilweise schon vor der Krise. Deregulierung stößt dort an ihre Grenzen, wo sie gegen fundamentale moralische Maßstäbe verstößt und damit den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet. Auf den Finanzmärkten wurde aus der Regellosigkeit schnell Zügellosigkeit, angefangen bei den Gehältern über Boni und Abfindungen bis hin zur Alterssicherung. Wer aber zulässt, dass die Marktwirtschaft als das Recht des Stärkeren, des Raffinierteren funktioniert, und wer ihr soziales Fundament als Klotz am Bein betrachtet, der begeht einen kapitalen Fehler.

Es liegt an uns, ob wir der Renaissance der Zügellosigkeit nur staunend zusehen, oder ob wir zu einer Wertegemeinschaft zusammenfinden aus Kirchen, Zivilgesellschaft, Politikern, Verbänden und Gewerkschaften, die in Verantwortung für alle Menschen handelt. Für mich ist es gerade in diesen Zeiten sehr ermutigend, dass sich die großen christlichen Kirchen vergangene Woche beinahe zeitgleich sehr eindeutig positioniert haben. So fordert uns Papst Benedikt XVI. in seiner Sozialenzyklika dazu auf, uns als Gestalter und nicht als Opfer der wirtschaftlichen Entwicklung zu sehen: "Die Krise verpflichtet uns, unseren Weg neu zu planen, uns neue Regeln zu geben und neue Einsatzformen zu finden, auf positive Erfahrungen zuzusteuern und die negativen zu verwerfen." Egoismus dürfe nicht "an sich gute Mittel in schadenbringende Mittel" verwandeln.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ermutigt in seinem "Wort zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise" all jene, die Konsequenzen aus dem Geschehen ziehen wollen: "Der Erfolg des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft hängt wesentlich von der moralischen Prägung und dem ethischen Verhalten der Verantwortungsträger ab." Und dann wird aus dem Gemeinsamen Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von 1997 zitiert. "Es ist eine kulturelle Aufgabe, dem Eigennutz eine gemeinwohlverträgliche Gestalt zu geben." Genau darum geht es.

Entfesselte Märkte sind kein Schicksal

Ich hoffe, dass mit den klaren Einlassungen der Kirchen in unserer Gesellschaft der Konsens darüber wächst, dass dieselbe Ideologie, die uns in die Krise geführt hat, uns nicht wieder aus der Krise herausführen kann. Entfesselte Märkte, in denen die Menschen, ihr sozialer Status und ihre Aufstiegschancen praktisch nach Marktwert bemessen werden, sind kein Schicksal, sondern gewollt oder ungewollt. Wir brauchen deshalb eine Wertgemeinschaft in unserem Land, die den Menschen und das Gemeinwohl ins Zentrum ihres Denkens und Handelns stellt und die die Herausforderungen optimistisch angeht: optimistisch, dass wir die Kraft zur Überwindung der Krise haben, und optimistisch, dass wir genau jetzt die Voraussetzungen schaffen können, dass sie sich niemals wiederholt.

Die ersten politischen Schritte sind getan. Aber der Kampf gegen die Kräfte der Restauration hat erst begonnen. Viele, die schon in der Vergangenheit glänzend verdient haben, wollen bereits wieder, dass sich der regulierende Staat zurückzieht, dass die Märkte das Zepter wieder übernehmen. Wer das für eine Verschwörungstheorie hält, muss nur genau hinhören auf Verbandstagen oder Sommerfesten der einschlägigen Lobbygruppen, Verbände und Parteien. Die soziale Marktwirtschaft ist aber viel mehr als ein ökonomisches Ordnungssystem, sie stellt an alle hohe moralische und soziale Ansprüche, die über lange Strecken zum Beispiel und vor allem von der deutschen Gewerkschaftsbewegung und einem verantwortlichen Unternehmertum lebendig gehalten wurden.

Die Kirchen haben das stets unterstützt - mit unterschiedlichen Akzenten, nicht immer ohne Konflikte, und auch mit Zersplitterungstendenzen, für die die sozialen Bewegungen in Deutschland ja berüchtigt sind. Wir haben nur einen Versuch, die Dinge auf den Finanzmärkten in Ordnung zu bringen und die Weltwirtschaftsordnung ein gutes Stück menschlicher zu machen. Deshalb müssen sich jetzt alle gesellschaftlichen Kräfte zu einem Bündnis gegen die Renaissance der Marktgläubigkeit zusammenschließen. Wenn das passiert, dann hätte diese Krise wirklich einen Sinn gehabt.

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