"Startup-Weekends":Unter Gründern

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Hundert Menschen, ein großer Traum und 48 Stunden Zeit: Bei einem Gründer-Wochenende suchen Unternehmer in spe ein tragfähiges Konzept - für die eigene Firma.

Felix Holtermann

"Ich Chef du nix", steht auf seinem T-Shirt. Der Betriebswirt grinst; nein, das sei natürlich nur ein Scherz, bisher gebe sein Abteilungsleiter die Richtung vor. Das passe ihm aber gar nicht, daher sei er hier. "Startup-Weekend", heißt der Kongress. In 48 Stunden ein Unternehmen gründen, ist die Aufgabe. Hundert Leute hat es an diesem herbstlichen Freitagabend in den Nürnberger Südwestpark verschlagen, einer Ansammlung von Bürogebäuden. Sie haben eins gemeinsam: Alle wollen ihr eigener Chef sein. Bis Sonntagabend soll die Firma stehen; die Uhr tickt.

"Wie nennen wir das Baby?" Einen Namen hat die Gruppe "Clara Wasser" schnell gefunden, nun feilt sie an Marketing- und Vertriebsplänen für das "lokale, soziale, sexy Wasser". Es geht um Leitungswasser mit Sprudel, die Hälfte des Ertrags soll in soziale Projekte fließen. (Foto: Foto: Heinz Breilmann)

Noch herrscht allerdings keine Hektik. Die Musik im Foyer ist ruhig, das Licht gedämpft, die hauptsächlich männlichen Teilnehmer trinken Bionade und sitzen in Sesseln namens Lümmel. Es ist halb acht, um sieben sollte es losgehen, aber so genau nimmt das hier keiner. Etwas unschlüssig am Eingang steht ein schlanker, weißhaariger Mann, nennen wir ihn Arno.

Es wird geduzt hier, macht der herbeieilende Mann vom Organisationsteam gleich klar: "Hallo, ich bin Markus! Du willst dich sicher noch anmelden." Arno, 44, aufgewachsen in Wien, lebt schon lange in Bayern. Der Diplom-Elektroingenieur arbeitet als Produktmanager für einen Technologiekonzern, will seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. "Dank eitler Vorgesetzter, denen Hierarchie wichtiger ist als Fachwissen, hab' ich mir Neujahr 2009 gesagt: Du machst das noch maximal zwei Jahre, dann ist Schluss!"

So wie Arno denken viele, aber Deutschland macht es seinen Gründungswilligen nicht leicht. Rund 400.000 Existenzgründungen gab es 2008 dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge, viel weniger als 2007, der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. Hauptproblem: Die Gründer seien oft nicht ausreichend auf die Selbständigkeit vorbereitet, in der Hälfte der Fälle fehle ein ausgefeilter Businessplan, heißt es. Viele Startups halten sich folglich nicht lange: Ein Drittel der Gründer gebe spätestens nach drei Jahren wieder auf, so das Ministerium. Andere wagen den Sprung in die Selbständigkeit erst gar nicht - trotz guter Geschäftsideen.

40 Euro für ein Wochenende

Das soll sich ändern, "Startup-Weekend" heißt das Zauberwort. Die Idee kommt aus den USA, dort finden pro Jahr mehr als 200 solcher Kongresse statt. Zwei deutsche Anläufe gab es in Hamburg - die dort gegründeten Unternehmen lösten sich jedoch bald wieder auf. Stefan Probst hat das Konzept nach Nürnberg geholt, und diesmal soll alles anders werden, verspricht er in seiner Begrüßungsrede. Der studierte Informatiker ist ein unaufgeregter, verbindlicher Typ, heute selbständiger Unternehmensberater und Vorsitzender der "Open Source Business Foundation" (OSBF), einem Netzwerk von Softwarefirmen, Risikokapitalgesellschaften und der Stadt Nürnberg.

40 Euro zahlen die Teilnehmer für das Wochenende - und versprechen sich ganz unterschiedliches. Arno sagt, er sei hergekommen, um Ideen auszutauschen. Aber in 48 Stunden ein Unternehmen gründen? Das sei ja wohl reichlich utopisch, meint er. Selbständig sein in absehbarer Zeit, ist sein Ziel. Andere kommen direkt von der Uni und haben schon komplette Geschäftsideen im Gepäck, die sie am Freitagabend präsentieren und in 48 Stunden zur Marktreife bringen wollen.

Schüchternheit schadet da nur, signalisiert jedenfalls der Mann, der nach Probst die Bühne übernimmt. Er stellt sich als Stephan "mit ph" vor, ist Mitglied des Organisationsteams und so etwas wie der Stimmungsmacher hier: "Ich finde es super geil, dass ihr alle da seid!", ruft er in den Saal. "Ihr habt krasse Möglichkeiten, wir geben nichts vor, jeder wird selbst aktiv. Jetzt sagt erst mal euren Vornamen und zwei Tags, dann will ich Ideen hören!" Unter "Tags" versteht Stephan Stichworte. Nur keine Zeit verlieren, Mikrofone werden verteilt. "Reik, Programmierer, Webingenieur", schallt es durch den Saal, "Benjamin, Student, Marketing", "Timo, Optimist, Medienphilosoph". "Ziemlich viele Internetleute hier", wundert sich Arno.

Die meisten Geschäftsideen setzen auf das Netz. Darunter sind exotische - eine Website etwa, die die Internetsperren am Arbeitsplatz aushebelt. Oder wie wäre es mit Wasserkochern, die E-Mails verschicken, sobald das Wasser kocht? Ein anderer möchte Computerspieler in die Natur bringen, indem die Spiele mittels neuer Handys einfach dort ausgetragen werden. Tobias schlägt "lokales, soziales, sexy Wasser" vor. Die Idee kommt aus New York, dort wird schlichtes Leitungswasser mit Kohlensäure abgefüllt, die Hälfte des Ertrags geht an soziale Projekte. Und Sebastian will ein Internetportal aufbauen, das Existenzgründer berät und Schritt für Schritt durch den Gründungsprozess führt. Nach der Ideenvorstellung wird abgestimmt, sieben Konzepte bleiben übrig. Die Gruppen, die am Samstagmorgen ihre Arbeit aufnehmen werden, sind vier bis 20 Leute stark.

Sebastian Engel sieht noch am ausgeschlafensten aus. Er promoviert an der nahen Universität Erlangen-Nürnberg in BWL, das Beratungsportal für Gründer war seine Idee. Sechs Leute haben sich angeschlossen, darunter Studenten, Informatiker, Betriebswirte. Auch Elektroingenieur Arno ist dabei und moderiert. Jeder solle seine Erwartungen formulieren, schlägt Sebastian vor. Arno will mehr über den Gründungsprozess lernen. "Momentan sind die Infos bei IHK, Verbänden, Ministerien verstreut. Wir könnten die Anlaufstelle werden, von Gründern für Gründer", meint er. "Nur, wo kommt das Geld her?" Kein Problem, meint Andreas, der einen Musikverlag betreibt: "Startups zahlen oft hunderte Euro Honorar an Unternehmensberater. Warum soll unser Service kostenlos sein?" Weil die Seite in den ersten Wochen ziemlich leer sein werde, dämpft Sebastian die Euphorie. "Wir haben noch kein konkretes Konzept, geschweige denn einen Businessplan."

Hochkonzentriert arbeitet auch das Wasserteam. 20 Leute feilen in Kleingruppen an Produktion, Vertrieb, Businessplan. Die Marketingcrew hat bereits die potentielle Zielgruppe ermittelt: "Soziale Yuppies, lifestyleorientierte Gutverdiener, die das Gefühl genießen, mit jeder Flasche Wasser die Welt zu retten." Man ist zuversichtlich. "Wenn wir am Sonntag nicht gründen, wer dann?", heißt es bald.

Gründergarten? Nicht seriös

Auch Weekend-Initiator Stefan Probst ist begeistert. "So ein Wochenende hat mir damals gefehlt, als ich selbst gegründet habe." Der Cheforganisator freut sich über die vielen Geschäftsideen: "Lieber zu viele Gruppen als zu wenige . Dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass eine überlebt." Um acht Uhr abends sollen die Teams von ihren Fortschritten berichten. Der große Saal ist voll, die Stimmung ausgelassen. "Mensch ist das geil hier!", ruft Stephan, der Stimmungsmacher. "Und wie ich höre, habt ihr heute schon was auf die Beine gestellt?" Einige johlen "Yes we can!"

"Wir haben stundenlang über den Namen diskutiert, statt einen Businessplan aufzustellen", gesteht Arno, "aber unser Baby muss ja irgendwie heißen." Erste Ideen waren Gründerzeit, -geist oder -hafen, aber die Internetadressen waren schon weg. Easy-Startup? Nicht verständlich. Gründergarten? Nicht seriös. Man einigt sich auf "Gründersprung", von "Den Sprung wagen", Homepage und erstes Logo stehen. Die Wassergruppe zeigt eine schicke Power-Point-Präsentation. "Alle Grundsatzfragen sind geklärt, wir kommen voran", steht dort. Danach versteigert Sprecher Tobias eine eilig abgefüllte Flasche namens "Clara Wasser", der Erlös geht an ein Sozialprojekt. Höchstgebot: Zehn Euro, Jubel im Saal. "Unsere Idee funktioniert", freut sich Tobias. Gut so, viel Zeit bleibe schließlich nicht mehr, sagt Probst. "Für die Nachteulen" schlafe einer vom Organisationsteam im Raum neben dem Eingang.

"Gründung am Sonntagabend, Durchstarten am Montagmorgen" - damit hatte das Startup-Weekend geworben. Am letzten Tag ist die Herbstsonne hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden, und auch die Stimmung bei "Clara Wasser" ist düster. Die Gruppe hat soeben ihr Konzept beerdigt. Knackpunkt war die Frage, wie die Flaschen eigentlich abgefüllt werden sollen. "Wir können Marketing, aber von der Getränkeindustrie haben wir doch keine Ahnung", gesteht einer. Die neue Idee: Gastronomen füllen ihr Wasser vor Ort in lizensierte "Clara"-Flaschen ab. Allerdings wollen nur noch sieben Leute in eine künftige Gesellschaft investieren, 50 bis 200 Euro. Tobias ärgert sich: "Warum soll ich den Geschäftsführer machen, wenn ihr fast nichts einbringen wollt? Dann kann ich auch meine eigene Firma gründen!"

Das ist das Stichwort für Joseph, der - dunkles Sakko und Pomade im Haar - bisher geschwiegen hat. Er sei "Business Angel", also Berater und Risikokapitalgeber für Startups - und wolle mit 4000 Euro einsteigen. "Ich sag's ganz offen: Ich ruf' Tobias an und wir ziehen das alleine durch. Schlimmstenfalls sperren wir in einer Woche wieder zu." Ein Doktorand widerspricht scharf: "Nein, schlimmstenfalls baut Tobias alles auf und hat dann nichts zu sagen, weil ein Fremder 75 Prozent der Anteile besitzt!" Joseph sei ein Wolf im Schafspelz.

Harmonie herrscht hingegen bei "Gründersprung". Seit 10 Uhr arbeitet die Gruppe am Businessplan. Ein Informatiker ist abgesprungen, dafür ist Betriebswirt Steffen hinzugestoßen. Die Wassergruppe hat ihn enttäuscht, er nennt sie "Trittbrettfahrer", weil die Idee nicht neu sei. Das überarbeitete "Gründersprung"-Konzept dagegen sei wirklich etwas Neues, sagt er. Herzstück des Projektes ist ein Fragebogen, den jeder potentielle Gründer ausfüllen soll.

Dann analysiert das Portal, wo im Gründungsprozess noch Hilfe nötig ist, vermittelt Ansprechpartner und eventuell Mitstreiter. "Das Konzept hat jetzt wirklich Potential", sagt Sebastian, der die Idee für das Internetportal hatte, und sich nun über die Fortschritte freut. Später könne man durch Mikrokredite sogar in die Startupfinanzierung einsteigen, schließlich kenne man die Gründer ja dann genau. "Wir müssen heute Pflöcke einschlagen, sonst verläuft schon unsere Grundidee im Sande", mahnt Arno.

"Geiles Wochenende"

Um 18.15 Uhr ruft Stefan Probst zur Schlusskonferenz. "Wir haben jetzt wirkliche Gründungsprozesse erlebt", bilanziert er, "mit allen Schwierigkeiten." Von sieben Gruppen wollen nur zwei gründen. Die anderen haben aufgegeben. Nervlich am Ende ist Tobias von der Wassergruppe. Mit rotem Kopf und nassgeschwitztem Hemd berichtet er: "Wir haben bis zur letzten Runde gekämpft. Ich bin kaputt. Heute gründen wir auf keinen Fall." Er hätte sich mehr Unterstützung gewünscht durch die Organisatoren, sagt er, professionelle Berater etwa "und mehr Frauen".

Denn Frauen sind an diesem Wochenende eindeutig in der Minderheit. Stephan gibt ein letztes Mal den Einheizer, lobt das "geile Wochenende" und tröstet die Gescheiterten. Applaus brandet auf. Viele sind blass. "Erschöpft, aber glücklich", fasst einer zusammen. Derweil knallen bei Sebastian und seinen sechs Mitstreitern von "Gründersprung" die Sektkorken. Sie wollen tatsächlich gründen. Betriebswirt Steffen übernimmt die Geschäftsführung, alle werden Teilhaber. Noch trägt die Begeisterung des Wochenendes, feierlich unterzeichnen sie den Vertrag.

14 Tage später jedoch haben drei bereits aufgegeben. Übrig bleibt der harte Kern, der offenbar gut zusammenarbeitet. Mittlerweile haben die Jungunternehmer das Hauptportal gestartet, auf einer Messe wollen sie nach Sponsoren suchen, Praktikanten einstellen und mazedonische Programmierer beauftragen. "Außerdem mieten wir ein Büro im Münchner Gründerzentrum und bestellen Flyer, Aufkleber und T-Shirts", so Steffen. Er sehe sich mehr als Mädchen für alles, denn als Geschäftsführer. Seine Freundin treffe er nur noch am Frühstückstisch. "Ich Chef du nix? Wohl eher: Ich Chef keine Zeit!"

© SZ vom 07.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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