Start-ups in Deutschland:Unterwegs

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Coole Ideen? Kommen von Start-ups aus dem Silicon Valley. Ach was: In Deutschland gibt es um die 6000 Gründer, die die Wirtschaft verändern können, und das nicht nur in Berlin. Eine Bustour mit jungen Unternehmern.

Von Elisabeth Dostert, München

Noch ehe der Bus losfährt, reckt Gueven Oektem sein Smartphone in die Höhe. "Wir tracken auch den Bus", ruft der 33-jährige. Der Bus ist fortan ein blinkender Punkt auf der Straßenkarte, die auf dem Bildschirm erscheint. Oetkem ist Gründer wie fast alle Reisenden im Bus, ein knappes Dutzend sind es. Das Geschäft von Oektem ist die Ortung von Fahrzeugen und die Routenplanung. Seine Firma heißt Fleetize. "Wir digitalisieren den Fuhrpark von Firmen", sagt er.

Oektem holt eine schwarze Box aus dickem Kunststoff. Er öffnet sie behutsam und holt einen Stecker heraus, etwa so groß wie zwei übereinander gestapelte Streichholzschachteln. Auf dem schwarzen Gehäuse klebt das blaue Logo von Fleetize. Der Stecker, ausgestattet mit einem GPS-Empfänger und einer SIM-Karte, kommt in den Diagnoseanschluss des Fahrzeugs, den auch die Werkstätten nutzen.

Zur dieser Fahrt hat die Regionalgruppe Baden-Württemberg des Bundesverbandes Deutsche Startups eingeladen. Es ist eine Reise ins Neuland, sie führt von Stuttgart aus zu Gründern in Karlsruhe, Frankfurt und Berlin. "#bawü kommt" steht in dicken gelben Buchstaben auf dem schwarzen Bus. Es ist auch eine Fahrt in die Zukunft eines Landes, das seine Wirtschaftskraft guten Ideen verdankt. Jetzt brauchte es viele neue, die so kraftvoll sind, das sie Märkte verändern, alte Geschäftsmodelle zerstören. In Deutschland gibt es rund 6000 Gründer, die diese disruptive Kraft besitzen, sagt Sascha Schubert, Seriengründern und stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Startups (BVDS) in Berlin. Die Hauptstadt gilt als Hochburg für Gründer. Um Kampf um kreative Mitarbeiter haben Gründer in Berlin gute Chancen. Jobs in der Industrie seien rar, sagt Schubert, anders als beispielsweise im Süden Deutschlands, wo Konzerne junge Menschen locken.

Oektem klappt seinen Rechner auf. Auf dem Bildschirm wird die Zahl der Fahrzeuge angezeigt, die gerade unterwegs sind, und zwei Spalten. Eine leuchtet Rot, das sind die Fahrzeuge, die gerade ein Problem haben oder in der Werkstatt sind. Die zweite Kolonne blinkt grün, diese Fahrzeuge sind unterwegs. Oektem tippt auf eines der Kennzeichen, die Landkarte erscheint. Er kann jetzt sehen, ob das Fahrzeug fährt, wie schnell es fährt. "Hier hat es eine halbe Stunde mit laufendem Motor gestanden", erklärt Oektem. Die App sammele maßgeblichen Kennzahlen: den Kilometerstand, den Kraftstoffverbrauch, die Pausenzeiten und die Leerzeiten. "Der Fuhrpark steuert maßgeblich zur Profitabilität einer Firma bei, aber die meisten Firmen fliegen im Blindflug", sagt Oektem. Seine App soll helfen, die Routen besser zu planen und damit Fahrzeuge effizienter einzusetzen.

Selbst Berliner Startups, die stolz auf bunte Belegschaften und flache Hierarchien sind, speisen Migranten oft mit niedrigeren Löhnen ab. (Foto: Thomas Peter/Reuters)

"Ich wollte eigentlich gar nicht gründen", sagt Oetkem. Er wollte Pilot bei der Bundeswehr werden, aber dafür war er zu klein. Im Zivildienst hat er dann eine Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht und dann eine Ausbildung zum Fachinformatiker. Fleetize hat Oektem 2014 gegründet. Den Namen hat ein Online-Wortgenerator ausgespuckt, die Silbe Fleet, englisch für Flotte, hatte Oektem vorgegeben. Das erste Produkt kam 2016 auf den Markt. Er hat mittlerweile mehrere Dutzend Kunden mit kleinen und großen Flotten, Handwerker, Logistik- und Bauunternehmen, auch Bagger lassen sich mit dem Stecker orten.

Fleetize vermarktet seine Dienste als Abo, 15 bis 30 Euro je nach Umfang der Dienstleistung. "Wir wachsen gerade rasant", sagt Oetkem. Eigentlich will er kein fremdes Geld, aber er denkt über einen Investor nach. Fleetize könnte dann schneller wachsen. "Ich wache jeden Morgen auf und habe zehn Ideen. Die müssen raus."

"Den wenigsten Gründern geht es ums Geld", sagt Jens Schmelzle. "Es macht mich glücklich, etwas zu erschaffen." Dem US-Investor Elon Musk (Paypal, Tesla, Space X) gehe es auch nicht ums Geld, sonst hätte er sich nach dem Verkauf seiner ersten Firma zur Ruhe gesetzt. Schmelzle hat an der Hochschule der Medien in Stuttgart-Vaihingen studiert. Gemeinsam mit Adrian Thoma und Kai Blisch hat er 2008 die Medienagentur Maria gegründet, 2012 firmierte sie in Simpleshow um, so hieß schon das Produkt. Eigentlich wollten Schmelzle und Thoma mit ihrer Band Rockstars werden. "Die Firma haben wir gemacht, um unser eigenes Label zu finanzieren." Schmelzle und ein paar Kumpel hatten die Idee für die Bustour.

Simpleshow macht Erklärvideos. In den kleinen Filmen schieben Hände Schwarz-Weiß-Zeichnungen hin und her. Eine Stimme erklärt dazu auf einfache Weise Software, die Finanzkrise oder auch mal den Weltuntergang. Etwa 10 000 Clips hat Simpleshow in den vergangenen Jahren gedreht. Die Bibliothek besteht aus mehr rund 45 000 Scribbles. "Keine Firma macht mehr Erklärvideos als wir und in so vielen Sprachen", sagt Schmelzle.

Mit 150 Mitarbeitern an elf Standorten weltweit macht die Firma mittlerweile 15 Millionen Euro Umsatz. "Wir haben von Anfang an Gewinn gemacht." Fünf Jahre ist Simpleshow ausschließlich organisch gewachsen, dann haben die drei Gründer einen Risikokapitalgeber ins Boot geholt. Seit 2013 gehört deutlich mehr als die Hälfte drei Investoren aus Asien und Europa. Der Gründerbus parkt in einer engen Straße in Frankfurt. In einer Nebenstraße sitzt das Fintech Clark; es will den Markt der Versicherungsmakler revolutionieren. Die Revolution ist das Lieblingswort von Gründern wie Clark. Es klingt laut und bis zur Überheblichkeit unerschrocken. Erst vor ein paar Wochen hat Clark gut 13 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt. Die Firma analysiert auf Basis eines Algorithmus die Versicherungen der Nutzer und schlägt preiswertere Alternativen vor. Das Fintech sitzt in einem alten Bürohaus im Stadtzentrum. Die Büromöbel und der Teppichboden wirken abgenutzt, es riecht nach Old Economy. Aber, was die rund zwei Dutzend Mitarbeiter an den Bildschirmen tun, ist jung und digital. In Frankfurt sitzen besonders viele Start-ups, die Finanzdienstleistungen entwickeln.

Weitere Artikel aus der SZ-Serie Gipfelstürmer finden Sie hier. (Foto: SZ-Grafik)

Im Ausgehviertel an der Berger Straße hat die Deutsche Börse ihren Start-up-Hub, ihr Zentrum für Gründer. In dem Ziegelbau saß früher ein Pharmaunternehmen. Aber daran erinnert nichts mehr. Das Gebäude ist komplett saniert. Die hellen Holzmöbel hat ein Schreiner aus dem Viertel gefertigt, von der großzügige Dachterrasse sind die Bankentürme Frankfurts gut zu sehen. In der offene Küche gibt es später für alle Gründer Pizza auf die Hand.

"Powerpoint-Präsentationen gehen zurück, Live-Gespräche und Vorführen zählen mehr."

Ein paar Hundert Meter weiter im 30. Stock des "Silberturm" suchen seit wenigen Jahren im "Skydeck" der Deutschen Bahn junge Menschen nach digitalen Lösungen für das Transportunternehmen. Auf dieser Etage saß früher der Vorstand des untergegangenen Kreditinstituts Dresdner Bank zusammen: glänzende Holzdecken, ein kreisrund verlegtes Fischgrätenparkett, ein Teil des Raumes lässt sich immer noch abhörsicher abschotten. Gegen die Vergangenheit sollen bunte Sitzwürfel und helle Büromöbel helfen und sogenannte Whiteboards. Große weißen Tafeln, dicke Filzstifte und selbstklebende gelbe Zettel scheinen einige der wichtigsten Utensilien für Gründerräume.

"Powerpoint-Präsentationen gehen zurück, Live-Gespräche und Vorführen zählen mehr", sagt Veaceslav Driglov, er arbeitet in Berlin im Betahaus im Peninsula-Team des Autokonzerns Daimler. Dort gleich neben der Mercedes-Benz-Niederlassung, dort wo Autos verkauft werden, suchen sie nach Zukunft. Driglov reicht eine Pressemappe über den Vision Van herum. Das Dach des Lieferwagen kann als Landeplatz für Drohnen dienen. In Berlin arbeiten sie an Projekten zur Vernetzung, Mobilitätslösungen und neuen Geschäftsmodellen. Für Autonomes Fahren und E-Autors sind andere Teams im Konzern zuständig.

Driglov genießt es, zeitgleich in zwei Welten zu leben: der Konzernwelt und der Start-up-Welt - Regeltreue auf der einen Seite und kreatives Chaos auf der anderen. Im Betahaus sitzen nicht nur Mitarbeiter von Daimler, sondern auch andere Gründer. Sie tauschen sich aus. Die meisten Türen stehen offen. Im Erdgeschoss gibt es ein Café. Driglov hat einen Vertrag für zwei Jahre. Aber Laufzeiten interessieren ihn nicht sonderlich. "Wenn ich den Eindruck bekäme, dass die Leute in der Firma nicht an unserer Arbeit interessiert sind, würde ich meine Tasse nehmen und gehen", sagt Driglov. Danach sieht es nicht aus.

Driglov, 37, ist Seriengründer, er stammt aus Moldawien und hat lange in den USA gelebt. Er habe noch viele Ideen. In seiner Freizeit arbeitet er schon am nächsten eigenen Start-up. Über die Plattform Mybetterworld sollen sich "gute Menschen, die gute Dinge tun" vernetzen.

Simpleshow-Gründer Schmelzle und Kai Blisch wollen sich Ende des Jahres aus der operativen Führung ihrer Firma zurückziehen, Adrian Thoma ist schon eine Weile weg. Schmelzle wechselt in den Verwaltungsrat. "Man darf nicht auf den richtigen Zeitpunkt warten, man muss den richtigen Zeitpunkt definieren", sagt Schmelzle, "ich habe den Drang, etwas anderes zu machen, wieder mit Adrian und Kai".

Ein paar andere Dinge machen sie schon gemeinsam in Stuttgart: die Bierbar Kraftpaule und den Start-up-Campus in Stuttgart. Und Schmelze will sich weiter als Freiwilliger für die Stiftung von Simpleshow kümmern. Die macht Erklärvideos, zum Beispiel wie Verhütung funktioniert oder über die Folgen von Alkoholkonsum. Schmelzle: "Das macht einen Sinn, es fühlt sich nicht wie Arbeit an."

© SZ vom 28.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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