Start-ups:Der Nächste, bitte

Start-ups: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Wenn der Plan zündet, kann aus einer Garagenfirma schnell ein Weltkonzern werden. Das Internet wirkt dabei wie ein Katalysator. Die großen Erfolgsstorys kommen bisher aus den USA, doch das ändert sich gerade.

Von Helmut Martin-Jung

Sie werden gerne erzählt, diese Geschichten. Wie Amazon-Mitarbeiter anfangs Bücher oft einfach in gewöhnlichen Buchläden kauften, um sie dann an ihre Online-Kunden zu versenden. Oder wie der junge Bill Gates mit so gut wie nichts in der Hand die Bosse von IBM gewaltig nasführte. Wie die Erfinder von Google verzweifelt nach einer Möglichkeit suchten, mit der sie ihre technologisch weit überlegene Internet-Suchmaschine auch langfristig würden finanzieren können. Was aus diesen Gründern und ihren Firmen geworden ist, muss man niemanden erzählen. Im Rückblick machen sich die Geschichten gut. Sie verbrämen die Vergangenheit. Der Erfolg ist kein Märchen. Dahinter stecken brillante Ideen, die mit Verve und Konsequenz verfolgt werden und manchmal mit Entbehrungen, zumindest in den Anfangsjahren.

Wie konnten Amazon, Microsoft und Google binnen so kurzer Zeit zu Weltfirmen werden? Die Antwort ist ziemlich einfach. Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, ihre Chefs hatten eine Vorstellung davon, was sie erreichen wollten. Vor allem aber: Ihre Ideen ließen sich skalieren. So gab es etwa immer mehr Computer, die ein Betriebssystem und andere Software brauchten, sodass Microsoft zu einem Giganten heranwachsen konnte. Im rasch expandierenden Internet war Orientierung unverzichtbar, gut 1,25 Milliarden Menschen pro Monat nutzen heute Googles Dienste, obwohl sie dafür mit ihren Daten bezahlen. Und Amazon-Gründer Jeff Bezos lag richtig damit, dass der Online-Handel sich nicht nur für Bücher eignet. Mittlerweile kann man dort so gut wie alles kaufen, sogar Lebensmittel.

Genau das ist es, was die digitalen Gründer von anderen jungen Unternehmen wie dem neuen Bäcker oder dem jungen hippen Friseur unterscheidet. Ihre Idee ist völlig neu, so eine Firma gab es noch nicht, und sie kann und muss schnell wachsen. "Get big fast" - schnell groß werden, das war die Strategie von Amazon-Gründer Jeff Bezos. Das war auch nötig, denn eine der Schattenseiten der neuen Welt ist: Ideen lassen sich leichter nachahmen denn je. Wer nicht schnell genug wächst, läuft Gefahr, von Konkurrenten überrannt oder geschluckt zu werden.

Dass die Idee nicht immer alles ist, liegt vor allem daran, dass die meisten Start-up-Unternehmen, die heute gegründet werden, ohne das Internet und schnelle Rechner nicht möglich wären. Zwar mögen ihre Dienstleistungen am Ende ganz herkömmlich wirken, zum Beispiel Malerarbeiten oder Taxifahrten. Doch die Art, wie diese vermittelt werden, ist neu. Unternehmen wie Uber besitzen keine Autos, und AirBnB baut keine Hotels, es betreibt sie noch nicht mal. Diese Start-ups sind reine Online-Plattformen, sie vermitteln Produkte, die anderen gehören, und Dienste, die andere erbringen, häufig sogar die Alten. Der Lieferdienst Foodora besitzt kein Restaurant, die Schweinshaxe kommt immer noch aus dem Wirtshaus an der Ecke.

Ideen lassen sich im Zeitalter des Internets leichter kopieren denn je

Weil die physische Basis ihres Geschäfts schon vorhanden ist, können die Plattformen so schnell wachsen. Mit Hilfe leistungsfähiger Computer können sie 10 000 Aufträge binnen kürzester Zeit erledigen. Doch solche Ideen lassen sich eben auch leicht kopieren. Eine gewisse Größe ist wichtig, aber sie ist nicht alles. Auch das zeigen die Start-ups immer wieder: Kleine Unternehmen, die ihre Ideen gekonnt umsetzen, können Konzerne oder Branchen ins Wanken bringen, wenn die ihre verkrusteten Strukturen nicht abbauen und eher an interne Abläufe als an ihre Kunden denken. Das erleben gerade die alten Autokonzerne.

Schon immer gingen Unternehmen, auch große, unter, weil andere eine bessere Idee hatten. Und meist auch deshalb, weil die Etablierten in ihrem alten Denken gefangen waren. Sie waren und sind damit beschäftigt, das im Moment noch gut laufende Geschäft zu bewältigen. Sie sahen das Neue nicht kommen oder schätzten es falsch ein. Der Ökonom Joseph Schumpeter hat das schon 1942 mit seinem berühmten Begriff der "schöpferischen Zerstörung" beschrieben. Doch im Zeitalter des Internets und der rasend schnellen Entwicklung der Computerchips geht diese Zerstörung sehr viel schneller vor sich als früher. Der finnische Handyhersteller Nokia etwa hatte sich zum Herrscher über den Mobilfunkmarkt emporgearbeitet. Und wurde binnen weniger Jahre von einem Neuling namens Apple überrannt, der mit einem fast ausschließlich über den Bildschirm gesteuerten Handy eine Revolution lostrat. Das ist gerade mal zehn Jahre her.

Diese Revolution kam aus dem Silicon Valley. Zwar hatte sich Apple als Anbieter von Musikabspielgeräten längst einen Namen gemacht. Doch die Firma litt. Erst mit dem Wiedereinstieg des geschassten Gründers Steve Jobs kehrte auch der Gründergeist zu Apple zurück. Neue Produkte sind wichtig. Aber nichts läuft ohne Menschen mit der richtigen Mischung aus Vision, Leidenschaft und Sinn für das Machbare.

Bei Start-ups denken die meisten immer noch fast automatisch an die Region um San Francisco, wo Wagemut und Wagniskapital gleichermaßen im Überfluss vorhanden sind. Dort kommen Menschen mit einer vielversprechenden Idee sehr viel leichter an Geld als etwa in Europa. Im Valley darf man auch scheitern. In Deutschland gilt ein Fehlschlag immer noch als schwerer Makel in der Biografie.

Doch all das ändert sich. Knapp die Hälfte aller deutschen Gründer sind Wiederholungstäter, haben also bereits ein oder mehrere andere Start-ups gegründet - und nicht alle haben überlebt. Dies geht aus dem deutschen Start-up-Monitor 2016 hervor, einer jährlichen Studie des Bundesverbandes Deutsche Start-ups. Mehr und mehr Menschen wagen inzwischen den Schritt, verlassen etwa die Universität, kündigen ihre sicheren Jobs, um sich ganz ihrer Idee widmen zu können. Und mittlere und große Unternehmen gründen zunehmend interne Start-ups oder fördern externe. In Berlin, aber auch in Hamburg, in München und anderen deutschen Regionen gibt es eine rege Gründerszene. Die Städte, aber auch die Länder fördern die jungen Unternehmen, vermieten Räume günstig, gewähren Kredite und vermitteln Kontakte.

Die öffentliche Hand könnte aber durchaus noch besser darin werden, diese dynamischen Unternehmen zu unterstützen. Der Abbau von regulatorischen und bürokratischen Hürden steht denn auch ganz oben auf der Wunschliste deutscher Start-ups. Das ist den Gründern sogar wichtiger als Steuervergünstigungen. Sie bemängeln außerdem, dass sie zu wenig Hilfe dabei bekommen, Kapital etwa bei Kreditinstituten zu beschaffen, und dass es in Deutschland noch immer schwerer ist als in den USA, an Risikokapital zu kommen, also an das Geld von Investoren. Überhaupt: Viel Verständnis für die Belange von Start-ups gebe es nicht. Genug zu tun also für die Politik. Schade eigentlich, dass es kein Parteien-Start-up in Deutschland gibt, das das Zeug dazu hätte, zur Partei der Digitalisierung zu werden.

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