Start-up:Schneller scannen

Start-up: Strichcodes mit nur einem Handgriff erfassen: Der smarte Handschuh aus München macht es möglich.

Strichcodes mit nur einem Handgriff erfassen: Der smarte Handschuh aus München macht es möglich.

(Foto: oh)

In der Auto-Industrie ist jede gewonnene Arbeitssekunde wertvoll. Ein Münchner Start-up will die Arbeitsprozesse beschleunigen: mit einem intelligenten Handschuh.

Von Katharina Kutsche

Straff sitzt er, der dünne graue Handschuh mit den schwarzen Fingern und Handflächen. Auf den Handrücken ist eine orangefarbene Halterung montiert, in die Thomas Kirchner nun einen Scanner steckt. Insgesamt hat der Arbeitshandschuh nicht viel Gewicht, doch gewöhnungsbedürftig ist der Umgang damit schon. Einhändig bedienbar soll er nämlich sein: Der Daumen löst per Knopf an der Außenseite des Zeigefingers den Scanner aus, dann muss man die Finger nach unten einrollen und mit abgewinkeltem Handrücken die kleine Kamera auf den Barcode richten, den Kirchner zum Testen auf den Tisch gelegt hat. Ist es der richtige Code, blinkt der Scanner blau und piept zustimmend. Ist es der falsche, blinkt er rot und gibt einen Warnton ab.

Pro-Glove, so heißt das Produkt, das Kirchner, 30, und sein Kompagnon Paul Günther, 33, entwickelt haben. Der smarte Handschuh ist für Arbeiter gebaut, die bei ihrer Tätigkeit Barcodes erfassen müssen. Für die Industrie bedeutet ein schnelleres Scannen eine Ersparnis von bis zu vier Sekunden pro Arbeitsschritt. Und diese Sekunden sind wertvoll, etwa in der Automobil-Produktion bei BMW: Rund tausend Scans sind pro Auto erforderlich, etwa tausend Autos bauen die Mitarbeiter pro Tag zusammen. Seitdem BMW vor mehreren Monaten den Pro-Glove einsetzte, spart das Unternehmen hochgerechnet mehrere Stunden tägliche Arbeitszeit ein.

Den intelligenten Handschuh entwickelten Kirchner und Günther 2014 für einen Wettbewerb im Silicon Valley für Wearables, am Körper tragbare Computersysteme. "Wir haben uns gesagt, noch einen Fitnesstracker braucht die Welt nicht", sagt Kirchner. Die beiden, die sich bei einem Gründerevent an der Technischen Universität München kennengelernt hatten, suchten nach Ideen für die Industrie. Günther hatte neben seinem Studium Besuchergruppen durch das Münchner BMW-Werk geführt und kannte daher viele Arbeitsschritte beim Autobau. Den Gründern fiel auf: Arbeitshandschuhe tragen im Werk alle - warum also nicht den Handschuh intelligent machen?

In der Autoindustrie zählt jede eingesparte Sekunde Arbeitszeit

Mit ihrem Prototypen, einem auf einen Handschuh geklebten iPod, belegten Kirchner und Günther den dritten Platz im Wettbewerb. Mit dem Preisgeld finanzierten sie ihr Start-up Workaround und begannen im Januar 2015 mit dem Bau von Funktionsprototypen. Je bekannter das Produkt wurde, desto mehr Automobilhersteller meldeten Interesse an. "Automotive ist am spannendsten und interessantesten - da ist die gewonnene Sekunde am teuersten", sagt Kirchner. BMW unterstützte die Entwicklung von Pro-Glove, die Gründer konnten ihr Produkt im BMW-Dynamikzentrum in Dingolfing testen und verbessern und bekamen direktes Feedback von den Nutzern.

Das sind etwa Arbeiter, die am Fließband Autos zusammenbauen. Ein Monteur muss jedes Bauteil vor dem Einbau per Scanner erfassen: Bauteil greifen, eine Scanner-Pistole in die Hand nehmen, Bauteil scannen, Pistole wieder weglegen, Bauteil einbauen. Mit Pro-Glove fallen zwei Handgriffe weg, der Monteur greift nach dem Bauteil, scannt und verbaut es. Da der integrierte Scanner per Wifi mit einem Kontrollkästchen und dem BMW-System verbunden ist, bekommt der Monteur gleichzeitig die Rückmeldung, ob er nach dem richtigen Bauteil gegriffen hat.

Durch diese Funktion ist der intelligente Arbeitshandschuh auch für die Logistikbranche interessant, in den Zentrallägern des Discounters Penny etwa, wo die Packer den Pro-Glove tragen. Wichtig ist hier weniger die Zeitersparnis, sondern Fehlsendungen an die Filialen zu vermeiden - Retouren sind gerade bei verderblichen Lebensmitteln ärgerlich.

Auch beim Check-in an Flughäfen kommt der Handschuh bereits zum Einsatz. So können die Beschäftigten die abgefertigten Koffer beidhändig herumwuchten, anstatt ein 20 Kilogramm schweres Gepäckstück mit einer Hand hochzuheben und mit der anderen Hand die Scannerpistole zu bedienen.

Kirchner und Günther profitieren von der direkten Zusammenarbeit mit der Industrie. Die Scanner stellt die Firma TQ Systems am Ammersee her, die Handschuhe ein Betrieb in der Nähe von Mönchengladbach. "Klar könnten wir billiger in Asien produzieren, aber wir sind noch nicht bei hundert Prozent mit unserem Produkt. Da muss ich zum Hersteller hinfahren können, wenn etwas nicht klappt", sagt Kirchner: "Qualität geht über Preis".

Menschen über Wearables in die industrielle IT einzubinden, das sei ihre Vision, sagt Kirchner, nicht den Menschen durch Technik zu ersetzen. Knapp 30 Mitarbeiter beschäftigt das Start-up, zwei Drittel sind Hardware-Ingenieure und Software-Entwickler. Die Räume in einem ehemaligen Verlagsgebäude hinter dem Münchner Ostbahnhof haben sie im September vergangenen Jahres bezogen, doch schon jetzt ist klar, dass der Platz nicht reichen wird: Das Team möchte wachsen. Der nächste Schritt des Start-ups: eine Kamera in den Pro-Glove integrieren - und neue Produkte entwickeln.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: